Kapitel 15 ~ Dieser Ehrwürdige sieht zum ersten Mal diese Art der Enthüllung der Hochzeitnacht

So etwas wie die Flucht vor dieser Hochzeit war offensichtlich nur Wunschdenken. Shi Mei war immer noch da, also konnte Mo Ran auf keinen Fall einfach gehen.

Diese verdammte Geisterherrin der Zeremonien, aber — war sie nicht ein bisschen zu verdammt fleißig.

Mo Ran war bleich, sowohl vor Wut als auch vor Anstrengung, sich zurückzuhalten. Reicht es nicht, nur die Hochzeitsrituale zu überwachen? grummelte er vor sich hin. Inwiefern ist die Hochzeitsnacht deine verdammte Angelegenheit? Abgesehen davon! Sind das hier alles Leichen! Totenstarre! Wie zum Teufel würden ihre Hochzeitsnächte überhaupt funktionieren?!

Wie Chu Wannings Gesicht jetzt wohl aussah, Mo Ran war zu verängstigt, um auch nur einen Blick darauf zu werfen. Er wollte diese gespenstische Zeremonienmeisterin wirklich packen, wo immer sie sich auch verstecken mochte, und ihr ins Gesicht brüllen: Fick! Dick! Du Hure! Dann zeigst du mir, wie's geht!

Der Goldjunge und das Jademädchen drängten sich um sie und schoben sie in den hinteren Teil der Halle. Dort lag ein Sarg, scharlachrot gestrichen. Es war riesig, doppelt so groß wie ein normaler Sarg und sah genauso aus wie der, den sie zuvor ausgegraben hatten.

Chu Wanning murmelte verstehend etwas vor sich hin. Nicht lange danach fand auch Mo Ran es heraus und stieß einen großen Seufzer der Erleichterung aus. Natürlich konnten Tote keine richtige Hochzeitsnacht haben. Diese sogenannte “Hochzeitsnacht“ bedeutete wahrscheinlich nur, in denselben Sarg versiegelt zu werden, um gemeinsam beerdigt zu werden, um ‘zusammen im Tod‘ zu sein.

Der Goldjunge und das Jademädchen bestätigten ihren Verdacht. „Würde die Braut bitte zuerst das Brautgemach betreten."

Chu Wanning strich seine weiten Ärmel glatt und legte sich mit einem frostigen Blick hinein.

„Würde der Bräutigam als Nächstes bitte das Brautgemach betreten."

Mo Ran griff nach der Sargkante und hielt blinzelnd inne. Chu Wanning hatte bereits mehr als die Hälfte des Platzes im Inneren eingenommen. Der Sarg war geräumig, aber für zwei Männer war es ein bisschen eng. Er kletterte hinein und war unweigerlich gezwungen, sich auf Chu Wannings ausgebreitete Kleidung zu legen, was ihm einen wütenden Blick des anderen Mannes einbrachte.

Der Goldunge und das Jademädchen umkreisten den Sarg und begannen, die gleiche unheimliche und doch traurige Klagegedicht (Elegie) wie zuvor zu singen.

 

„Oh leuchtende Flut, oh funkelnde Wellen

Die Gewässer des großen Weißen Kaisers

Auf blütentragende Mandarinen

Komm hervor mit geblümten Schnäbeln, um zwei Seelen zu begrüßen

Um sie in diesem dunklen Sarg zu vereinen

Verschlungen, um im heiligen Rumpf zu liegen

Absicht, die einmal im schlagenden Herzen versiegelt war

Jetzt bekannt durch den Tod und alles, was er offenbart, hat

Von nun an werden diese beiden unter dem Himmel hindurchgehen

Von nun an werden sich ihre Seelen im Tod nie mehr trennen."

 

Als das Lied zu Ende war, standen die Kinder auf, eines links und eines rechts, und drückten langsam den Sargdeckel zu. Mit einem dumpfen Grollen wurden Mo Ran und Chu Wanning bald von völliger Dunkelheit umgeben, als sie im Inneren eingeschlossen wurden.

Die Wände des Sarges waren so dick, dass sie leise sprechen konnten, ohne dass sie draußen gehört wurden, aber Chu Wanning hob die Hand und errichtete eine Schallschutzbarriere, um sicherzustellen, dass sie definitiv nicht entdeckt würden. Nachdem er das getan hatte, sagte er als Erstes:

„Geh hinüber. Du bist auf meinem Arm."

Mo Ran starrte schweigend. Gab es nicht dringendere Dinge zu besprechen, als auf den Arm eines anderen zu sein? Obwohl er vor sich hin meckerte, rutschte Mo Ran hinüber.

„Mehr noch mehr. Da ist kein Platz für meine Beine."

Mehr Bewegung.

„Beweg dich mehr! Du bist direkt neben meinem Gesicht!"

„Shizun, ich liege schon auf der Seite, was willst du noch?",  jammerte Mo Ran gekränkt.

Chu Wanning hmpfte schließlich und verstummte.

Mo Ran war noch eine Weile in der Ecke eingepfercht, bevor der Sarg wackelte und von den Leuten draußen angehoben wurde. Diese Leute bewegten sich langsam in eine unbekannte Richtung, der Sarg schaukelte bei jedem Schritt. Mo Ran lauschte angestrengt auf die Geräusche draußen, während er brodelte und daran dachte, dass Shi Mei in diesem Moment wahrscheinlich mit Frau Chen-Yao in einem Sarg gefangen war. Aber er konnte nichts dagegen tun.

Chu Wannings Barriere war unglaublich; sie verhinderte, dass Geräusche im Inneren des Sarges herauskamen, während sie Geräusche von außen durchließ. Sie konnten Feuerwerkskörper und Sounas durch die Sargwände hören.

„Diese Schar von Geistern und Dämonen ist sicher gelangweilt“, sagte Mo Ran. „Wohin bringen sie diese Särge?"

Im Sarg war es zu dunkel, um Chu Wannings Gesicht zu sehen, also konnte er nur seine Stimme hören. "Es ist wie in der Tradition der Schmetterlingsstadt: Das Ziel sollte der Tempel außerhalb der Stadt sein.“

„Geister reisen in der Nacht. Alle Särge werden zusammen hinübergetragen. Wenn ich richtig geraten habe, wird die Geisterherrin der Zeremonien in ihrer wahren Gestalt im Tempel erscheinen, um den frisch verheirateten Paaren ‘ihre Verdienste‘ abzunehmen.“

„Das werden sie nicht“, antwortete Chu Wanning. „Die Särge werden von Goldjungen und Jademädchen getragen. Gewöhnliche Menschen können keine Gegenstände sehen, die von Geistern getragen werden.“

„Weshalb bist du dir da sicher?"

„Ich habe Tianwen benutzt, um vorhin einen der Goldjungen in der Umkleidekabine zu verhören."

Sie schwiegen eine Weile, bevor Mo Ran fragte: „Was hatte es dann mit dem roten Sarg auf dem Berg auf sich, dem mit Chen-Gongzi darin?

„Ich bin mir nicht sicher“, sagte Chu Wanning.

Mo Ran war leicht überrascht. „Der Goldjunge hat es dir nicht gesagt?"

„Der Goldjunge sagte, er wisse es auch nicht."

Es war wieder kurz still.

Dann sprach Chu Wanning. „Aber ich denke, diese Familie etwas vor uns verbirgt.“

„Warum sagst du das?"

„Denk daran, obwohl das Ding, das in diesem Tempel verwahrt ist, böse Energie ausstrahlt, ist es immer noch ein Wesen, das sich zu einer Gottheit kultiviert hat. Es hängt von der Anbetung der Menschen ab, um stärker zu werden.“

Mo Ran hatte in seinem früheren Leben nie auf Chu Wannings Unterricht geachtet und sich daher später mit bestimmten Angelegenheiten nicht befasst. Er dachte, dass er vielleicht versuchen sollte, bescheidener zu sein und in diesem wiedergeborenen Leben nach einer Anleitung zu suchen, und so fragte er: „Was ist so bedeutend an Gottheiten?“

„Was hast du letzten Monat in der Lektion über den Unterschied zwischen Gottheiten, Geistern, Göttern und Dämonen gemacht?“

Dieser Ehrwürdige wurde gerade wiedergeboren, dachte Mo Ran. Natürlich würde sich dieser Ehrwürdige nicht daran erinnern, was er während einer Unterrichtsstunde vor mehr als zehn Jahren getan hat!

Aber wahrscheinlich hatte er entweder unter dem Tisch an seinen Füßen rumgestochert, Schlafzimmerabenteuer von neun Drachen und einem Phönix gelesen, Shi Mei gedankenverloren beäugt oder Chu Wanning in den Nacken gestarrt, während er heimlich auf verschiedene Weisen gestikulierte, um der Person den Kopf abzuschneiden.

„Zur Strafe kopiere ‘Die Aufzeichnung des Wissens aus den Sechs Königreichen‘ zehnmal, wenn wir zurückkommen”, sagte Chu Wanning steinern.

„Oh ...“ All die Male, die Mo Ran den Unterricht geschwänzt hatte, war gekommen, um ihn in den Hintern zu beißen.

„Gottheiten unterscheiden sich von Göttern. Götter können handeln, wie sie wollen, aber Gottheiten können sich nicht in sterbliche Angelegenheiten einmischen, ohne dazu aufgefordert zu werden.“

Mo Ran lief ein Schauer über den Rücken. „Was bedeutet, dass diese Geisterzherrin der Zeremonien die Mitglieder der Familie Chen auf Geheiß einer Person getötet hat?“

In der Dunkelheit klang Chu Wannings Stimme schrecklich bedrohlich. „Der Bittsteller war nicht unbedingt eine lebende Person."

Mo Ran öffnete den Mund, um weitere Fragen zu stellen, aber bevor er konnte, erzitterte der Sarg abrupt und kippte nach links, vielleicht weil der Goldjunge und das Jademädchen, die den Sarg trugen, zu einem Hügel oder Ähnlichem gekommen waren.

Durch den unerwarteten Stoß, die glatte Innenseite des Sarges und das völlige Fehlen von etwas, woran er sich festhalten konnte, kippte Mo Ran um und schlug mit voller Wucht gegen die Brust seines Shizuns.

„Ungh ..."

Mo Ran legte eine Hand auf seine schmerzende Nase und hob desorientiert den Kopf, gerade als der schwache Duft von Hai-Tang-Blüten seine Nase lehrte. Der Duft war leicht wie der Nebel im Morgengrauen, mit einem Hauch nächtlicher Kälte. Normalerweise lullen solche Düfte die Menschen ein, aber dieser hier war sauber und erfrischend und machte den Kopf frei.

Mo Ran erstarrte und wurde sofort hart.

Das war ein Duft, mit dem er nur allzu vertraut war. Es war Chu Wannings Duft.

Aber für Mo Ran war dieser Duft schon immer mit Verlangen verwoben.

Plötzlich schoss ihm eine gewisse tief sitzende Verderbtheit, wie ein vom Blitz getroffener Waldbrand, direkt in den Kopf.

 

 

 

Erklärungen:

Verdienste: Ein Konzept, das mit dem Karma zusammenhängt, das man je nach Verhalten ‒ ob verdienstvoll oder nicht ‒ gewinnen oder verlieren kann.

 


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