Tatsächlich hatte Mo Ran normalerweise eine ziemlich gute Alkoholtoleranz. Es war nur so, dass er an diesem Abend, um seine Ängste und seine vorgetäuschte Lässigkeit, die er nicht empfand, zu überspielen, fünf ganze Krüge Birnenblüten-Weißwein leerte und dabei die ganze Zeit grinste, bis sein Bewusstsein verschwommen wurde.
Als er von Shi Mei halb geschleift, halb zurück in sein Zimmer getragen
wurde und auf seinem Bett zusammenbrach, bewegte sich Mo Rans Kehle. Er wollte
Shi Meis Namen rufen.
Aber Gewohnheit war eine schreckliche Sache. In all den vergangenen
Jahren war das eine an seiner Seite nicht das Mondlicht seines Herzens gewesen,
sondern das Mückenblut, dessen Anblick er satt geworden war. Der Name, der aus
seinem Mund kam, war der der Person, die er immer gehasst hatte.
„Chu Wanning..." Es kam ganz durcheinander heraus. „Wanning...
Ich..."
Shi Mei zögerte, dann drehte er sich zu Chu Wanning um, der neben der
Tür stand. Chu Wanning hatte Xue Meng zurück in sein Zimmer getragen, und jetzt
kam er herein, einer Schale mit nüchtern machender Suppe in der Hand, gerade
rechtzeitig, um Mo Rans Gemurmel zu hören.
Nach der anfänglichen Überraschung überredete sich Chu Wanning selbst,
dass er sich verhört hatte. Schließlich hatte Mo Ran ihn immer ‘Shizun‘
genannt. Und es war Sache von Mo Ran, ihn ‘Chu Wanning‘ zu nennen, aber ihn ‘Wanning‘
zu nennen‒
Seine Gedanken wanderten zurück zu jener Nacht im Roten-Lotus-Pavillon,
als sie einander umarmend geschlafen hatten und Mo Ran, fest eingeschlafen,
deutlich ‘Wanning‘ genannt und ihm dann einen Kuss auf die Lippen gedrückt
hatte, so leicht wie die Berührung einer Libelle auf dem Wasser. War es also
möglich, dass in Mo Rans Herz tatsächlich ein bisschen...
Chu Wanning unterdrückte den Gedanken, bevor er Wurzeln schlagen konnte.
Er war immer geradlinig und entschlossen gewesen, außer wenn es um
Herzensangelegenheiten ging, von denen er genau wusste, dass er ein trödelnder
Feigling war
„Shizun." Shi Meis strahlende Augen, unvergleichlich an Eleganz,
sahen ihn unsicher an. „Du ..."
„Hm?"
„Nein, es ist nichts. Da Shizun hier ist, um sich um A-Ran zu kümmern,
verabschiede ich mich.“
„Warte”, sagte Chu Wanning.
„Hat Shizun noch andere Anweisungen?"
„Ihr fahrt morgen alle zu den Pfirsichblütenquellen?"
„Hm-hm."
Auf Chu Wannings Gesicht war nicht viel zu erkennen. Es verging eine
kleine Weile, bevor er wieder sprach. „Ruh dich etwas aus. Kümmere dich da
draußen um einen von ihnen und …” Er hielt inne. „Komm bald wieder.”
Shi Mei ging.
Chu Wanning ging mit ausdrucksloser Miene zum Bett, stützte Mo Ran und fütterte
ihn Löffel für Löffel mit der nüchtern machenden Suppe.
Mo Ran mochte den sauren Geschmack nicht und hustete nicht lange danach.
Er wurde jedoch nüchtern genug, um seine Augen zu öffnen und Chu Wanning halb
wach anzustarren. Er murmelte: „Shizun?“
„Mn. Ich bin hier."
„Pff.“ Aus irgendeinem Grund fing Mo Ran an zu lachen, sein Glucksen war
von Grübchen umrahmt. „Unsterblicher-Gege."
Chu Wanning starrte ihn stumm an.
Danach plumpste Mo Ran gleich wieder herunter, ausgestreckt auf dem
Bauch. Aus Sorge, er könnte sich erkälten, blieb Chu Wanning an seiner Seite,
zog ihn wieder hoch und deckte ihn hin und wieder zu.
Außerhalb des Zimmers schliefen einige der Schüler noch nicht, da sie
aufblieben, um das neue Jahr herunterzuzählen. Die meisten von ihnen waren
drinnen in Gruppen versammelt, schwatzten und lachten, spielten Pai Gow oder führten Zaubertricks vor.
Als die vor der Loyalitätshalle hängende Sanduhr zu rieseln aufhörte und
damit den Jahreswechsel anzeigte, stürmten die Schüler nach draußen, um
Feuerwerks- und Knallkörper zu zünden.
Die ohrenbetäubenden Geräusche draußen weckten Mo Ran aus seinem
dunstigen Schlaf. Er öffnete ein Auge und drückte eine Hand an seine pochende
Schläfe, aber der Anblick, der sich ihm bot, war der von Chu Wanning, der neben
seinem Bett saß, sein hübsches Gesicht wirkte gefasst und teilnahmslos.
„Hat dich der Lärm aufgeweckt?", fragte Chu Wanning leichthin, als
er merkte, dass Mo Ran wach war.
„Shizun...“ Mo Ran wachte vollständig auf und starrte ihn gegen seinen
Willen an. Warum wachte Chu Wanning über ihn? Wo war Shi Mei? Er hatte doch
nichts im Schlaf gesagt, was er nicht hätte sagen sollen, oder? Mo Ran warf
einen ängstlichen Blick auf Chu Wannings Gesicht und atmete den angehaltenen
Atem aus, als es so aussah, als wäre nichts Außergewöhnliches.
Das Knistern der Feuerspuren setzte sich draußen fort. Die beiden
starrten sich eine Weile unbeholfen an.
„Willst du dir das Feuerwerk mit mir ansehen?", fragte Chu Wanning.
„Wo ist Shi Mei?", fragte Mo Ran.
Sie sprachen praktisch gleichzeitig. Es war zu spät, etwas
zurückzunehmen.
Mo Rans Augen weiteten sich erschrocken und starrten Chu Wanning lange
an, als würde er ihn nicht erkennen.
Ein Moment verging schweigend, dann stand Chu Wanning lässig auf, um zu
gehen, obwohl er sich an der Tür umdrehte. „Alle feiern das neue Jahr, also
schläft er wahrscheinlich noch nicht. Du solltest gehen und nach ihm suchen.“
Das war nur zu erwarten. Chu Wanning hatte schließlich ein
so schreckliches Temperament. Auch wenn er seinen ganzen Mut zusammengenommen
hatte, um Mo Ran zu bitten, sich das Feuerwerk gemeinsam anzusehen, war er
natürlich abgewiesen worden. Er hätte nichts sagen sollen. Wie erniedrigend.
Chu Wanning kehrte in den Roten-Lotus-Pavillon zurück und setzte sich
allein unter den Hai-Tang-Baum, der das ganze Jahr über blühte. Dort, allein,
mit einem Umhang über den Schultern, beobachtete er die leuchtenden Blüten, die
über den Nachthimmel blühten.
In der Ferne waren die Schülerquartiere warm erleuchtet. Fröhliches
Gelächter wehte über ihn hinweg, aber nichts davon hatte etwas mit ihm zu tun.
Daran hätte er sich längst gewöhnen sollen. Aber aus irgendeinem Grund war
seine Brust eng. Vielleicht lag es daran, dass es ihm schwerer fiel, in seine
eigene Einsamkeit zurückzukehren, wenn er die Heiterkeit anderer sah.
Ruhig beobachtete Chu Wanning, wie das Feuerwerk blühte ‒ eins, zwei ‒
und lauschte den Stimmen der Leute, die sich gegenseitig ein frohes neues Jahr
wünschten ‒ drei, fünf.
An den Baum gelehnt, schloss er die Augen und fühlte sich müde.
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Chu Wanning war sich nicht sicher, wie viel Zeit vergangen war, aber
plötzlich spürte er, wie ein Eindringling seine Barrieren passierte. Sein Herz
machte einen Satz, aber er öffnete seine Augen nicht. Er vernahm Atemgeräusche,
die sich leicht verbreiterten, und vertraute Schritte kamen nicht weit entfernt
zum Stehen.
Die Stimme eines jungen Mannes sprach mit einem Hauch von Zögern. „Shizun."
Chu Wanning antwortet nicht.
„Ich werde morgen abreisen."
Er blieb ruhig.
„Es wird eine ganze Weile dauern, bis ich zurückkommen kann."
Immer noch keine Antwort.
„Eigentlich ist heute Nacht nichts los und wir müssen morgen früh
aufstehen, also glaube ich das Shi Mei glaube schon ins Bett gegangen ist."
Das Geräusch von Schritten kam näher und blieb ganz in der Nähe stehen.
„Also, wenn du noch willst, ich..."
Obwohl Mo Ran den Mund öffnete, wurde der Rest des Satzes vom Knall
eines besonders großen Feuerwerks verschluckt.
Chu Wannings Wimpern flatterten, als er aufblickte. Im Gegenlicht des
prächtigen Sternenstroms am Nachthimmel und die Streuung von Feuerblumen wie
silberner Reif, stand ein gut aussehender junger Mann vor ihm, mitleiderregend
und ein wenig schüchtern.
Chu Wanning schwieg. Er war schon immer stolz gewesen und mochte keine
aus Mitleid geborene Gesellschaft. Aber gerade jetzt, als er Mo Ran ansah,
kamen plötzlich keine Worte der Ablehnung heraus. Vielleicht hatte ihn der Wein
auch erwischt. Chu Wanning fühlte einen Stich in seiner Brust, aber auch eine
Wärme.
„Da du schon hier bist, setz dich zu mir“, sagte er. Dann fügte er leise
hinzu: „Ich werde mit dir es anschauen."
Er starrte mit teilnahmsloser Miene in den Himmel, aber die in seinen
Ärmeln verborgenen Finger hatten sich nervös gekrümmt. Er wagte es nicht, die
Person neben ihm näher zu betrachten, sondern richtete seinen Blick auf das
Feuerwerk über ihm und auf die grenzenlose Nacht, die mit glitzerndem Glanz
übersät war.
„Ging es allen gut in diesen Tagen?“, fragte Chu Wanning leise.
„Mm-hmm“, antwortete Mo Ran. „Wir haben uns mit einem süßen kleinen
Shidi angefreundet — wir haben ihn in einem Brief an Shizun erwähnt. Wie geht
es Shizuns Verletzung?“
„Es ist nichts. Mach dir keine Vorwürfe."
Ein Feuerwerk explodierte am Himmel und glitzerte prächtig.
In dieser Nacht leuchteten Feuerwerke und Laternen am Himmel, die
Feuerwerkskörper knisterten ununterbrochen, und der schwache Rauchgeruch
erfüllte die schneebedeckte Luft. Unter dem blühenden Baum begrüßten die beiden
das neue Jahr. Chu Wanning war ein Mann weniger Worte, aber Mo Ran suchte
weiter nach Dingen, über die er sich unterhalten konnte, bis er schließlich
müde wurde und einschlief.
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Früh am nächsten Morgen wachte Mo Ran auf, immer noch unter dem Baum,
mit seinem Kopf in Chu Wannings Schoß und einem kräftigen, aber weichen
Pelzmantel, der ihn bedeckte. Es war Chu Wannings Fuchsmantel, glatt und
exquisit gemacht.
Ein wenig erschrocken blickte Mo Ran auf und sah Chu Wanning tief im
Schlaf an den Baumstamm gelehnt. Seine langen Wimpern hingen über seine Wangen
und zitterten bei jedem Atemzug wie Schmetterlinge im Wind.
Waren sie wirklich so unter dem Baum eingeschlafen? Wie war das
überhaupt passiert? Mit Chu Wannings obsessiv zwanghaftem Charakter hätte er
zurück in sein Zimmer gehen und schlafen sollen, egal wie müde er war. Wie
konnte er sich damit zufriedengeben, sich sorglos unter einem Baum wie diesem
auszuruhen? Und dieser Pelzmantel ... Hatte Chu Wanning ihn damit zugedeckt?
Mo Ran setzte sich auf, sein tintenschwarzes Haar war ein wenig
zerzaust. Er starrte, in Chu Wannings Mantel gehüllt, ein wenig verwundert. Er
war letzte Nacht nicht so betrunken gewesen. Obwohl einige Dinge etwas
undeutlich waren, konnte er sich mehr oder weniger an das meiste erinnern.
Sogar daran aus eigenem Antrieb zum Roten- Lotus-Pavillon zu rennen, um das
neue Jahr mit Chu Wanning zu begrüßen, war eine nüchterne, bewusste
Entscheidung gewesen.
Mo Ran hatte Chu Wanning offensichtlich einmal gehasst, aber als er ihn
fragen hörte: ‘Willst du dir das Feuerwerk mit mir ansehen?‘ und als er gesehen
hatte, wie er sich traurig umdrehte, um mit gesenktem Kopf zu gehen... Er hatte
tatsächlich einen Schmerz in seinem Herzen gespürt...
Er hatte gedacht, na ja, sie würden sich sowieso lange nicht
wiedersehen, und er empfand in diesem Leben nicht wirklich viel Groll gegen
ihn, und Chu Wanning war so einsam, also war es keine große Sache, wenn Mo Ran
ihm hin und wieder bis zum Morgen Gesellschaft leistete. Und so war er dreist
gekommen, um sich ihm anzuschließen.
Wenn er jetzt daran zurückdachte, fühlte er sich, als würde er wirklich
...
Chu Wanning wachte auf, bevor er seinen Gedanken beenden konnte.
„Shizun“, stammelte Mo Ran.
„Mn." Chu Wanning rieb sich die Schläfe, die Brauen leicht
zusammengezogen im Dunst des Aufwachens. „Du...bist noch nicht gegangen?"
„Ich – ich bin gerade aufgewacht." Aus irgendeinem Grund verknotete
sich Mo Rans silberne Zunge in letzter Zeit jedes Mal, wenn er Chu Wannings
ausdrucksloses Gesicht ansah.
Mo Ran war für einen Moment stocksteif, bevor er sich plötzlich daran
erinnerte, dass er Chu Wannings Umhang trug. Er nahm ihn hastig ab und rappelte
sich auf, um ihn stattdessen um seinen Shizun zu legen.
Während er den Umhang über die Schultern legte, bemerkte Mo Ran, dass
Chu Wanning zwar mehrere Schichten Kleidung trug, sein Outfit aber ohne den
Umhang als Oberbekleidung immer noch etwas dünn war, besonders bei all dem
Schnee. Der Gedanke daran ließ seine Bewegungen noch hektischer werden, und er
verknotete schließlich seinen eigenen Finger in den Knoten, während er
versuchte, die Quastenschnur zu befestigen. Mo Ran starrte verwirrt auf seinen
Finger.
Chu Wanning warf ihm einen Blick zu und streckte die Hand aus, um ihn zu
lösen. „Ich werde es selbst tun."
Nach einem langen Moment sagte Mo Ran: „Okay.“ Und hängte murmelnd ein „Entschuldigung”
an.
„Es ist alles in Ordnung."
Mo Ran stand auf und zögerte. „Shizun, ich muss packen und frühstücken,
und dann mache ich mich auf den Weg.“
„Mn."
„Möchtest du mit mir zusammen frühstücken gehen?"
Pah! In der Sekunde, nachdem Mo Ran das gesagt hatte, wollte er sich auf
die Zunge beißen und sofort sterben! Was zum Teufel war, falsch mit ihm?! Warum
hatte er das getan?!
Vielleicht, weil er das Bedauern sah, das auf Mo Rans Gesicht
auftauchte, gleich nachdem er das gefragt hatte, hielt Chu Wanning inne und
sagte dann: „Ich werde passen. Du gehst vor."
Mo Ran hatte Todesangst, dass er etwas noch Unverschämteres sagen
könnte, wenn er länger bliebe. „Ich ‒ ich gehe, dann..."
„In Ordnung."
Nachdem Mo Ran gegangen war, saß Chu Wanning noch eine Weile
ausdruckslos unter dem Baum, bevor er sich langsam mit einer Hand am Stamm
abstützte, aber er machte keine weiteren Bewegungen. Seine Beine waren
vollkommen taub, da sie die ganze Nacht als Mo Rans Kopfkissen gedient hatten.
Mit dem ganzen Kribbelgefühlen in seinen Beinen konnte er nicht laufen.
Eine ganze Weile stand er mürrisch da, bevor sich sein Blutkreislauf
wieder normalisierte und er endlich wieder hineinhumpeln konnte.
Und tatsächlich, nachdem er die Nacht draußen bei solch bitterkaltem
Wetter verbracht hatte, bekam er immer noch eine Erkältung, obwohl der Hai-Tang-Baum
sie vor dem Schnee beschützt hatte.
„Hatschi!" Chu Wanning nieste, seine Augenwinkel röteten sich
bereits. Er bedeckte seine Nase mit einem Taschentuch. Verdammt...ich habe mich
wahrscheinlich ... erkältet…
Der Yuheng Ältester, Träger drei heiliger Waffen und der bedeutendste
Zongshi, der immerhin von den Sekten der Kultivierungswelt geschätzt wurde. Der
bloße Anblick von Tianwen zähmte die vier Meere, und das Weiß seiner Roben
übertraf alle Farben der Welt. Er war ein so beeindruckender Charakter, dass
man ihn sogar als den stärksten Kultivierer der Ära hätte bezeichnen können.
Leider hatte auch der Stärkste eine Schwäche. Chu Wannings war, dass er
die Kälte nicht ertragen konnte und schnell krank wurde, wenn er ihr ausgesetzt
wurde.
Als sie sich vom Sisheng-Gipfel auf den Weg machten, war Chu-Zongshi
nicht nur wieder klein geworden, nachdem die Pille nachgelassen hatte, sondern
er nieste und schniefte obendrein ununterbrochen.
Als der gefiederte Stamm am Mittag eintraf, um sie zu eskortieren,
trafen sie auf Xue Meng, Mo Ran und Shi Mei, die vollkommen gesund waren, und
auf den erbärmlichen kleinen Shidi ‘Xia Sini‘, der nicht aufhören konnte zu
niesen.
Erklärungen:
Pai Gow ist ein Domino Spiel.
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