Kapitel 21~ Dieser Ehrwürdige wird dir eine Geschichte erzählen (Teil 3)

Die junge Herrin Yao hatte eine temperamentvolle Persönlichkeit. Zu Hause kümmerte sie sich weder um Essen noch Trinken, sondern verbrachte ihre ganze Zeit damit, ihren Papa dazu zu bringen, sich nach der Person Chen Bohuan zu erkundigen. Obwohl Chen Bohuan bereits verheiratet war, wurde die Zeremonie hinter verschlossenen Türen durchgeführt; wer außerhalb der Familie hätte es wissen können? Die Stadtbewohner hatten vor all den Jahren noch nicht einmal von der arrangierten Verlobung zwischen den Familien Luo und Chen gehört. Und so erfuhr die junge Herrin Yao, dass dieser Chen-Gongzi unverheiratet war.

Der Gouverneur scheute keine Mühe, sich diese Person anzuschauen und am Ende entschied er, dass dieser junge Mann Chen ein fähiger Bursche mit einer sanften Persönlichkeit und einer zufriedenstellenden Familie war. Als solcher schickte er einen Boten mit einem Heiratsantrag zu den Chens.

Als Hausherr Chen dies erhielt, war er so voller Bedauern, dass seine Eingeweide fast blau anliefen. Sie sagten dem Boten des Gouverneurs höflich, dass sie etwas Bedenkzeit brauchten, schlossen die Tür und begannen sofort miteinander zu streiten.

„Schau, wo dein Hetzen uns hingebracht hat!", sagte Hausherr Chen. „Dieser abgebrannte Gelehrte ist früh gestorben, und seine Tochter hätte drei Jahre lang trauern sollen; wenn du sie nicht gedrängt hättest, vorzeitig zu heiraten, hätte unser Sohn aus der Verlobung herauskommen können! Sieh dir diesen Schlamassel jetzt an! "

Frau Chen war genauso besorgt. „Ach, du gibst mir also die Schuld? Wolltest du damals nicht die Verlobung arrangieren? Wir sprechen hier von der kostbaren Tochter des Gouverneurs! Wie könnte diese Xian ... diese Luo Xianxian auch nur hoffen, sich mit Ihr zu vergleichen?"

Die beiden alten Bastarde stritten sich hinter verschlossener Tür, bis sie rot wurden. Am Ende hatten sie keine Energie mehr und begannen einander über den Tisch anzugreifen.

„Was sollen wir machen?", fragte Hausherr Chen. „Vielleicht sollte der Gouverneur abgewiesen werden."

„Absolut nicht“, sagte Frau Chen. „Unsere Familie zählt auf diese kostbare Geliebte für Ruhm und Reichtum."

„Glaubst du wirklich, die junge Herrin Yao wäre bereit, eine Konkubine zu werden?", schoss Hausherr Chen wütend zurück. „Du? Unser Sohn hat schon jemanden  wie sollen wir noch eine reinquetschen? Und schau dir außerdem an, wie verliebt sie sind!"

Frau Chen schwieg eine Weile, dann leuchteten ihre Augen auf. „Sag mal, alter Chen“, murmelte sie. „So, wie ich es sehe, weiß niemand außerhalb unserer Familie von dieser Sache zwischen Luo Xianxian und unserem Sohn…“

Einen Moment lang herrschte Stille, während Hausherr Chen verständnislos starrte, bevor er plötzlich verstand, was seine Frau meinte. Er zitterte ein wenig, halb vor Besorgnis, halb vor Aufregung, „D-du meinst..."

„Wenn niemand von der Ehe weiß, dann ist sie nie passiert“, sagte Frau Chen. „Wir werden sie auf die eine oder andere Weise verjagen. Wenn es mit netten Fragen nicht funktioniert, wenden wir einfach Gewalt an. Alle denken, unser Sohn ist noch unverheiratet. Und erinnerst du dich an diesen Vorfall, als sie jünger war, wo sie Mandarinen gestohlen hat? Solange wir alle an der Geschichte festhalten, selbst wenn ihr zusätzliche Münder wachsen, um darüber zu weinen, wer würde ihr glauben?“

Hausherr Chen ging zur Tür, um sich zu vergewissern, dass sie fest verschlossen war, und schob sich dann hinüber. Noch einem Augenblick zuvor hatten die beiden wie zwei Streithähne Miteinader gestritten, aber jetzt drängten sie sich zusammen und schmiedeten in leisem Flüstern Intrigen.

„Ich glaube nicht, dass es funktionieren wird", sagte Hausherr Chen.

„Warum nicht?"

„Unser Sohn wird dem niemals zustimmen. Er mag Luo Xianxian, von Anfang an, schon seit seiner Kindheit und jetzt willst du, dass er sie einfach fallen lässt? Glaubst du wirklich, dass er damit einverstanden wäre?“

Frau Chen dachte eine Weile nach und tätschelte dann die Hand ihres Mannes. „Keine Sorge. Ich kümmere mich darum."

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Kurz darauf erkrankte Frau Chen plötzlich an einer schweren Krankheit. Es war eine seltsame Krankheit; der Arzt konnte nichts an ihr feststellen, aber sie verbrachte den ganzen Tag damit, zu toben, Unsinn zu murmeln und zu schwören, dass sie von einem Geist besessen sei.

Hausherr Chen, krank vor Sorge, lud einen taoistischen Priester ein, damit er sie sich anschaute. Dieser taoistische Priester hatte einen Pferdeschwanzwedel und ein ätherisches Auftreten. Er kniff Ringfinger und Daumen zusammen und meinte, dass jemand aus der Familie Chen es Frau Chen gegenüber böse meinte. Ungelöst würde sie das nächste Jahr nicht mehr erleben.

Chen Bohuan war sehr kindlich und er fragte eifrig: „Wer ist meiner Mutter gegenüber böse?“

Der Priester sagte: „Es ist eine Schönheit, die niemals die Sonne sieht“.

Alle im Raum waren schockiert. Einer nach dem anderen drehten sich die Chen-Brüder um und starrten Luo Xinxian an.

Luo Xianxian war ebenso schockiert. Seit sie klein war, hatten andere immer mit Gewissheit über sie gesagt: Dass sie Pech hatte, dass sie allen um sie herum Unglück brachte und dass sie ihre Mutter bei der Geburt getötet hatte, dann ihren Bruder, dann ihren Vater. Jetzt zeigten Finger wieder auf sie und sagten, dass sie ihre Schwiegermutter töten würde.

In ihrer Not sprachen die Chen-Brüder abwechselnd mit Luo Xianxian. Sie baten sie zu gehen und sagten, dass niemand außerhalb ihres Hauses wüsste, dass sie verheiratet sei und ihr Ruf daher noch intakt sei, dass sie ihr etwas Geld geben würden und sie sich eine andere Familie suchen könne.

Luo Xianxian war besorgt und verängstigt, und aus Angst, dass sie wirklich diejenige war, die Frau Chen verfluchte, weinte sie jeden Tag.

Chen Bohuans Herz schmerzte, als er sah, wie seine Mutter von Stunde zu Stunde schwächer wurde. Er steckte zwischen die beiden fest ‒ er wollte nicht, dass Xianxian geht, aber er wollte auch nicht, dass seine Mutter leidet ‒ und dieser Stress führte dazu, dass er schnell abnahm.

Irgendwann hatten die Chen-Brüder genug. Eines Tages, als der älteste Bruder unterwegs war, machten sie sich auf die Suche nach ihrer Schwägerin. Sie fanden Luo Xianxian im Gewächshaus, wo sie ‘Der Duft von hundert Schmetterlingen’ herstellte und stürmten hinein und zerschmetterten all ihre Werkzeuge. Das stark riechende Puder bedeckte sie von oben bis unten, sein Duft umhüllte sie, als wäre er in ihre Knochen eingedrungen und unmöglich abzuwaschen.

Zuerst umringten sie die Brüder und befragten sie ausführlich über Prinzipien und dergleichen, so etwas wie ‘Frauenpflichten’ dies, ‘Eltern vor der Ehefrau’ das. Aber obwohl Xianxian eine schüchterne Person war, war sie auf ihre Art auch stur und belastbar. Sie weinte und sagte, dass sie nicht gehen wolle, und bat sie, sich bitte einen anderen Weg auszudenken.

Der zweite Chen Bruder wurde unruhig. Er trat auf sie zu, schlug sie und sagte: „Du Unglücksbringerin, du wirst unsere Mutter zu Tode verfluchen! Wenn es einen anderen Weg gegeben hätte, wäre dein Vater dann gestorben? Deine Mutter? Was ist mit deinem Bruder, dessen Aufenthaltsort unbekannt ist?”

Mit seinem einen Treffer folgten die anderen dem Stichwort. Sie stürmten ebenfalls herein und schlossen sich ein, versammelten sich, mit Schlägen und Tritten um sie herum und riefen: „Verpiss dich", „Pechvogel" und „Todesbringerin".

Diese Brüder waren mit ihrer Mutter eins und hatten schon seit Langem einen Plan. Sie nutzten diese Chance, während der älteste Bruder unterwegs war, und arbeiteten zusammen, um Luo Xianxian zu vertreiben, und drohten ihr sie jeden Tag zu schlagen, wenn sie es wagte, zurückzukommen — sie hatte sowieso keine Familie, also, selbst wenn die Brüder sie zu Tode prügelten, würde niemand kommen, um in ihrem Namen für Gerechtigkeit zu sorgen.

Diese Nacht war eine verschneite Nacht. Luo Xianxian wurde in die Kälte geworfen, ihr ganzer Körper war schwarz und blau geschlagen; Einer ihrer Schuhe war sogar abgefallen. Sie kroch langsam vorwärts, das erstickte Schluchzen, das aus ihrem Mund drang, klang wie die Wimmern eines sterbenden Welpen.

Es war spät in der Nacht, und der Schnee fiel weiter. Wer würde bei so einem Wetter sein Zuhause verlassen? Und so kroch Luo Xianxian in den endlosen Schnee, ohne zu wissen, wohin sie gehen sollte, nicht wissend, wohin sie gehen könnte.

Die Chen-Brüder hatten recht. Sie hatte keine Familie — keinen Vater, keinen Bruder, niemanden, an den sie sich wenden konnte, niemanden, der sie beschützen würde. Diese reine weiße Welt war riesig, aber sie hatte keinen Platz für sie.

Ihr Körper war von Anfang an schwach und sie hatte nicht viel gegessen, bevor sie vertrieben wurde. Als sie zitterte, wurden ihre Beine und Füße schnell taub und verloren jegliches Gefühl.

Sie kroch in die Außenbezirke der Stadt, zum Tempel der Geisterherrin, und suchte dort Schutz. Dort rollte sie sich zusammen, die Lippen blau von der Kälte, das Herz kalt von der Trauer.

Sie betrachtete das prächtig bemalte Tonabbild und konnte nicht verhindern, dass ihr die Tränen über die Wangen liefen.

Sie dachte an die Bräuche des unteren Kultivierungsreichs, in denen Hochzeiten von einem Zeremonienmeister bezeugt wurden. Aber bei ihrer Hochzeit hatte sie sich nur eine rote Blume hinters Ohr gesteckt, als sie sich lächelnd Chen Bohuan gegenüber niederkniete und sich zu Boden neigte.

War diese Zeremonie hinter verschlossenen Türen nicht mehr als ein Traum gewesen? War das errötende Gesicht im Kupferspiegel an jenem Tag eine bloße Träumerei gewesen, die aus ihren tiefsten Sehnsüchten hervorgegangen war?

Luo Xianxian kniete vor der Statue der Geisterherrin und schleppte ihren gefrorenen Körper, der von Moment zu Moment schwerer wurde, ging immer wieder in den Kotau, ihre Tränen vermischten sich mit Lachen. „Umschlingt euer Haar, neuer Ehemann und Ehefrau / Stellt sicher, dass eure Liebe niemals abgewickelt wird. Freude... an... diesem .. Vorabend"

Ihr wurde schwindelig, die Sicht verschwamm.

Es war, als würde das glänzende Mondlicht eine Fata Morgana jenes Tages im Hof erhellen, als sie geschrien hatte: „Ich war es nicht, ich war es nicht, ich habe die Mandarinen nicht gestohlen.“

Aber wiederholtes Gerücht wurde Tatsache, und Klatsch war eine schreckliche Sache; niemand hatte sich ihre Seite der Geschichte angehört.

Selbst jetzt wusste sie, dass niemand ihr glauben würde, wenn sie zu den Leuten der Stadt schreien würde, selbst wenn sie es hoch und heilig schwören würde, dass sie Chen Bohuans richtig angetraute Frau war. Sie war immer noch das kleine Mädchen, dem niemand zuhören wollte, wenn sie an dieser niedrigen Mauer stand. Sie war nicht anders. Nichts hat sich verändert.

Immerhin war damals jemand über die Mauer geklettert und hatte ihr einen dampfenden, weißen Mantou in die Hand gedrückt, zu ihr gesagt: „Du musst hungrig sein. Beeile dich und iss."

Aber... wo war die Person jetzt?

Wenn er zurückkam und sie nicht finden konnte, würde er sich Sorgen machen, oder würde er insgeheim erleichtert aufatmen, weil sie seine Mutter nicht mehr verfluchen würde?

Luo Xianxian rollte sich im Temple zusammen, die Tränen, die sie vergoss, trockneten langsam. Sie flüsterte: „Zeremonienmeisterin, ich möchte mit ihm zusammen sein. Ich bin seine Frau… Niemand war Zeuge unserer Hochzeit… Sie sind eine Geisterherrin, und Sie kümmern sich nicht um die Lebenden, aber Ich... Ich kann nur... Ich kann mit Ihnen reden... "

Ihre letzten Worte kamen als gebrochenes Schluchzen heraus. „Ich habe nicht gelogen..."

Ich habe nicht gelogen.

Der Schnee fiel lautlos weiter in die lange stille Nacht.

Am nächsten Tag fanden einige Stadtbewohner, die am Tempel vorbeigingen, den eiskalten Körper von Luo Xianxian.




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