So etwas wie die Flucht vor dieser Hochzeit war offensichtlich nur Wunschdenken. Shi Mei war immer noch da, also konnte Mo Ran auf keinen Fall einfach gehen.
Diese verdammte Geisterherrin der Zeremonien, aber — war sie nicht ein
bisschen zu verdammt fleißig.
Mo Ran war bleich, sowohl vor Wut als auch vor Anstrengung, sich
zurückzuhalten. Reicht es nicht, nur die Hochzeitsrituale zu überwachen? grummelte
er vor sich hin. Inwiefern ist die Hochzeitsnacht deine verdammte
Angelegenheit? Abgesehen davon! Sind das hier alles Leichen! Totenstarre! Wie
zum Teufel würden ihre Hochzeitsnächte überhaupt funktionieren?!
Wie Chu Wannings Gesicht
jetzt wohl aussah, Mo Ran war zu verängstigt, um auch nur einen Blick darauf zu
werfen. Er wollte diese gespenstische Zeremonienmeisterin wirklich
packen, wo immer sie sich auch verstecken mochte, und ihr ins Gesicht brüllen: Fick!
Dick! Du Hure! Dann zeigst du mir, wie's geht!
Der Goldjunge und das
Jademädchen drängten sich um sie und schoben sie in den hinteren Teil der
Halle. Dort lag ein Sarg, scharlachrot gestrichen. Es war riesig, doppelt so
groß wie ein normaler Sarg und sah genauso aus wie der, den sie zuvor
ausgegraben hatten.
Chu Wanning murmelte
verstehend etwas vor sich hin. Nicht lange danach fand auch Mo Ran es heraus
und stieß einen großen Seufzer der Erleichterung aus. Natürlich konnten Tote
keine richtige Hochzeitsnacht haben. Diese sogenannte “Hochzeitsnacht“ bedeutete
wahrscheinlich nur, in denselben Sarg versiegelt zu werden, um gemeinsam
beerdigt zu werden, um ‘zusammen im Tod‘ zu sein.
Der Goldjunge und das
Jademädchen bestätigten ihren Verdacht. „Würde die Braut bitte zuerst das
Brautgemach betreten."
Chu Wanning strich seine
weiten Ärmel glatt und legte sich mit einem frostigen Blick hinein.
„Würde der Bräutigam als Nächstes
bitte das Brautgemach betreten."
Mo Ran griff nach der
Sargkante und hielt blinzelnd inne. Chu Wanning hatte bereits mehr als die
Hälfte des Platzes im Inneren eingenommen. Der Sarg war geräumig, aber für zwei
Männer war es ein bisschen eng. Er kletterte hinein und war unweigerlich gezwungen,
sich auf Chu Wannings ausgebreitete Kleidung zu legen, was ihm einen wütenden
Blick des anderen Mannes einbrachte.
Der Goldunge und das
Jademädchen umkreisten den Sarg und begannen, die gleiche unheimliche und doch
traurige Klagegedicht (Elegie) wie zuvor zu singen.
„Oh leuchtende
Flut, oh funkelnde Wellen
Die Gewässer
des großen Weißen Kaisers
Auf
blütentragende Mandarinen
Komm hervor mit
geblümten Schnäbeln, um zwei Seelen zu begrüßen
Um sie in
diesem dunklen Sarg zu vereinen
Verschlungen,
um im heiligen Rumpf zu liegen
Absicht, die
einmal im schlagenden Herzen versiegelt war
Jetzt bekannt
durch den Tod und alles, was er offenbart, hat
Von nun an
werden diese beiden unter dem Himmel hindurchgehen
Von nun an
werden sich ihre Seelen im Tod nie mehr trennen."
Als das Lied zu Ende war,
standen die Kinder auf, eines links und eines rechts, und drückten langsam den
Sargdeckel zu. Mit einem dumpfen Grollen wurden Mo Ran und Chu Wanning bald von
völliger Dunkelheit umgeben, als sie im Inneren eingeschlossen wurden.
Die Wände des Sarges waren so
dick, dass sie leise sprechen konnten, ohne dass sie draußen gehört wurden,
aber Chu Wanning hob die Hand und errichtete eine Schallschutzbarriere, um
sicherzustellen, dass sie definitiv nicht entdeckt würden. Nachdem er das getan
hatte, sagte er als Erstes:
„Geh hinüber. Du bist auf
meinem Arm."
Mo Ran starrte schweigend.
Gab es nicht dringendere Dinge zu besprechen, als auf den Arm eines anderen zu
sein? Obwohl er vor sich hin meckerte, rutschte Mo Ran hinüber.
„Mehr noch mehr. Da ist kein
Platz für meine Beine."
Mehr Bewegung.
„Beweg dich mehr! Du bist
direkt neben meinem Gesicht!"
„Shizun, ich liege schon auf
der Seite, was willst du noch?", jammerte Mo Ran gekränkt.
Chu Wanning hmpfte
schließlich und verstummte.
Mo Ran war noch eine Weile in der Ecke eingepfercht, bevor
der Sarg wackelte und von den Leuten draußen angehoben wurde. Diese Leute bewegten sich langsam in eine
unbekannte Richtung, der Sarg schaukelte bei jedem Schritt. Mo Ran lauschte
angestrengt auf die Geräusche draußen, während er brodelte und daran dachte,
dass Shi Mei in diesem Moment wahrscheinlich mit Frau Chen-Yao in einem Sarg
gefangen war. Aber er konnte nichts dagegen tun.
Chu Wannings Barriere war
unglaublich; sie verhinderte, dass Geräusche im Inneren des Sarges herauskamen,
während sie Geräusche von außen durchließ. Sie konnten Feuerwerkskörper und Sounas
durch die Sargwände hören.
„Diese Schar von Geistern und
Dämonen ist sicher gelangweilt“, sagte Mo Ran. „Wohin bringen sie diese
Särge?"
Im Sarg war es zu dunkel, um
Chu Wannings Gesicht zu sehen, also konnte er nur seine Stimme hören. "Es
ist wie in der Tradition der Schmetterlingsstadt: Das Ziel sollte der Tempel
außerhalb der Stadt sein.“
„Geister reisen in der Nacht.
Alle Särge werden zusammen hinübergetragen. Wenn ich richtig geraten habe, wird
die Geisterherrin der Zeremonien in ihrer wahren Gestalt im Tempel erscheinen,
um den frisch verheirateten Paaren ‘ihre Verdienste‘ abzunehmen.“
„Das werden sie nicht“,
antwortete Chu Wanning. „Die Särge werden von Goldjungen und Jademädchen
getragen. Gewöhnliche Menschen können keine Gegenstände sehen, die von Geistern
getragen werden.“
„Weshalb bist du dir da
sicher?"
„Ich habe Tianwen benutzt, um
vorhin einen der Goldjungen in der Umkleidekabine zu verhören."
Sie schwiegen eine Weile,
bevor Mo Ran fragte: „Was hatte es dann mit dem roten Sarg auf dem Berg auf
sich, dem mit Chen-Gongzi darin?
„Ich bin mir nicht sicher“,
sagte Chu Wanning.
Mo Ran war leicht überrascht.
„Der Goldjunge hat es dir nicht gesagt?"
„Der Goldjunge sagte, er
wisse es auch nicht."
Es war wieder kurz still.
Dann sprach Chu Wanning.
„Aber ich denke, diese Familie etwas vor uns verbirgt.“
„Warum sagst du das?"
„Denk daran, obwohl das Ding,
das in diesem Tempel verwahrt ist, böse Energie ausstrahlt, ist es immer noch
ein Wesen, das sich zu einer Gottheit kultiviert hat. Es hängt von der Anbetung
der Menschen ab, um stärker zu werden.“
Mo Ran hatte in seinem
früheren Leben nie auf Chu Wannings Unterricht geachtet und sich daher später
mit bestimmten Angelegenheiten nicht befasst. Er dachte, dass er vielleicht
versuchen sollte, bescheidener zu sein und in diesem wiedergeborenen Leben nach
einer Anleitung zu suchen, und so fragte er: „Was ist so bedeutend an
Gottheiten?“
„Was hast du letzten Monat in
der Lektion über den Unterschied zwischen Gottheiten, Geistern, Göttern und
Dämonen gemacht?“
Dieser Ehrwürdige
wurde gerade wiedergeboren, dachte Mo
Ran. Natürlich würde sich dieser Ehrwürdige nicht daran erinnern, was er
während einer Unterrichtsstunde vor mehr als zehn Jahren getan hat!
Aber wahrscheinlich hatte er
entweder unter dem Tisch an seinen Füßen rumgestochert, Schlafzimmerabenteuer
von neun Drachen und einem Phönix gelesen, Shi Mei gedankenverloren beäugt
oder Chu Wanning in den Nacken gestarrt, während er heimlich auf verschiedene
Weisen gestikulierte, um der Person den Kopf abzuschneiden.
„Zur Strafe kopiere ‘Die Aufzeichnung des
Wissens aus den Sechs Königreichen‘ zehnmal, wenn wir zurückkommen”, sagte Chu
Wanning steinern.
„Oh ...“ All die Male, die Mo
Ran den Unterricht geschwänzt hatte, war gekommen, um ihn in den Hintern zu
beißen.
„Gottheiten unterscheiden
sich von Göttern. Götter können handeln, wie sie wollen, aber Gottheiten können
sich nicht in sterbliche Angelegenheiten einmischen, ohne dazu aufgefordert zu
werden.“
Mo Ran lief ein Schauer über
den Rücken. „Was bedeutet, dass diese Geisterzherrin der Zeremonien die
Mitglieder der Familie Chen auf Geheiß einer Person getötet hat?“
In der Dunkelheit klang Chu
Wannings Stimme schrecklich bedrohlich. „Der Bittsteller war nicht unbedingt
eine lebende Person."
Mo Ran öffnete den Mund, um
weitere Fragen zu stellen, aber bevor er konnte, erzitterte der Sarg abrupt und
kippte nach links, vielleicht weil der Goldjunge und das Jademädchen, die den
Sarg trugen, zu einem Hügel oder Ähnlichem gekommen waren.
Durch den unerwarteten Stoß,
die glatte Innenseite des Sarges und das völlige Fehlen von etwas, woran er
sich festhalten konnte, kippte Mo Ran um und schlug mit voller Wucht gegen die
Brust seines Shizuns.
„Ungh ..."
Mo Ran legte eine Hand auf
seine schmerzende Nase und hob desorientiert den Kopf, gerade als der schwache
Duft von Hai-Tang-Blüten seine Nase lehrte. Der Duft war leicht wie der Nebel
im Morgengrauen, mit einem Hauch nächtlicher Kälte. Normalerweise lullen solche
Düfte die Menschen ein, aber dieser hier war sauber und erfrischend und machte
den Kopf frei.
Mo Ran erstarrte und wurde
sofort hart.
Das war ein Duft, mit dem er
nur allzu vertraut war. Es war Chu Wannings Duft.
Aber für Mo Ran war dieser
Duft schon immer mit Verlangen verwoben.
Plötzlich schoss ihm eine
gewisse tief sitzende Verderbtheit, wie ein vom Blitz getroffener Waldbrand,
direkt in den Kopf.
Erklärungen:
Verdienste: Ein Konzept, das mit dem Karma zusammenhängt,
das man je nach Verhalten ‒ ob verdienstvoll oder nicht ‒ gewinnen oder
verlieren kann.
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