Kapitel 60 ~ Dieser Ehrwürdige entdeckt ein Geheimnis

Beflügelt von den Zaubersprüchen fuhr die Fähre schnell. Am nächsten Morgen hatten sie den Hafen von Yangzhou erreicht. Gesandte standen am Hafen, um sie zu empfangen, mit gut gezüchteten Pferden in Bereitschaft.

Die Gruppe frühstückte am Hafen, aber da der gefiederte Stamm keine Nahrung benötigte, saßen ihre Eskorten mit geschlossenen Augen am Rande des Hafens, um sich auszuruhen. Die Morgendämmerung war gerade erst angebrochen, und es gab nicht viele Kaufleute, die ihre Geschäfte abwickelten. Die Matrosen hatten sich heimlich erhoben und versammelten sich in Dreier- und Fünfergruppen, um Haferbrei und Dampfbrötchen zu essen und von Zeit zu Zeit neugierige Blicke auf die Neuankömmlinge zu werfen. Während diese kräftigen Burschen in einfacher Arbeitskleidung ihre Mahlzeiten kauten, fielen Bruchstücke ihrer Unterhaltung in Mo Rans Ohr.

„Das untere Kultivierungsreich ist so weit weg und sie interagieren nicht viel mit den Sekten aus dieser Gegend. Woher willst du das wissen?“

„Sieh dir nur das Emblem auf ihren Armschienen an. Ist es nicht genau dasselbe wie das auf einem der Wächter der Heiligen Nacht?“

„Du meinst eines dieser hölzernen Geräte, die das Böse abwehren?" Ein Bursche knabberte an Gurken, als er auf Xue Mengs Ärmel spähte. „Aiyo, das ist richtig", rief er aus. „Wer hat noch mal die Wächter der Heiligen Nacht gemacht?"

„Ich habe gehört, es war der Yuheng Ältester von Sisheng-Gipfel."

„Wer ist der Yuheng Ältester? Ist er so mächtig wie unser Guyueye Sektenanführer Jiang?"

„Heh heh, wer weiß. Wer kann etwas über die Welt der Kultivierer sagen?"

Die Matrosen sprachen einen schweren Su-Dialekt, und Mo Ran konnte sie nicht ganz verstehen, aber Chu Wanning verstand, was diese Leute sagten. Als er hörte, dass seine Erfindung, der Wächter der Heiligen Nacht, erfolgreich in der ganzen Welt verbreitet wurde, ermutigte ihn das nur. Es brachte ihn dazu, an Karren zuarbeiten, die einfacher zu handhaben waren und damit mehr Gutes bewirkte, konnte.

Nach dem Frühstück brach die Gruppe eilig auf. Keine vier Stunden später erreichten sie den Fuß des Berges Jiuhua. Es war noch früh am Tag, und die Wintersonne hatte gerade ihren Höhepunkt erreicht. Millionen von Fäden aus goldenem Licht kamen mit einer kristallinen Lumineszenz und ließen ihn prächtig glitzern. An den Hängen des Gipfels standen Hunderte von üppigen alten Kiefern, die immergrün blieben. Jeder stand entschlossen im Frost, ähnlich wie ein Einsiedler-Kultivierer mit gesenkten Ärmeln und halb geschlossenen Augen, totenstill, wo sie zu beiden Seiten des Bergpfads aufragten.

Nicht umsonst nannten die Sterblichen den Gipfel des Berges Jiufeng die “Unsterbliche Welt“.

Am Fuße des Berges pfiffen die Gesandten des gefiederten Stammes dreimal. Bei dem Geräusch flog ein kleiner goldener Sperling mit vibrierend schrillen Federn aus der weißen, schneebedeckten Landschaft und landete leichtfüßig vor ihnen. Die Gruppe folgte der Spur des Sperlings und ging den ganzen Weg nach Westen, bis sie zum Vorhang eines turbulenten, stürmischen Wasserfalls kamen.

„Würden die Xianjuns bitte zurücktreten?"

Die Anführerin der Gesandtinnen des gefiederten Stammes stand im Vordergrund, ihre Hand ahmte die Hand Buddhas nach, und sie rezitierte schweigend einen Zauber. Dann schürzte sie ihre scharlachroten Lippen und blies sanft in den Wind. Ein erschreckendes Flammenmeer erschien mitten in der Luft und schoss auf den Wasserfall zu, wo es den Wasservorhang in zwei Hälften teilte.

Die Frauen des gefiederten Stammes drehten sich munter um und lächelten. „Wir laden Sie herzlich ein, die Pfirsichblütenquellen zu betreten."

Sie folgten ihren Begleiterinnen und passierten die Barriere. Nachdem sie die Barriere überquert hatten, hellte sich die Landschaft vor ihren Augen plötzlich auf. Die Szenerie vor ihnen war riesig, ohne dass ein Ende in Sicht war, als wäre es eine völlig andere Welt, eine voller rosa Blüten.

Die Pfirsichblütenquellen war ein geschütztes Land mit wenigen Verbindungen zur Kultivierungswelt. Obwohl es nicht mit dem Land der Unsterblichen verglichen werden konnte, geschweige denn ihm gleichgestellt war, war es dennoch reich an spiritueller Energie. Die Szenerie mit den Quellen wirkte wie gemalt, ihre Farben elegant und zart.

Nachdem die Gruppe eine Weile gelaufen war, stellte sie fest, dass sich hier die vier Jahreszeiten auf eine Weise zu verändern und ineinander überzugehen schienen, wie es in ihrer eigenen Welt nicht der Fall war.

Mit den Frauen des gefiederten Stammes an der Spitze durchquerten sie zunächst eine Wildnis, in der das Rauschen der Flüsse in ihren Ohren dröhnte, begleitet von den Schreien der Affen, die von beiden Ufern kamen. Dann näherten sie sich den Außenbezirken einer Stadt und sahen weite Ackerflächen mit sich kreuzenden Feldwegen, auf denen sich der Weizen im Winde wiegte. Als sie schließlich die Stadtfestung betraten, sahen sie makellose und detailreiche Gebäude, so weit das Auge reichte, mit hohen und prächtigen Traufen.

Die Hauptstadt von Peach Blossom Springs war prächtig und schön, und in Bezug auf Größe und Ausstattung war sie mit den lebhaften Stadtzentren des Reichs der Sterblichen vergleichbar. Der einzige Unterschied bestand in den Frühlingsblumenblättern und den Schneeflocken, die über dem Himmel tanzten, den blauen Vögeln und weißen Kranichen, die in Schwärmen flogen, und dem vorbeiziehenden Volk des gefiederten Stammes. Diese schönen Menschen trugen sich mit ätherischer Anmut, fließend und malerisch, und jeder von ihnen sah aus wie ein jenseitiges Himmelswesen, das gerade einer Illustration entstiegen war.

Sie kamen an eine Weggabelung und trafen eine der gefiederten Stammesleute, die einen prächtigen gefiederten Umhang trug ‒ weiß mit goldener Stickerei, die einen Phönix darstellte. Sie stand neben einem uralten Baum, der so hoch war, dass er bis in den Himmel reichte. Das Flammenmal auf ihrer Stirn hatte ein viel kräftiges Rot als der Rest von ihnen.

Die Gesandtinnen, die sie führten, brachten die Gruppe vor ihr, dann neigten beide mit einem Knie zum Boden, um sich zu verbeugen, als sie sie begrüßten. „Große unsterbliche Herrin, die vier Xianjuns vom Sisheng-Gipfel sind gekommen."

„Danke für eure Mühen. Ihr könnt zurücktreten."

„Verstanden." Die wunderschön gekleidete, gefiederte Stammesfrau lächelte sanft, und ihre Stimme war klar und mitreißend, wie der Schrei eines jungen Phönix.

„Ich werde Achtzehn genannt. Durch die Gnade des Ältesten Unsterblichen meiner Familie wurde mir der großartige Titel der großen unsterblichen Herrin der Pfirsichblütenquellen verliehen. Wir sind sehr dankbar, dass meine Herren bereit waren, uns die Höflichkeit zu erweisen, in unserer bescheidenen Behausung zu trainieren. Sollten die Xianjuns ihren Empfang während ihres Aufenthalts hier in irgendeiner Weise als unzureichend empfinden, verzeihen Sie uns bitte und scheuen Sie sich nicht, uns dies mitzuteilen."

So eine Schönheit! Und solch eine Anmut, wenn sie sprach. Sie machte auf jeden Fall einen guten Eindruck.

Xue Meng mochte es nicht, wenn Männer besser aussahen, als er, aber er war in dem Alter, in dem er anfing, sich des schöneren Geschlechts bewusst zu werden, also hatte er natürlich keine Abneigung gegen Frauen, die so schön waren und sie schienen aus einem Gemälde entsprungen zu sein. Er lächelte. „Xianzhu ist zu nett. Aber dieser Name, 'Achtzehn', ist sicherlich seltsam. Darf ich nach Xianzhus Familiennamen fragen?"

„Ich habe keinen Familiennamen“, antwortete sie sanft und höflich. „Ich bin nur Achtzehn."

Mo Ran lachte. „Wenn Sie Achtzehn heißen, heißt dann hier jemand Siebzehn?"

Er hatte es als Scherz gemeint, aber zu seiner Überraschung lächelte Achtzehn. „Xianjun ist weise. Siebzehn ist mein Zizi.“

Mo Ran blinzelte verblüfft.

„Wir vom gefiederten Stamm werden aus den abgefallenen Federn des zinnoberroten Vogels geboren“, erklärte Achtzehn. „Als unsere Kultivierung noch schwach war, nahmen wir die Formen des Ibisses mit Haube an. Der erste, der eine menschliche Form kultivierte, war der Ältester Unsterbliche meiner Familie. Der Rest des gefiederten Stammes wird daher in der Reihenfolge benannt, in der er menschlich wurde, beginnend mit eins, zwei und so weiter. Ich bin die Achtzehnte, also wurde ich Achtzehn genannt."

 

Mo Ran hatte absolut keine Worte. Er hatte ursprünglich geglaubt, Xue Zhengyong sei miserabel, wenn es darum ging, Namen zu vergeben. Er hatte nie erwartet, jemanden zu finden, der noch schlimmer war, geschweige denn Leute, die sich mit Zahlen bezeichneten.

Dann sagte Achtzehn etwas, das ihn noch mehr vom Donner gerührt machte. „Kommt, lasst uns zur Sache kommen. Dies ist euer erster Besuch in unserem Land, und ihr kennt die Trainigsregeln der Pfirsichblütenquellen noch nicht. Im Reich der Sterblichen ist die Kultivierung seit Jahrhunderten durch Schulen und Sekten geteilt. An diesem Ort sind die Dinge anders. Wir vom gefiederten Stamm waren schon immer sehr klar in unserer Arbeitsteilung. Es gibt solche, die sich auf Verteidigung spezialisieren, solche, die sich auf Angriff spezialisieren, und solche, die sich auf Heilung spezialisieren. Es gibt insgesamt drei Abteilungen, und dementsprechend wird auch Ihre Ausbildung durchgeführt."

Mo Ran lächelte. „Das ist hervorragend."

Achtzehn nickte ihm zu. „Sehr geschätzter Xiao-Xianjun. Als die Kultivierer aus Guyueye, die vor einigen Tagen hierherkamen, von dieser Trainingsmethode hörten, waren sie unzufrieden.“

Mo Ran war verwirrt. „Verteidigung ist Verteidigung, Angriff ist Angriff und Heilung ist Heilung. Ist so eine saubere Trennung nicht etwas Gutes? Worüber waren sie unglücklich?“

„Es gibt einen Duan-Gongzi aus Guyueye, der zur Verteidigung gehört und daher mit den anderen Xianjuns dieser Abteilung zusammenleben sollte. Seine Shjie gehört jedoch zur Angriffsabteilung und muss daher mit den Xianjuns des Angriffs trainieren und in Trennung leben. Obwohl ich die Zuneigungen und Beziehungen der Sterblichen nicht ganz verstehe, konnte ich sagen, dass der Gongzi nicht bereit war, sich von seinem weiblichen Kultivierungspartner zu trennen.“

„Ha ha, was ist denn los ‒ wartet, wartet!" Mo Ran hörte abrupt auf zu lachen, als ihm mit weit aufgerissenen Augen die Erkenntnis dämmerte. „Die verschiedenen Abteilungen trainieren nicht nur unterschiedlich, sie müssen auch getrennt leben?"

„Das stimmt“, erwiderte Achtzehn verwirrt. Sie verstand nicht, warum sich sein Gesichtsausdruck so plötzlich verändert hatte. Mo Rans ganzes Gesicht wurde grün. War das ein schlechter Scherz?!

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Eine Stunde später stand Mo Ran ‒ der bei seinen Verhandlungen mit Achtzehn gescheitert war ‒ stand verblüfft vor einem hellen und geräumigen kleinen Vierseitenhof und versank in ein langes, tiefes Schweigen.

Mo Ran, Xue Meng und Xia Sini gehörten der Angriffsabteilung an und waren somit auf die Ostseite der Pfirsichblütenquellen geschickt worden. Die ‘Ostseite‘ war nicht irgendein kleines Stück Land, sondern die Region, in der alle Xianjuns lebten, die der Angriffsabteilung angehörten. Es gab mehr als zwanzig dieser Wohnhöfe, von denen jede groß genug war, um vier zu beherbergen, und es gab auch Berge und Seen sowie Straßen und Märkte, die sehr ähnlich denen im Reich der Sterblichen gebaut waren. Da der gefiederte Stamm wusste, dass seine Gäste hier für lange Zeit leben würden, hatte er diese anscheinend gebaut, um das Heimweh zu lindern.

Was Shi Mei betraf, so war er, da er zur Heilabteilung gehörte, auf die Südseite der Pfirsichblütenquellen geschickt worden. Es war außergewöhnlich weit von Mo Ran und anderen entfernt, und sie waren sogar durch eine Barriere getrennt, die nur mit einem Zugangstoken überquert werden konnte. Das bedeutete, dass Mo Ran und Shi Mei, obwohl sie beide innerhalb der Pfirsichblütenquellen waren, im Wesentlichen keine Chance hatten, sich außerhalb des täglichen Trainings zu sehen ‒ für das sich alle drei Abteilungen versammelten, um die Grundlagen der Kultivierungsmethode des berühmten Stammes zu lernen.

Das war noch nicht einmal das Schlimmste.

Mo Ran blickte auf und beäugte Xue Meng mit seinem dicken Vorhang aus Wimpern. Xue Meng umkreiste den ganzen Hof und hatte offensichtlich vor, sich den bequemsten Wohnsitz zu beschaffen. Mo Ran spürte, wie die Adern auf seiner Stirn gegen seinen Willen platzten. Xue Meng ...

Das ist richtig. Verdammte Scheiße. Von heute an musste er für den gesamten Aufenthalt im selben Hof wie Xue Meng wohnen! Für die nächste lange Zeit würde er aller Wahrscheinlichkeit nach von zwei der richtigen großen Leiden des Lebens durchdrungen sein müssen: Trennung von geliebten Menschen und das Aufeinandertreffen von Feinden ...

Der gefiederte Stamm hatte sich vom oberen Kultivierungsreich in das untere begeben, um seine Auserwählten zu finden, und als sie den Sisheng-Gipfel erreichten, waren sie schon am Ende ihrer Reise angelangt. So hatten sich diejenigen, die von anderen Sekten geschickt wurden, bereits niedergelassen, und Xue Meng entdeckte bald, dass einer der Wohnsitze ihres kleinen vierseitigen Hofes bereits besetzt war.

„Seltsam. Ich frage mich, wer sich hier niedergelassen hat“, murmelte Xue Meng, als er einen Blick auf den Matratzenbezug warf, der im Hof zum Trocknen aufgehängt wurde.

„Wer auch immer es ist, es darf nicht jemand sein, der viel Aufhebens macht“, sagte Mo Ran.

„Was meinst du?"

„Lass mich dich fragen: Welchen Wohnsitz wählst du?"

Xue Mengs Gesichtsausdruck wurde sofort vorsichtig. „Was hast du vor? Ich habe meine Wahl bereits getroffen ‒ der im Norden, der nach Süden zeigt, gehört mir.

Xue Meng hatte noch nicht herausgefunden, was er tun würde, als Mo Ran ihn lachend unterbrach. „Ich mag keine so großen Räume, also kämpfe ich nicht darum. Aber eine Frage habe ich: Wenn dieser Wohnsitz noch leer wäre...“ Er zeigte auf die bescheidene Bleibe, die bereits beansprucht worden war. „Würdest du mit ihm tauschen?"

Xue Meng betrachtete das kleine strohgedeckte Häuschen, bevor er Mo Ran böse anstarrte. „Glaubst du, ich bin dumm? Natürlich würde ich nicht tauschen.“

Mo Ran lachte. „Deshalb habe ich gesagt, dass diese Person nicht jemand ist, der viel Aufhebens machen würde. Siehst du, als er kam, waren alle vier Wohnsitze in diesem Hof leer, aber er hat sich nicht den Besten ausgesucht er hat diese winzige Hütte gewählt. Wenn dieser Bursche kein Narr ist, dann ist er ein bescheidener Gentleman.“

Xue Meng verstummte. Diese Analyse war nicht falsch, aber er fühlte sich, als wäre sein Gesicht von dem versteckten Messer in Mo Rans Lächeln aufgerissen worden. Wenn dieser andere Mann ein Gentleman war, der auf den besten Wohnsitz verzichtete, um sich eine heruntergekommene Hütte auszusuchen, war Xue Meng dann nicht ein stinkender, vulgärer, gewöhnlicher Mann? Ein kleiner Geizhals?

Aber Mo Ran hatte Xue Meng nicht beim Namen genannt, also konnte Xue-Gongzi ihn nicht anschreien. Dies konnte er jedoch auch nicht ertragen. Sein ganzes Gesicht wurde rot. „Wie dem auch sei… Ich bin es gewohnt, gut zu leben“, brachte Xue Meng, mit dunklem Gesichtsausdruck ärgerlich hervor.

„Ich kann heruntergekommene Unterkünfte nicht leiden, also kann jeder, der ein Gentleman sein will, sofort loslegen. Das ist mir egal.“

Nachdem er seine Aussage gemacht hatte, drehte er sich um und ging.

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So wurden die vier unterschiedlich gestalteten Wohnsitze der Hofwohnsitze von unterschiedlichen Meistern beansprucht.

Xue Meng wählte den exquisiten Wohnsitz im Norden, mit hellen Wänden und schwarzen Schindeln und einer mit Gold gesäumten Türschwelle, also die luxuriöseste Bleibe. Mo Ran wählte das Steinhäuschen im Westen aus, in dessen Eingang ein Pfirsichbaum gepflanzt war, dessen Blumen auf dem Höhepunkt ihrer Blüte standen. Und so wählte Chu Wanning das Bambusgebäude auf der Ostseite aus, wo die zarten, sanften Bambusbäume von der untergehenden Sonne angestrahlt wurden, um sie in einem strahlenden, jadeähnlichen Glanz zu erstrahlen.

Und auf der Südseite war dieses bescheidene, einfache strohgedeckte Häuschen, das für den “Gentleman“ reserviert war, den sie noch treffen mussten.

Chu Wanning hatte sich noch nicht von seiner Erkältung erholt, und sein Kopf drehte sich immer noch so schrecklich, dass er sich so früh entschuldigte, um sich auszuruhen. Xue Meng blieb eine Weile bei ihm, aber dieser kleine Shidi wusste nicht, wie er sich aufspielen und erbärmlich verhalten sollte, und er wollte auch keine Geschichten hören. Stattdessen kümmerte er sich nur darum, sich wie ein kleines, klebriges Reisbällchen in seine Blätterhülle einzuwickeln und in gedämpfter Ruhe zu schlafen. Xue Meng saß noch eine Weile auf der Bettkante, langweilte sich aber schließlich und nachdem er sich abgestaubt hatte, ging er hinaus.

Im Hof hatte Mo Ran einen Stuhl hervorgeholt und legte die Beine hoch, die Arme hinter den Kopf gebettet, und er sah zu, wie die goldene Sonne im Westen versank, die gleißenden Strahlen gemächlich davonzogen. Als er sah, wie Xue Meng auftauchte, fragte er. „Schläft Xia-Shidi jetzt?"

„Mn."

„Ist sein Fieber weg?"

„Wenn er dir wichtig ist, warum gehst du dann nicht hinein und siehst es dir selbst an?“

Mo Ran lachte herzlich. „Der kleine Kerl schläft wahrscheinlich noch nicht so tief. Meine Ungeschicklichkeit könnte ihn aufwecken."

Xue Meng warf ihm einen Blick zu. „Nun, wenigstens bist du dir deiner selbst bewusst. Und hier dachte ich, du wärst wie Mamas Katzen und Hunde, die nur wissen, wie man im Hof herumtrödelt und faul ist.“

„Ha ha, und woher weißt du, dass ich faul bin?" Mo Ran drehte eine Pfirsichblüte zwischen seinen Fingern und blickte lächelnd auf. „Die Zeit, die ich hier im Hof verbrachte, erlaubte mir, ein großes, schockierendes Geheimnis zu entdecken.“

Xue Meng wollte offensichtlich nicht fragen, war aber trotzdem neugierig. Nachdem er es eine Weile mit steifem Gesicht ertragen hatte, nahm er einen Ausdruck der Gleichgültigkeit auf und murmelte: „Welches große Geheimnis?“

Mo Ran winkte ihn näher und grinste. „Bring dein Ohr näher und ich werde es dir im Vertrauen sagen."

Obwohl er unglaublich widerwillig war, senkte Xue Meng nach einer langen Denkpause sein liebenswürdiges Ohr.

Mo Ran beugte sich vor und kicherte leise. „Heh heh, hab dich. Dummer Mengmeng."

Xue Mengs Augen waren rund vor Schock und er explodierte vor Wut und packte Mo Rans Revers. „Du hast mich angelogen! Wie unreif kannst du werden?!"

Mo Ran lachte. „Wo habe ich gelogen? Ich habe ein Geheimnis entdeckt, aber ich will es dir auch nicht sagen. Das ist alles."

Xue Mengs dunkle Brauen verhärteten sich. „Wenn ich dir weiterhin glauben würde, dann wäre ich wirklich ein Narr!"

Die beiden zankten sich wie ein Vogel, der einen Hund pickt, und ein Hund, der nach einem Vogel schnappt. Mo Ran wollte gerade neckend etwas anderes sagen, um seinen Cousin noch mehr zu provozieren, als hinter ihnen eine unbekannte, verwirrte Stimme ertönte.

 

„Mn?", sagte sie. „Seid ihr beide auch neue Lehrlinge?" Die Stimme dieses Mannes war klar und deutlich, weicher als die eines durchschnittlichen Jugendlichen.

Mo Ran und Xue Meng drehten ihre Köpfe nach hinten und sahen einen Mann in praktischer, eng anliegender Kleidung, der dort gegen den Wind stand, beleuchtet vom purpurroten blutrot der restlichen Sonne.

Dieser Bursche hat eine auffällige Erscheinung mit tintenschwarzen Brauen und hübschen, temperamentvollen Gesichtszügen in seinem honigfarbenen Gesicht. Er trug eine Haarkrone aus schwarzer Jade, die auf seinem Kopf befestigt war, und obwohl er weder hochgewachsen noch stämmig war, trug er sie mit großer, aufrechter Würde und einer edlen Haltung. Besonders bemerkenswert waren seine beiden langen Beine; eingepackt in diese eng anliegende Hose sahen sie noch wohlgeformter und kräftiger aus, gerader und galanter.

Mo Rans Gesichtsausdruck veränderte sich augenblicklich und es fühlte sich an, als würden das Blut und die Sünden vergangener Leben vor seinen Augen aufblitzen.

Es war, als sähe er eine Silhouette, die in einem Sturm aus Blut kniete, die Schlüsselbeine des Körpers wurden von einer Stahlkette durchbohrt, das halbe Gesicht zerfetzt. Doch diese Person weigerte sich, aufzugeben, sie war eher bereit zu sterben als sich zu ergeben.

Mo Rans Herz zitterte wie ein kristallener Tautropfen, der an einem Blatt hängt. Er konnte nicht beschreiben, was er fühlte. Wenn es jemanden gab, den er in seinem früheren Leben respektiert und bewundert hatte, so gehörte die Person, die jetzt vor seinen Augen steht, definitiv zu ihnen.

Der ehrenwerte Gentleman, der bei ihnen leben sollte, war also eigentlich dieser Bursche, huh?

 

 

 

Erklärungen:

Xianzhu ist die ein Titel, der so viel heißt wie unsterbliche Herrin/Anführerin.

Zizi ist die Bezeichnung für eine ältere Schwester oder eine ältere Freundin.

Der Ibis ist ein großer Watvogel mit einem langen, nach unten gebogenem Schnabel, einem langen Hals und langen Beinen.

…die Schlüsselbeine des Körpers wurden von einer Stahlkette durchbohrt: Einen Kampfkünstler mit einer Stahlkette durch die Schlüsselbeine zu bohren, soll sie ihrer Fähigkeiten beraubt und sie unterjocht haben.



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