Hm ... Da Mo Rans Seele in die Vergangenheit zurückversetzt worden war, hatte er vielleicht seine Kultivierung mitgenommen?
Mo Ran rezitierte
eine Beschwörung und spürte, wie die spirituelle Energie in seinem Körper
aufstieg. Obwohl reichlich davon vorhanden war, war sie nicht stark. Das hieß,
seine Kultivierung war nicht fortgeschritten.
Egal. Er war
schlau, scharfsinnig und mit angeborenem Talent gesegnet. Er könnte sie einfach
noch einmal kultivieren, keine große Sache. Die Wiedergeburt war bereits ein
gesegnetes Ereignis von beispiellosem Ausmaß — es lag nahe, dass es hier und da
einige kleine Unvollkommenheiten geben würde. Als Mo Ran das dachte, änderte er
schnell seinen düsteren Gesichtsausdruck in einen, der für einen
fünfzehnjährigen Jugendlichen angemessener war, und machte sich fröhlich auf
den Weg zurück zur Sekte.
Es war mitten im
Sommer. Eine Pferdekutsche raste mit rollenden Rädern vorbei, und niemand
achtete auf den fünfzehnjährigen Mo Ran. Nur eine herkömmliche Dorffrau, die
eine Pause von der Feldarbeit einlegte und aufblickte, um sich den Schweiß
abzuwischen, bemerkte diesen außergewöhnlich gut aussehenden Jugendlichen und
starrte ihn an. Mo Ran erwiderte diese Blicke mit seinen eigenen und lächelte
dabei, bis die verheiratete Frau stark errötete und wegsah.
Gegen Abend kam
Mo Ran in der Stadt Wuchang an. Die Stadt war nicht weit vom Sisheng-Gipfel
entfernt, dessen hoch aufragender Gipfel in der Ferne auftauchte, umrahmt von
Wolken, die von der blutrot untergehenden Sonne beleuchtet wurden.
Etwas hungrig
ging er in ein Restaurant. Während er einen Blick auf die Speisekarte warf und
an die Theke klopfte, gab er schnell eine Bestellung auf.
„Ladenbesitzer,
ein Bon-Bon-Huhn, einen Teller würzige Fuqi-Feipian-Rinderkutteln
in Chilisauce, zwei Jin Wein und einen Teller mit geschnittenem Rindfleisch, bitte.“
Dieses Restaurant
war ein beliebter Rastplatz und es herrschte derzeit ein reges Treiben. Ein
Geschichtenerzähler stand auf der Bühne, schüttelte seinen Fächer und erzählte auf
lebhafte Weise die Geschichte vom Sisheng-Gipfel. Seine Spucke flog überall
herum. Mo Ran suchte sich eine Nische am Fenster und hörte ihm beim Essen zu.
„Wie sicher jeder
weiß, ist die Kultivierungswelt in das obere und das untere Kultivierungsreich
eingeteilt. Heute sprechen wir über die größte Sekte im unteren
Kultivierungsreich, dem Sisheng Gipfel. Wusstet ihr, dass vor hundert Jahren
unsere Stadt Wuchang ein armer und verlassener Ort in der Nähe des Eingangs zum
Geisterreich war? Niemand wagte es, nach Einbruch der Dunkelheit hinauszugehen.
Wenn man wirklich nachts reisen musste, musste man eine Exorzismusglocke läuten
und Weihrauchasche und Papiergeld verstreuen, während man sang: ‘Menschen
werden von den Bergen ausgeschlossen, Dämonen werden vom Papier ausgeschlossen’
und so schnell wie möglich weiterziehen. Aber heutzutage blüht und gedeiht
unsere Stadt nicht anders als anderswo, und dass alles dank der Fürsorge des
Sisheng-Gipfels. Diese rechtschaffene Sekte steht direkt am Tor zum
Geisterreich, zwischen der Grenze von Yin und Yang. Obwohl die Sekte vor nicht
allzu langer Zeit gegründet wurde ...“
Mo Ran hatte
diese Geschichte schon so oft gehört, dass seinen Ohren schon verdammte
Schwielen gewachsen waren, und so schaute er sich stattdessen außerhalb des
Fensters um. Zufälligerweise war gerade unter dem Fenster eine Stand aufgebaut
worden. Dort waren mehrere Fremde von außerhalb der Stadt in Roben von
Kultivierern gekleidet und etwas war mit einem schwarzen Tuch bedeckt, während
sie am Straßenrand Tricks vorführten.
Das war viel
interessanter als die Geschichte des Geschichtenerzählers, und Mo Rans
Aufmerksamkeit wurde darauf gelenkt.
„Kommt, kommt
alle! Werft einen Blick auf die Pixiu-Jungen,
wilde mythische Bestien, die wir gezähmt haben, um gehorsam Tricks auszuführen
— sie können sogar rechnen! Es ist nicht einfach, zu reisen, um galante Taten
zu vollbringen; daher erübrigt ein paar Trinkgelder und bleibt in der Nähe.
Kommt und seht euch den ersten Trick an — einen Pixiu Abakus!“
Mit einem Schwung
rissen die Kultivierer das schwarze Tuch weg, um ein paar Monster mit
Menschengesichtern und Bärenkörpern im Käfig zu enthüllen.
Mo Ran war
sprachlos. Das sind doch nur ein paar wuschelige Bärenjungen. Und ihr wagt
es, tatsächlich zu behaupten, dass sie Pixius sind?!
Das war
ziemlicher Blödsinn. Nur Dummköpfe würden es glauben.
Aber Mo Rans
Weltanschauung wurde bald erweitert, als sich etwa zwanzig oder dreißig
Dummköpfe versammelten, um zuzuschauen, zu jubeln und zu klatschen. Sie zogen
auch die Aufmerksamkeit aller im Restaurant auf sich, was die Sache für den
Geschichtenerzähler ziemlich unangenehm machte.
„Der derzeitige
Anführer vom Sisheng Gipfel ist ein Mann, der weit und breit für seine Stärke
und Brillanz bekannt ist—“
„Schön! Noch einmal!"
Ermutigt sah der
Geschichtenerzähler auf den Besitzer der Stimme — nur um einen Kunden zu
finden, dessen Gesicht vor Aufregung rot glühte, dessen Blick aber nicht auf
ihn, sondern auf die Straßenkünstler gerichtet war.
„Oh? Der Pixius
macht Mathe auf einem Abakus?“
„Wow, ziemlich
beeindruckend!“
„Gute Show! Lass
den Pixiu wieder mit den Äpfeln jonglieren!“
Das gesamte
Restaurant lachte, während sich alle an den Fenstern versammelten, um die Szene
unten zu beobachten.
Der
Geschichtenerzähler versuchte pathetisch weiterzumachen: „Der Meister ist am
besten für seinen Fächer bekannt. Er…“
„Ah ha ha ha,
dieser helle Pixiu will den Apfel essen. Sieh ihn dir an, wie er auf dem Boden
rollt!"
Der
Geschichtenerzähler wischte seinen Fächer mit einem Handtuch ab, seine Lippen
zitterten vor Wut.
Mo Ran schürzte
die Lippen zu einem Lächeln und rief gemächlich hinter dem Perlenvorhang
hervor: „Vergiss den Sisheng Gipfel. Erzähle stattdessen eine Geschichte aus
den Achtzehn Liebkosungen. Ich garantiere, dass es die Aufmerksamkeit
aller auf sich ziehen wird."
Der
Geschichtenerzähler wusste nicht, dass die Person hinter dem Vorhang einer der
jungen Meister vom Sisheng Gipfel höchstpersönlich war, Mo Ran. Er nahm all die
moralische Integrität zusammen, die er hatte, um zu stottern: „V-vulgäre
Geschichten sind nicht für einen eleganten Saal geeignet.”
Mo Ran lachte. „Ihr
nennt diesen Ort einen eleganten Saal? Wieso schämst Ihr Euch nicht?“
Von unten kamen
laute Geräusche.
„Ah! Was für ein
schnelles Pferd!“
„Das muss ein
Kultivierer vom Sisheng-Gipfel sein!“
Inmitten des
Geschwätzes galoppierte ein schwarzes Pferd aus Richtung des Sisheng-Gipfels
und stürmte blitzartig in den Straßenzirkus.
Auf dem Pferd
saßen zwei Personen. Einer trug einen schwarzen Bambushut und war in einem
schwarzen Umhang gehüllt, der ihn so vollständig bedeckte, dass es unmöglich
war, das Alter oder Geschlecht zu bestimmen. Die andere Person war eine dreißig-
oder vierzigjährige Frau mit rauen Händen und einem schweißnassen Gesicht.
Die Frau fing an
zu weinen, sobald sie die Menschenbären sah. Sie kletterte vom Pferd und
stolperte auf sie zu, kniete nieder und umarmte einen von ihnen, während sie
jammerte. „Mein Sohn! Oh, mein Sohn—“
Das Publikum war
fassungslos.
„Eh? Sind das
nicht Pixiu-Jungen?“, murmelte jemand, während er sich am Kopf kratzte, „Warum
nennt diese Frau es ihren Sohn?"
„Vielleicht ist
es eine Pixiu-Mutter?“
„Oh ho, das wäre
dann schon was, wenn die Weibchen Menschengestalt annehmen können.“
Diese
Dorfbewohner hatten keine relevanten Kenntnisse oder Erfahrungen und
schwafelten nur Unsinn, aber Mo Ran verstand sofort, was los war.
Gerüchten zufolge
entführten einige abtrünnige wandernde gerne Kinder, rissen ihnen die Zunge
heraus, damit sie nicht sprechen konnten, verbrannten ihnen die Haut mit
kochendem Wasser und klebten ihnen dann Tierhäute auf den blutigen Körper, so
dass, sobald das Blut geronnen war, Kind und Fell eins wurden und sie wie ein
Monster aussahen. Diese Kinder konnten weder sprechen, noch schreiben, noch
hatten sie keine andere Wahl, als die Misshandlungen zu erleiden und gehorsam
Tricks wie 'Pixiu Abakus' vorzuführen. Jeder Widerstand brachte ihnen nur
Schläge ein.
Kein Wunder, dass
er keine dämonische Energie gespürt hatte. Diese 'Pixius' waren überhaupt keine
Monster, sondern tatsächlich lebende Menschen.
Während Mo Ran
darüber nachdachte, sagte die Person im schwarzen Umhang leise etwas zu den
Kultivierern, die in Wut gerieten.
„Eine
Entschuldigung? Das ist nicht in meinem Vokabular vorhanden!“
„Was solls, wenn
Sie vom Sisheng Gipfel sind?“
„Kümmern Sie sich
um Ihre eigenen verdammten Angelegenheiten! Schlagt ihn zusammen!“
Sie stürzten sich
auf die schwarz gekleidete Person, um sie zu verprügeln.
„Herrje“, als Mo
Ran zusah, wie sein Mitschüler verprügelt wurde, stieß er nur ein leises
Glucksen aus, „Wie gruselig.“
Er hatte
keinerlei Absichten zu helfen. Selbst wenn es um sein eigenes Leben ginge,
hatte er die rechtschaffenen und aufdringlichen Wege seiner Sekte immer
verabscheut. Ein Großteil von ihnen war immer schnell damit, sich wie so viele
Idioten in jeden Ärger zu stürzen, der auftauchte. Sie würden sich sogar um
kleine Unannehmlichkeiten kümmern, wie zum Beispiel die Katze von Frau Wang,
die in einem Baum stecken blieb.
Jedes einzelne
Mitglied der gesamten Sekte — vom Anführer bis hinunter zu den Dienern — war
ein Dummkopf.
Es gab unzählige
Ungerechtigkeiten auf der Welt, also was war da der Sinn der Fürsorge? Es war
genug, um einen Menschen zu Tode zu erschöpfen.
„Sie kämpfen, sie
kämpfen! Ho! Was für ein Schlag!“
Innerhalb und
außerhalb des Restaurants versammelten sich alle zum Zuschauen.
„So viele von
euch verbünden sich gegen eine Person! Schämt ihr euch nicht?!“
„Passt auf! Hinter Ihnen! Oh je! Nah dran! Wa‒"
„Gut
ausgewichen!“
Diese Leute
liebten einen guten Kampf, aber Mo Ran wollte nicht zuschauen. Er hatte schon
zu viel Blutvergießen gesehen. Für ihn waren die Ereignisse, die sich derzeit
abspielten, wie das Summen einer Fliege. Er staubte träge Erdnusskrümel von
seiner Kleidung und stand auf, um zu gehen.
Unten waren die
Kultivierer und die schwarz gekleidete Person mit schwingendem Schwert ins
Stocken geraten. Mo Ran lehnte mit verschränkten Armen an der Tür des
Restaurants. Es brauchte nur einen Blick, um ihn vor Ärger mit der Zunge
schnalzen zu lassen. Was für eine Schande.
Jeder vom Sisheng
Gipfel war ein erbitterter Kämpfer, jeder glich zehn Männern, aber die schwarz
gekleidete Person war erbärmlich. Selbst als sie ihn vom Pferd herunterzerrten,
umzingelten und traten, hielt sie sich zurück.
Stattdessen rief
diese Person höflich aus: „Ehrbare Männer sprechen mit ihrem Mund, nicht mit
ihren Fäusten. Ich versuche, mit euch zu reden — warum hört ihr mir nicht zu?!“
Die Kultivierer
waren genauso sprachlos wie Mo Ran.
Der Kultivierer
dachte: Was zur Hölle? Diese Person wurde schon so gründlich verprügelt und
sie predigt immer noch diesen Unsinn? Hat er ein ‘Mantou’ als Gehirn und ist innen ganz
leer?
Aber Mo Rans
Gesicht veränderte sich abrupt, als ihm für eine Sekunde der Kopf schwirrte. Er
hielt den Atem an, die Augen ungläubig geweitet. Diese Stimme ...
„Shi Mei!“,
schrie Mo Ran und stürmte aufgeregt vorwärts. Er entfesselte einen Angriff
voller spiritueller Energie, der sofort fünf der Jianghu-Kultivierungsschwindler
umwarf und sie in den schlammigen Stiefelspuren niederknien ließ. Seine Stimme
konnte nicht anders, als leicht zu zittern, während er fragte: „Shi Mei, bist
du das?“
Erklärungen:
Fuqi feipian (chinesisch: 夫妻肺片; pinyin: fūqī fèipiàn; wörtlich: "Lungenstücke von
Ehemann und Ehefrau") ist ein beliebtes Gericht aus Sichuan, das kalt oder
bei Zimmertemperatur serviert wird und aus dünn geschnittenem Rindfleisch und
Rindfleischinnereien besteht. Zu den üblichen Zutaten der modernen Version
gehören Rinderherz, Zunge und Kutteln sowie eine großzügige Menge verschiedener
Gewürze, darunter auch Sichuan-Pfeffer.
Jin ist die Bezeichnung für das chinesische Gewichtsmaß, 斤. Ein Jin entspricht in der Volksrepublik China 500 g.
Pixiu ist ein chinesisches
mythisches Mischwesen. Pixiu gelten als mächtige Beschützer der Seelen der
Toten und Feng-Shui-Praktizierenden und ähneln starken, geflügelten Löwen. Ein
Pixiu ist eine Erd- und Meeresvariante ein besonders einflussreiches und
glückverheißendes Geschöpf für Reichtum und soll einen unersättlichen Appetit
ausschließlich auf Gold, Silber und Juwelen haben. Daher gelten Pixiu bei den
Chinesen traditionell als glücksverheißende Kreaturen, die mystische Kräfte
besitzen und in der Lage sind, Cai Qi (財氣
Reichtum) aus allen Richtungen anzusaugen und laut dem chinesischen Tierkreis
ist es besonders hilfreich für diejenigen, die ein schlechtes Jahr durchmachen.
Mantou / 饅頭 / 馒头, wird oft als chinesisches gedämpftes Brötchen bezeichnet. Es ist eine weiße und weiche Art von gedämpftem Brot oder Brötchen, die in Nordchina beliebt ist.
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