Die entschuldigende Stimme der Wirtin schwebte herüber. „Meine Güte, mein Herr ist so großzügig. Fünfhundert, einfach so ‒ diese Demütige fühlt sich geschmeichelt! Aber wir müssen zu all unseren Gästen höflich sein, wenn wir hoffen, weiterhin Geschäfte machen zu können, also können wir sie nicht alle rausdrängen, verstehen Sie. Wie wäre es damit: Wir haben einen geräumigen Privatraum namens Zurückkehrender Nebelpavillon. Er ist Ehrengästen mit Vermögen wie Ihnen vorbehalten. Lassen Sie mich Ihnen‒”
Sie konnte nicht fertig werden, bevor ein lautes Klappern von Tischen
und Stühlen zu hören war, die umgeworfen wurden.
„Was gibt es da zu sehen?! Wen zum Teufel interessiert schon dieser Wiederkehrender
Nebelpavillon oder Wiederkehrender Hebelpavillon? Verdammt, was ist das für ein
beschissener Name? Wir wollen das nicht? Werdet sie los und wir zahlen Euch tausend!"
„Oh, aber mein Herr sieht aus wie eine gelehrte, vernünftige Person.
Eine so schwierige Entscheidung wird er dieser Demütigen sicher nicht
aufzwingen, oder?“ Die Wirtin schmunzelte verschämt und log, dass sich die Balken
bogen, ohne mit der Wimper zu zucken. „Es sind einfach schon zu viele Gäste
hier. Wenn mein Herr jedoch den Zurückkehrenden Nebelpavillon nicht mag, kann
ich sicherlich ein anderes Zimmer anbieten. Es ist etwas kleiner, aber genauso
elegant, und ich lege ein kostenloses Unterhaltungspaket mit Gesang und Tanz
dazu. Wie wäre das?"
„Nein! Absolut nicht! Fünfzehnhundert! Sag ihnen allen, sie sollen verschwinden!”,
brüllte die ungehobelte Stimme. „Hört auf, so stur zu sein! Unser junger
Meister wird sauer sein, wenn dieser Ort noch nicht fertig ist, wenn er hier
ankommt!“
„Wow...“ Tausend Gold waren für den Durchschnittsmenschen viel, aber für
Mo Ran, den einstigen Herrscher des Reiches der Sterblichen, war es eine
lächerliche Menge. Sogar die Schmuckstücke, die er beiläufig Song Qiutong
zugeworfen hatte, um sie zu erfreuen, waren unbezahlbare Schätze gewesen. Und
so waren seine Augen rund vor Vergnügen, als er träge auf seinem Essstäbchen
kaute und Chu Wanning mit leiser Stimme zulachte. „Shizun, Shizun, sieh mal.
Dieser Typ denkt, er kann uns mit nur fünfzehnhundert loswerden."
Chu Wanning warf ihm einen Blick zu und hob dann den Bambusvorhang, um
nach unten zu schauen.
In der Haupthalle war eine Menschenmenge. Sie trugen einfache Kleidung,
die ihre Sekte verbarg, aber jeder von ihnen hatte eine hochwertige Klinge, die
an der Taille glitzerte, und einen Feenwolf, der an der Seite sabberte. Während
der Wert der Klingen unbestimmt war, hatten Feenwölfe einen Marktpreis, waren
aber so gut wie unmöglich zu bekommen. Auch nur ein einziger Erwerb wäre keine
Kleinigkeit für eine kleine Sekte. Wenn jeder dieser Leute einen Feenwolf
hatte, gehörten sie eindeutig einer angesehenen Organisation an.
Alle Gäste hatten aufgehört, zu essen, um die Neuankömmlinge ängstlich
anzustarren. Es war so still im Saal, dass man eine Stecknadel hätte, fallen
hören können.
Plötzlich blitzte ein weißer Fleck in dem Gasthaus auf, hell wie Schnee.
Es herrschte ein kurzes Schweigen, als alle begriffen, was es war, dann kam ein
Ausbruch hektischen Geschreis, als alle davonkrochen, während die leichter zu Erschreckenden:
„M-Monster!“, schrien.
Es war ein schneeweißer Feenwolf, so groß wie drei Männer, wenn nicht
mehr. Seine Augen waren purpurrot wie Blut, sein Fell glänzend wie Satin, und
seine Reißzähne waren so lang wie der Arm eines erwachsenen Mannes und glänzten
kalt.
Auf dieser massiven, bösartigen Bestie saß ein gut aussehender junger
Mann mit einem arroganten Gesichtsausdruck. Er lehnt sich lässig zurück, ein
Bein über dem anderen, und er trug eine elegante Jagdausrüstung über einem
scharlachroten Gewand mit goldbestickten Ärmeln. Außerdem trug er einen
silbernen Helm, auf dem ein die Sonne verschlingender Löwe abgebildet war, und
eine rote Quaste, die von seiner Krone herabhing. Seine Waffe, ein Jaspisbogen,
lag über seinen Knien.
Sobald die auffälligen Kultivierer ihn sahen, fielen sie alle auf ein
Knie, die Hände an die Brust gepresst, und sagten einstimmig: „Grüße an den
jungen Meister!“
„Schon gut." Der junge Mann winkte irritiert ab. „Ihr könnt euch
nicht einmal um so eine Kleinigkeit kümmern. Grüßt, meinen Arsch!“
„Pff.“ Mo Ran musste leis zu Chu Wanning lachen. „Wenn man einen Arsch
begrüßt, macht das einem dann nicht zum Arsch?"
Chu Wanning würdigte das nicht mit einer Antwort.
Der junge Mann, der auf dem weichen Fell im Nacken des Feenwolfs saß,
sah wirklich verrückt aus. „Wer ist für diese Müllkippe verantwortlich?"
„Oh." Er warf ihr einen Blick zu. „Ich bleibe heute Nacht hier,
aber ich bin es nicht gewohnt, so viele Leute um mich herum zu haben. Reden Sie
mit ihnen. Ich werde Ihre Verluste ausgleichen."
„Aber mein Herr..."
„Ich weiß, dass Sie das in eine schwierige Lage bringt. Hier nehmen Sie
das und entschuldige Sie mich in meinem Namen bei jedem Tisch. Wenn jemand
wirklich nicht gehen will, lassen Sie ihn in Ruhe.“ Der junge Mann warf der
Wirtin einen Beutel zu, den sie öffnete, um darin Neun-Wiederkehrende-Wendungspillen
zu finden, die golden glitzerten. Diese Pillen ließen die Kultivierung des
Konsumierenden zehn Tage lang sprunghaft wachsen, und eine einzelne Pille
kostete auf dem Markt mehr als zweitausend Gold. Der Wirtin war zuerst
schockiert von dieser extravaganten Darstellung, dann atmete sie diskret auf.
Kein Kultivierer würde so etwas ablehnen. Mit diesen Pillen wäre es vollkommen
akzeptabel, jeden zu bitten, zu gehen.
Als der Wirtin um die Tische herumging und sich entschuldigte und eine
Entschädigung anbot, gähnte der junge Mann, bevor er auf seine Begleiter herabstarrte.
„Ihr seid alle so nutzlos. Muss ich wirklich alles selber machen?"
Die Begleiter sahen einander an, woraufhin eine verstreute Antwort kam:
„Gongzi ist immer brillant und unbezwingbar.“
Die Gäste zerstreuten sich in kurzer Zeit. Außer Chu Wanning und Mo Ran,
die sich weder um Geld noch um Kultivierungspillen kümmerten, nahm jeder die
Belohnung und ging ohne Beschwerden, um woanders eine Bleibe zu finden.
„Gongzi, alle anderen sind gegangen, aber zwei Gäste haben abgelehnt“,
berichtete die Wirtin. „Sie sagen, dass es schon spät ist und einer von ihnen
sich nicht wohlfühlt, sie wollen nicht woanders hingehen ..."
„Macht nichts, kein Grund, einen Invaliden zu belästigen." Der
junge Mann winkte unbekümmert ab. „Solange sie mich nicht stören."
Der Invalide, Chu Wanning, war sprachlos.
Die Wirtin strahlte. „Gongzi ist so ein freundlicher Mensch“, sagte sie
herzlich. „Es wird spät. Möchte Gongzi sich ausruhen oder zuerst etwas essen?"
„Ich habe Hunger“, antwortete der junge Mann. „Es gibt keinen Grund sich
auszuruhen, bringt mir einfach eine Mahlzeit."
„Natürlich bietet mein bescheidener Laden Gongzi nur das Beste. Die
Spezialgerichte unseres Küchenchefs sind Krabbenfleischbällchen und herzhaftes
Schweinefleisch-Fußgelee‒”
„Lappenfleischbällchen?"
Der junge Mann stammte offensichtlich nicht aus dem Süden und kümmerte sich
nicht sonderlich um deren Küche. Er blinzelte beim Namen des Gerichts und
winkte dann stirnrunzelnd ab. „Ich passe. Ich kann diese lächerlichen Namen
nicht einmal ansatzweise verstehen."
Vielleicht war er doch nur
ein wahnsinnig reicher Kaufmann und kein kultivierter junger Meister.
Die Wirtin hielt einen langen
Moment inne. „Was würde Gongzi dann gefallen? Wir werden unser Bestes tun, um
zu dienen.“
„Einfach." Der junge Mann deutete auf seine Begleiter. „Fünf Jin Rindfleisch für jeden von ihnen, zehn für mich, und dann ein Jin Soju und zwei Lammkeulen. Das reicht als Überbrückung. Spätabends sollte man sowieso nicht zu viel essen.”
„Wow…“ Mo Ran wandte sich Chu
Wanning zu, um sich über den grenzenlosen Appetit des Typen lustig zu machen.
Er entdeckte jedoch Chu Wanning, der den jungen Mann mit einem
unentzifferbaren, verschwommenen Gesichtsausdruck starr anstarrte. „Shizun
scheint ihn zu kennen“, sagte Mo Ran abwesend.
„Mn."
Mo Ran hatte es beiläufig
gesagt und nicht erwartet, dass Chu Wanning es tatsächlich bestätigte.
Überrascht stolperte er über seine eigenen Worte. „Häh? W-wer ist er?"
„Der einzige Sohn des
Anführers der Rufeng-Sekte“, sagte Chu Wanning leise. „Naonging Si."
Mo Ran verstummte. Kein
Wunder, dass Chu Wanning ihn kannte. Immerhin war er einmal bei der Linyi-Rufeng-Sekte
gewesen. Natürlich wusste er, wie der Sohn des Sektenanführers aussah. Es war
auch kein Wunder, dass Mo Ran selbst den Kerl nicht kannte, denn als er in
seinem früheren Leben die Rufeng Sekte abgeschlachtet hatte, war dieser Junge
bereits an einer Krankheit gestorben.
Damals hatte er angenommen,
dass dieser Sohn eines Sektenanführers ein kränklicher Krüppel gewesen sein
musste, aber der Bursche vor ihnen war gesund, lebhaft und hatte Ego im
Überfluss. Wie konnte so ein Typ an einer Krankheit sterben? Vielleicht eine plötzliche
Seuche?
Unten langte Nagong Si
vergnügt zu. Im Handumdrehen inhalierte er alle zehn Taels vom Rind und die
beiden Lammkeulen und stürzte obendrein etliche Schälchen Wein hinunter. Mo Ran
sah sprachlos von oben zu.
„Shizun, dreht sich bei der
Rufeng-Sekte nicht alles um Raffinesse und so? Was ist mit ihrem jungen Meister
los? Er hat noch weniger Manieren als unser Xue Mengmeng.“
Chu Wanning schob Mo Rans
Kopf von der Stelle weg, an der er rüber gespäht hatte, obwohl sein eigenes
Gesicht immer noch nach unten gerichtet war. „Erfinde keine Spitznamen für
deine Mitschüler.”
„Heh heh.“ Mo Ran lachte und
wollte gerade noch etwas sagen, als er innehielt und plötzlich etwas
realisierte. Chu Wannings Finger wurde gegen seine Stirn gedrückt und stießen
ihn weg. Dabei legte sich sein Ärmel sanft, wie ein Hauch, auf Mo Rans Gesicht.
Der Ärmel war aus extrem leichtem Material, nicht ganz wie Seide oder Satin,
und es fühlte sich sowohl warm als auch kühl an, fast wie Wasser.
Vorhin in ihrem Zimmer, als
er vor Verlangen taumelte und nicht in der Lage war, Chu Wannings Roben
auszuziehen, hatte er gedacht, die Roben seien einfach zu fest gebunden
gewesen. Als er sie jetzt genauer betrachtete, stellte Mo Ran fest, dass sie
aus der gefrorenen Nebelseide aus dem Kunlun-Taxue-Palast bestanden.
Der Kunlun-Taxue-Palast war
die unnahbarste und distanzierteste Sekte im
oberen Kultivierungsreich. Seine Schüler wurden im Alter von fünf Jahren
aufgenommen und ein Jahr später in die abgelegene Kultivierung im Heiligen Land
Kunlun geschickt. Dort mussten sie bleiben, bis es ihnen gelang, ihre
spirituellen Kerne zu kultivieren. Obwohl spirituelle Kerne angeboren waren und
die Kultivierung sie nur erweckte, war es dennoch ein langer Prozess, der oft
bis zu fünfzehn Jahre dauerte. Da andere während dieser Zeit daran gehindert
waren, das Heilige Land zu betreten, waren die Bedürfnisse der Schüler ein grundlegendes
Problem. Essen war eine Sache, da das Heilige Land an den Wangmu-See grenzte,
sodass die Schüler des Taxue-Palastes immer nach Nahrung fischen konnten. Es
war jedoch nicht so, dass sie ihre eigene Kleidung weben konnten.
Und so hatte ihre Sekte
gefrorene Nebelseide erfunden. Kleidung aus dieser Seide war nicht nur leicht
wie Nebel, sie war auch so verzaubert, dass sie von Natur aus unempfindlich
gegen gewöhnlichen Staub und Schmutz war. Sie mussten daher nicht gewaschen werden,
es sei denn, sie wurden mit Substanzen wie Blut bespritzt.
Die erstaunlichste
Eigenschaft dieser Seide war ihre Fähigkeit, sich dem Körper des Trägers
anzupassen. Dies war absolut notwendig für die Schüler vom Taxue-Palast, die
als kleine Kinder im Alter von fünf Jahren das Heilige Land betraten und es
nicht verlassen konnten, bis sie junge Erwachsene von fünfzehn oder zwanzig
waren. Kleidung aus gefrorener Nebelseide würde mit ihnen wachsen, also hatten
sie in diesen langen Jahren immer passende Kleidung.
Was tat Chu Wanning, als er
Roben aus diesem besonderen Material trug?
Mo Ran blinzelte, und ein
Funke schoss durch seinen Kopf. Plötzlich hatte er das Gefühl, dass etwas nicht
stimmte ‒ als hätte er sich von Anfang an in etwas geirrt. Was war es?
„Entschuldigung. Darf ich
fragen, wo ich die Wirtin finde?"
Mo Rans Gedanken wurden von
einer selbstbewussten, aber freundlichen und höflichen Stimme unterbrochen. Er
blickte nach unten und sah die Gruppe von Schülern der Rufeng-Sekte, die zuvor
im Xuanyuan-Pavillon gewesen waren. Der an der Spitze lehnte sich halb hinein,
sein Mantel mit Kranichmuster flatterte, als er mit seinem Schwert den
Türvorhang aufhielt.
Mo Ran wurde hellhörig. „Sind
das nicht die Leute von Ye Wangxi?"
Die Rufeng-Sekte hatte
zweiundsiebzig Städte, daher kannten sich ihre Schüler oft nicht, und Nangong Si
saß allein in einer privaten Kabine mit dem Rücken zur Tür. So blickte die
Gruppe der Neuankömmlinge im Gasthaus auf ihre Mitschüler, die in Zivil
gekleidet waren und keinen von ihnen wiedererkannten.
Ye Wangxi gegen Nangong Si.
Das wird bestimmt unterhaltsam.
„Ich entschuldige mich, aber
wir sind bereits für heute Nacht reserviert." Die Wirtin eilte hinüber und
verfluchte sich leise dafür, dass sie vergessen hatte, den Laden zu schließen.
„Bitte wenden Sie Ihre Aufmerksamkeit woanders hin ‒ es tut uns wirklich so
leid.“
Der junge Mann an der Spitze
sah besorgt aus, als er seufzte. „Was sollen wir tun … Wir haben bereits die
anderen Gasthäuser abgesucht, und sie sind alle voll. Bei uns ist eine
gebrechliche junge Dame, die dringend Ruhe braucht, also hoffen wir, einen Ort
für sie zu finden, an dem sie gut schlafen kann. Darf ich Sie fragen, ob derjenige,
der dieses Gasthaus reserviert hat, in Betracht ziehen würde, uns ein paar
Zimmer zu überlassen?“
„Das... Er wird
wahrscheinlich nicht dazu bereit sein."
Der junge Mann verneigte
sich. „Bitte fragen Sie trotzdem“, flehte er höflich. „Es ist in Ordnung, wenn
er uns abweist."
Die Wirtin hatte keine Gelegenheit,
zu antworten, als einer von Nangong Sis Begleiter auf die Oberfläche eines Tisches in der Nähe schlug und
erschrocken aufstand. „Was gibt es da zu fragen?! Raus ‒ raus! Stört unseren
jungen Meister nicht beim Essen!"
„Das ist richtig! Ist es dir
nicht peinlich, eine Frau ins Bett zu bringen, während Ihr die Uniform der
Rufeng-Sekte trägt, und den Namen Eurer Sekte durch den Dreck zu ziehen?!“
Mit einem solchen
Missverständnis hatte der junge Mann nicht gerechnet. „Warum beschimpfen Sie
uns so?", fragte er empört, als er knallrot anlief. „Wir von der Rufeng-Sekte
waren schon immer prinzipientreu und tugendhaft. Natürlich würden wir uns nicht
so ungehörig verhalten. Diese junge Dame wurde freundlicherweise von unserem
jungen Meister gerettet ‒ wie könnt Ihr es wagen, so einen Unsinn zu reden!”
„Euer junger Meister?" Nangong
Sis Begleiter warf einen Blick auf die private Kabine. Sein eigener junger Meister
trank immer noch Wein, ohne auf sie zu achten, was er als stillschweigende
Erlaubnis bezeichnete, die Eindringlinge zu vertreiben. Er entspannte sich und
kicherte laut. „Jeder weiß, dass es nur einen jungen Meister von der Rufeng-Sekte
gibt. Ich frage mich, wer dieser junge Meister von Ihnen ist?“
Eine sanfte, anmutige Stimme
erklang von außerhalb der Tür. „Das wäre ich, Ye Wangxi von der Rufeng-Sekte."
Jeder im Zimmer hatte sich
zur Tür gedreht. „Ye-Gongzi‒"
Ye Wangxi war ganz in Schwarz
gekleidet, und sein hübsches Gesicht nahm im Kerzenlicht einen zarten Farbton
an. Er trat ein, gefolgt von einer verschleierten Frau mit nervösen Augen ‒
Song Qiutong.
Mo Ran beäugte das Mädchen,
und die Ader an seinen Schläfen pochte heftig bei ihrem bloßen Anblick. Sie schon
wieder. Nur sein Glück...
Der Begleiter von Nangong Si
war für einen Moment verblüfft von Ye Wangxis Erscheinen. Dann tauchte
Verachtung auf den Gesichtern einiger der weniger gefassten Mitglieder ihrer
Gruppe auf.
Ye Wangxi war der Adoptivsohn
des obersten Anführers von der Rufeng-Sekte und war einst mit der ‘Schattenstadt‘ der Sekte verbunden gewesen.
Wie der Name schon andeutet, spezialisierte sich die Schattenstadt auf die
Ausbildung der Schattengarde. Der Anführer der
Rufeng-Sekte wollte ursprünglich, dass Ye Wangxi zum nächsten Anführer der
Schattengarde ausgebildet wird. Die Art der Kultivierung von Ye Wangxi hatte
sich jedoch als ungeeignet für die Kultivierungsmethode der Schattengarde
erwiesen, sodass er in die Hauptstadt versetzt worden war und nun als rechte
Hand des Sektenanführers fungierte.
Aufgrund seiner Erziehung als
Schattenwächter hielt sich Ye Wangxi gewöhnlich bedeckt, und nur sehr wenige
Leute kannten ihn. Der Sektenanführer schätzte ihn jedoch sehr ‒ so sehr, dass
es in den letzten Jahren innerhalb der Sekte Gerüchte gab, dass Ye Wangxi
tatsächlich der Bastard des Sektenanführers sei. Vielleicht stand Nangong Si,
der eheliche Erbe, deswegen in einem schlechten Verhältnis zu dem anderen
jungen Mann.
Das ihr junger Meister Ye
Wangxi nicht mochte, war es nur natürlich, dass diese Begleiter ihre geringe Meinung für ihn teilte. Als
seine Untergebenen waren es ihnen nicht erlaubt, Ye-Gongzi zu beleidigen, aber
sie waren auch die persönlichen Begleiter
von Nangong Si und damit ihm direkt unterstellt.
Also lachte nach einem langen
Moment peinlicher, erstarrter Stille einer der weniger zurückhaltenden Begleiter kalt. „Nun, Ye-Gongzi,
bitte verabschiede dich. Ich fürchte, hier ist kein Platz für Euch.“
„Gongzi, sie sagen, es gibt
keinen Platz, also l-lasst uns woanders suchen."
Song Qiutong zog sie mit
schlanken Fingern von Ye Wangxis Kleidern, ein Hauch von Angst in ihrer Stimme.
„Außerdem ist dieser Platz so teuer. Ich wage es nicht, noch mehr von Gongzis
Geld zu verschwenden…“
Oben verdrehte Mo Ran die
Augen. Es war immer dieser schwache, erbärmliche Ton bei ihr. Sie hatte ihn in
der Vergangenheit ausgetrickst, und jetzt manipulierte sie Ye Wangxi auf die
gleiche Weise.
Ye Wangxi wollte gerade
sprechen, als ein riesiger weißer Schatten aus dem inneren Raum schoss und
direkt auf seinen Rücken zusteuerte.
„Gongzi, passt auf!"
Song Qiutong schrie erschrocken auf.
„Awoooooh! Wooooooh!"
Laut heulend stürzte sich ein schneeweißer Feenwolf auf Ye Wangxi und rannte
aufgeregt im Kreis um ihn herum.
Niemand sagte ein Wort.
Ye Wangxi sah schockiert auf
den drei Mann großen Feenwolf hinab, der sich hinreißend über den Boden rollte.
„Naobaijin?"
Es war das Feenwolf-Reittier von Nangong Si, genannt ‘nao‘ für seine Augen, die die scharlachrote Farbe von Karneolen haben. ‘Bai‘ für sein schneeweißes Fell und ‘jin‘ für das Gold seiner Klauen.
Wenn Naobaijin hier war, dann
war es auch Nagong Si. Ye Wangxi gehorchte dem großen pelzigen Kopf, der ihn
nach Streicheleinheiten anstupste, während er sich umsah.
Schff. Der Bambusvorhang
wurde von einer Hand gehoben, die aus einem scharlachroten, goldbestickten
Ärmel ragte.
Müßig an der Wand des
Privatzimmers gelehnt, mit verschränkten Armen, irritierter Miene halb vom
Vorhang verdeckt und eine Flasche Wein in der Hand haltend, warf Nangong Si Ye
Wangxi einen Blick zu und sah. „Interessant. Warum tauchst du immer auf, wohin
ich auch gehe? So wie du mir immer hinterherläufst, wohin soll ich mein Gesicht
richten, wenn die Leute anfangen, über uns zu lästern?“
Erklärungen:
Soju ist eine Spirituose aus Korea.
Die Schattengarde ist eine Elite Garde, verantwortlich für die Sicherheit ihres Meisters sowie
für Attentate und Spionage.
Karneolen ist ein Chalzedon. (Das ist eine mikrokristalline Art von Quarz, die in verschiedenen Formen vorkommt, darunter Onyx, Achat und Jaspis.)
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