Die Rangliste war in einer sauberen und geradlinigen Schrift geschrieben und verkündete kühn:
Erster Platz:
Nangong Si, junger Meister der
Rufeng-Sekte
Zweiter Platz:
Xue Meng, junger Meister des
Sisheng-Gipfels
Xue Meng starrte das Büchlein einen langen, verblüfften
Moment lang an und schlug es dann zu. Jeder Muskel in seinem Gesicht zuckte,
als könne er nur mit Mühe den starken Drang zurückhalten, das Buch in Brand zu
setzen. „Ich sehe, wie es ist", sagte er zwischen zusammengebissenen
Zähnen. Seine Miene war finster, als er den panischen Verkäufer mit dem
Büchlein antippte. „Packen Sie dieses Buch separat ein, ich sehe es mir später
noch einmal genau an."
Nachdem er das eingepackte Exemplar der Gott-weiß-was-Rangliste
grob in seinen Ärmel gesteckt hatte, nahm Xue Meng den riesigen Stapel Bücher
und Schriftrollen, den der Verkäufer ausgesucht hatte, an sich und wankte den
Berg wieder hinauf.
Er war wütend. So wütend, dass er sterben könnte. Zweiter
Platz in der Ego-Rangliste der jungen Meister? So ein Quatsch! Welcher blinde
Schwachkopf hatte das geschrieben! Wenn er das jemals herausfände, würde er der
Person eine Tracht Prügel verpassen, um seiner Wut Luft zu machen ‒ hundert
Schläge, vielleicht mehr! Ego, von wegen! So eine Hundescheiße!
Dieser Wutanfall dämpfte sein überwältigendes Hochgefühl
etwas, so dass Xue Meng, als er zum Roter-Lotus-Pavillon zurückkehrte, nicht
mehr so aufgewühlt war. Natürlich war er immer noch unglaublich aufgeregt, aber
das kurze Aufflackern der Wut hatte seinen Kopf mehr oder weniger frei gemacht.
Ein paar ältere Schüler standen vor dem Pavillon Wache und
hielten die Leute fern, damit der Ältester ungestört ruhen konnte. Aber Xue
Meng war der junge Meister, wer würde es wagen, ihm den Weg zu versperren?
Xue Meng schritt ungehindert hinein.
Die Nacht war hereingebrochen, und durch die halb
geöffneten Fenster der Haupthalle des Pavillons fiel honigweiches Licht. Xue
Meng war sich nicht sicher, ob Chu Wanning wach war oder nicht, und so stieß er
mit leisen Schritten die Tür auf und trat mit seinen mit Büchern beladenen
Armen ein.
Es war so still, dass Xue Meng seinen eigenen Herzschlag
hören konnte, der wie der eines Vogels auf der Spitze eines Astes hüpfte. Er
hielt den Atem an und schob die Gott-weiß-was-Rangliste für einen Moment
in den Hintergrund und blickte auf das Bett.
Es herrschte eine lange Stille, während Xue Meng ihn
ausdruckslos anstarrte. „Eh?" Das Bett war leer.
Er wollte gerade einen genaueren Blick darauf werfen, als
er eine eiskalte Hand auf seiner Schulter spürte, gefolgt von einer
unheimlichen, kühlen Stimme von hinten. „Was hast du vor, willst du den
Roten-Lotus-Pavillon betreten?"
Steif und stumm drehte Xue Meng seinen Kopf, sein Hals
knarrte. Ein totenbleiches Gesicht schwebte in dem schwachen Licht. Er erschrak
so sehr, dass er „Wah‒!", kreischte und einen Arm hob, um den
anderen reflexartig niederzuschlagen, bevor sein Gehirn überhaupt eine Chance
hatte, zu verarbeiten, was er gesehen hatte.
Doch die Gestalt in den Schatten war noch schneller und
landete blitzschnell einen Schlag auf Xue Mengs Hals und einen kräftigen Tritt
in die Eingeweide. Er zwang Xue Meng auf die Knie und hielt ihn dort fest,
während die Bücher in seinen Armen auf dem Boden verstreut wurden.
Xue Mengs leichte Überraschung verwandelte sich in einen
absoluten Schock, als er auf diese Weise zu Boden gestoßen wurde. Nach fünf
Jahren fleißigen Trainings war er nicht mehr der Junge, der er einmal gewesen
war; selbst Nangong Si war ihm nicht mehr gewachsen. Aber diese Person, deren
Gesicht er noch nicht einmal deutlich gesehen hatte, hatte ihn mit zwei
Schlägen so leicht besiegt, dass er keinen Raum für einen Gegenschlag hatte ‒
wer konnte das sein? Seine Ohren dröhnten, und alles Blut in seinem Körper
schoss ihm in den Kopf.
In diesem Moment sprach diese Person in eisigem Ton: „Ich
habe mich fünf Jahre lang zurückgezogen, und plötzlich fühlt sich jeder frei,
meine Residenz zu betreten. Wessen Schüler bist du und wo ist dein Meister? Hat
er dir denn keine Manieren beigebracht?"
Kaum hatte er geendet, drehte sich Xue Meng um und warf
sich ihm in die engste Umarmung. „Shizun! Shizun!"
Chu Wanning erstarrte.
Xue Meng hob den Kopf. Tränen fielen, obwohl er sich
bemühte, sie zurückzuhalten. Zwischen Schluchzern stieß er hervor: „Shizun, ich
bin's... Schau... ich bin's..."
Es stellte sich heraus, dass Chu Wanning gerade erst
aufgewacht war und ein Bad genommen hatte, weshalb seine Berührung kalt und ein
wenig feucht war. Er blieb wie angewurzelt stehen. Das Licht war zwar schwach,
aber jetzt, da er sich beruhigt hatte, reichte es aus, um zu sehen.
Die Person, die vor ihm kniete, war ein junger Mann von
etwa zwanzig Jahren. Er hatte helle Haut und dunkle, dicke Brauen, die tiefer
und näher an den Augen lagen als bei den meisten anderen, was ihm einen
nachdenklichen und mitfühlenden Blick verlieh. Seine Lippen waren voll und
geschwollen und hatten eine angenehme Form.
Ein Gesicht wie dieses würde selbst im Zorn verwöhnt
aussehen. Es war in der Tat allzu leicht, Menschen mit solchen Gesichtszügen
als "kokett" zu bezeichnen ‒ aber nicht ihn. Die Augen waren der
ausdrucksstärkste Teil des Gesichts, und Xue Mengs Augen waren wie ein starker
Likör: würzig, feurig und im Licht ungehemmt, was eine dominante Ausstrahlung
hatte. Diese beiden Liköre waren unverkennbar, selbst wenn sie in einem Topf
aus feiner weißer Jade steckten.
Es waren fünf Jahre vergangen. Xue Meng war erst sechzehn
gewesen, als Chu Wanning starb; jetzt war er einundzwanzig. Heranwachsende
Jungen schießen mit sechzehn oder siebzehn Jahren in die Höhe: jedes Jahr ein
neues Aussehen, alle sechs Monate ein anderer Körperbau. Da Chu Wanning fünf
Jahre dieser Entwicklung verpasst hatte, erkannte er Xue Meng überhaupt nicht
wieder, als er ihm unerwartet begegnete.
Chu Wanning starrte ihn eine lange Zeit an. „Xue Meng",
sagte er langsam. Als ob er ihn rufen würde, aber auch als ob er sich selbst
sagen würde, dass dies Xue Meng war, nicht mehr der halbwüchsige junge Mann aus
seinen Erinnerungen. Er war ein erwachsener Mann mit breiten Schultern und
einer Größe, die...
Chu Wanning zog Xue Meng mit einem Gesicht, das nichts
verriet, auf die Beine und brachte ihn zum Stehen. „Warum kniest du denn? Steh auf."
...Und einer Körpergröße, die sich nicht wesentlich von
seiner eigenen unterschied.
Der Lauf der Zeit war bei den Jungen am deutlichsten zu
sehen und machte aus einem Kind mit wenigen Handgriffen ein erwachsenes Wesen.
Die erste Person, die Chu Wanning beim Aufwachen gesehen hatte, war Xue
Zhengyong gewesen, und so war ihm nicht ganz klar geworden, wie lange fünf
Jahre waren. Aber jetzt, wo er Xue Meng gegenüberstand, wurde ihm klar, dass es
tatsächlich eine sehr lange Zeit gewesen war und dass sich viele Menschen und
Dinge verändert hatten.
Als es ihm endlich gelang, sich ein wenig zu beruhigen,
begann Xue Meng von diesem und jenem zu erzählen, wobei er sich die ganze Zeit
an Chu Wanning festhielt. „Shizun, beim spirituellen Bergwettbewerb habe ich
... den ersten Platz belegt."
Chu Wanning schaute ihn an, und ein kleines Lächeln
umspielte seine Lippen. „Das ist natürlich keine Überraschung."
Xue Meng fuhr mit rotem Gesicht fort: „Ich habe gegen Nangong
Si gekämpft. Er hatte eine heilige Waffe, ich nicht; ich..." Er fühlte
sich ein wenig unwohl dabei, so offen zu prahlen, senkte den Kopf und zupfte
verschämt am Saum seiner Robe. „Ich habe Shizun nicht in Verlegenheit gebracht."
Chu Wanning nickte, immer noch lächelnd. „Das muss sehr schwierig
gewesen sein."
„Nicht schwierig!" Xue Meng hielt inne und sagte dann:
„Es war einfach."
Chu Wanning streckte die Hand aus, um Xue Meng den Kopf zu
tätscheln, wie er es früher getan hatte, aber plötzlich fiel ihm ein, dass Xue
Meng kein Kind mehr war und es vielleicht nicht die angemessenste Geste war.
Seine Hand wich vom Kurs ab und klopfte ihm stattdessen auf die Schulter.
Die beiden hoben die auf dem Boden verstreuten Bücher auf
und stapelten sie auf dem Tisch. „Du hast so viele gekauft", sinnierte Chu
Wanning. „Wie soll ich die denn alle lesen?"
„So viele sind es nicht. Shizun kann zehn Zeilen auf einmal
lesen, das wird nur eine Nacht dauern."
Selbst nach so langer Zeit hatte Xue Mengs Bewunderung
nicht nachgelassen, doch Chu Wanning war es, der keine Worte fand. Da er nicht
wusste, wie er anfangen sollte, zündete er die Kerze an und blätterte leicht in
ein paar Büchern.
„Die Jiangdong-Halle hat jetzt einen neuen Sektenanführer?"
„Ja, der neue Sektenanführer ist eine Frau, und Gerüchten
zufolge hat sie ein ziemliches Temperament."
Chu Wanning las weiter. Die Seite, auf der er sich befand,
war eine lang‒
Die Seite, auf der er sich befand, war eine langatmige
Chronik über das Kommen und Gehen in der Jiangdong-Halle, die er mit
Begeisterung las, aber als er zu dem Abschnitt mit der Überschrift
"Biografie des neuen Sektenanführers der Jiangdong-Halle" kam, fragte
er, als wäre es ihm gerade erst eingefallen: „Wie ist es... Mo Ran in den
letzten Jahren ergangen?"
Er hatte darauf geachtet, die Frage in einem sehr milden
und sorgfältig kontrollierten Ton zu stellen, so dass Xue Meng nicht viel von
seinem Interesse ahnen konnte. Er antwortete: „Es geht ihm gut."
„Was soll das denn heißen?", fragte Chu Wanning und
blickte auf.
Xue Meng überlegte, wie er es am besten ausdrücken konnte. „Das
heißt, dass er jetzt mehr oder weniger ein anständiger Mensch ist."
„War er denn vorher kein anständiger Mensch?" Doch
bevor Xue Meng den Mund öffnen konnte, um zu antworten, nickte er vor sich hin.
„In der Tat war er nicht. Fahr fort."
Xue Meng zögerte und zauderte. Seine Spezialität war es,
seine eigenen Taten in langen, dramatischen Erzählungen darzulegen, während er
die Taten anderer einfach und zügig beschrieb ‒ vor allem, wenn diese andere
Person Mo Ran war. „Er ist in den letzten Jahren überall herumgelaufen. Er ist
ein bisschen erwachsen geworden", sagte er schließlich. „Das wars schon."
„Hat er nicht am Spirituellen Bergwettbewerb teilgenommen?"
„Nein, er hat sich damals im Schneetal kultiviert."
Chu Wanning ging nicht weiter auf das Thema ein. Die beiden
unterhielten sich über verschiedene andere Themen. Aus Sorge, Chu Wanning
könnte müde werden, behielt Xue Meng all die unzähligen Dinge für sich, die er
noch sagen wollte, und entschuldigte sich.
Nachdem er gegangen war, legte sich Chu Wanning, noch immer
angezogen, auf das Bett. Er erinnerte sich an alles, was in der Unterwelt
geschehen war, und so war er nicht überrascht, wie sehr sich Mo Ran verändert
hatte. Die Zeit wartete auf niemanden. In den Jahren, die er verpasst hatte,
war sogar Xue Meng so sehr gewachsen, dass sie kaum wiederzuerkennen war. Er
fragte sich, wie Mo Ran jetzt wohl aussehen mochte.
Er erinnerte sich daran, was Xue Zhengyong vor seiner
Abreise zu ihm gesagt hatte: „Yuheng, lass uns morgen in der Mengpo-Halle ein
Bankett geben, um deine Rückkehr aus der Abgeschiedenheit zu feiern. Ich habe
bereits einen Brief an Ran-er geschickt. Du willst doch sicher nicht, dass er
den weiten Weg zurücklegt, ohne ein warmes Essen und einen guten Wein zur
Begrüßung zu bekommen?"
Chu Wanning hatte also nicht abgelehnt. Er mochte keine
Menschenmengen, aber Mo Ran war schon immer seine Schwäche gewesen.
Xue Zhengyong hatte erwähnt, dass viele Dörfer am Fuße des Berges
Baitou während des letzten Himmlischen Risses in der Schmetterlingsstadt
zerstört worden waren, wobei die meisten Überlebenden entweder verletzt oder
verkrüppelt wurden. Das Ausmaß der Zerstörung war so groß, dass die Dörfer noch
immer in Trümmern lagen und die gesamte verschneite Ebene einer Hölle auf Erden
glich. Dort befand sich Mo Ran gerade und half den Dörfern beim Wiederaufbau.
Chu Wanning las noch eine Weile bei Kerzenlicht, konnte
aber schließlich dem Drang nicht mehr widerstehen. Er erhob sich und rief mit
einem Zischen seines Ärmels einen Hai-Tang-Boten herbei, dann dachte er einen
Moment nach, bevor er sprach. „Sektenanführer, wenn ich dich belästigen darf,
schickt bitte Mo Ran einen weiteren Brief und sagt ihm, er solle sich nicht
beeilen. Es wäre schön, wenn er rechtzeitig zurückkäme, aber es ist auch in
Ordnung, wenn er es nicht schafft. Ich werde es ihm nicht verübeln. Es wird
kalt, und die Winter in den Baitou-Bergen waren schon immer streng. Sagt ihm,
er soll sich zuerst um die Dörfer kümmern, keine schlampigen Eilaufträge."
Erst nachdem er den Hai-Tang abgesetzt hatte, legte sich
Chu Wanning seufzend zurück ins Bett und nahm das halbgelesene Exemplar der Annalen
der Kultivierungswelt zur Hand, um dort fortzufahren, wo er aufgehört
hatte. Er war kein so unverschämt schneller Leser, wie Xue Meng gesagt hatte,
und konnte nicht den ganzen Stapel Bücher in einer Nacht lesen. Aber ein paar
von ihnen zu beenden, war kein Problem.
Geschmolzenes Wachs sammelte sich im Kerzenständer, während
die Nacht immer tiefer wurde. Chu Wanning klappte das Buch zu und schloss die
Augen, wobei sich eine leichte Falte zwischen seinen Brauen bildete. Er hatte
in den letzten fünf Jahren fast alle wichtigen Ereignisse in der Kultivierungswelt
durchgelesen. Der Inhalt der Aufzeichnungen war anfangs eher unscheinbar
gewesen, aber als er den zweiten Himmlischen Riss in der Schmetterlingsstadt
erreicht hatte, tauchte der Name von Mo Ran in einer Passage nach der anderen
auf. Chu Wanning lag zunächst auf der Seite und stützte sich mit einer Hand auf
die Wange, während er mit der anderen faul durch die Seiten blätterte, aber an
dieser Stelle setzte er sich instinktiv auf, hielt das Buch mit beiden Händen
und las aufmerksam.
Die Menschen aus dem unteren Kultivierungsreich
flohen nach Osten, wurden aber an der Grenze mit einer bewachten Mauer
konfrontiert und an der Einreise gehindert. Gleichzeitig war der Himmel mehrere
Tage lang bewölkt, so dass es den bösen Geistern ermöglichte, sich tagsüber
frei zu bewegen. Das einfache Volk starb zu Tausenden vor der Mauer, und das
Blut floss in Strömen. Im September war die Nahrungszufuhr für siebzehn Tage
unterbrochen, Mord und Kannibalismus waren an der Tagesordnung...
Dies war die Chronik einer Zeit, in der die Dämonen und bösen
Geister ihr Unwesen trieben, und viele Bürger die Zuflucht im oberen Kultivierungsreich
suchten, wurden an der Grenze abgewiesen. Aus Verzweiflung und Hunger töteten
und aßen sie schließlich ihre Mitmenschen, um zu überleben. Dass Szenen solchen
Grauens und Gemetzels auf eine Handvoll Zeilen auf dem Papier reduziert worden
waren, hinterließ beim Lesen einen sauren Geschmack in Chu Wannings Mund.
Die Verteidigung wurde von den jungen Meistern
Meng und Ran vom Sisheng-Gipfel angeführt. Xue Mengs Ruf stieg, als er Tausende
von bösen Geistern vernichtet und viele weitere durch die Klinge Longcheng
zurückgedrängt wurden. Mo Ran reparierte im Alleingang den himmlischen Riss und
verbannte die Dämonen mit Barrieretechniken, die denen seines Meisters, Chu
Wanning, verblüffend ähnlich waren, zurück in die Unterwelt.
Chu Wanning öffnete seine Augen ein wenig weiter; obwohl er
wusste, dass der hier beschriebene Himmlische Riss nicht so schwerwiegend war
wie der, in dem er sein Leben verloren hatte, war er dennoch überrascht. „Er
kann jetzt ganz allein einen Riss reparieren?"
Während er weiterlas, wurden immer mehr Taten von Mo Ran
erwähnt, der das Böse besiegte, während er durch das Land zog.
Die Region Hedong wurde von einem Dämon
heimgesucht, gegen das sich das Bitan-Gut aus unbekannten Gründen weigerte,
vorzugehen. Als Mo Ran davon erfuhr, reiste er dorthin und fand den Dürredämon
des Gelben Flusses. Nach einem dreitägigen Kampf enthauptete er den Dämon und
verbrannte seinen Kopf, um die Bedrohung zu beseitigen. Der junge Meister wurde
jedoch schwer verletzt, sein Unterleib und sein Brustkorb waren durchbohrt
worden. Er hatte das Glück, Jiang Xi, den Sektenanführer von Guyueye, zu treffen...
Selbst die Spitzen von Chu Wannings Fingern waren eiskalt. Der
junge Meister wurde jedoch schwer verletzt, sein Unterleib und sein Brustkorb
waren durchbohrt worden
Wessen Unterleib, wessen Brustkorb? Der von Mo Ran? Chu
Wanning las die Passage noch vier oder fünf Mal und traute seinen Augen nicht,
obwohl er noch nie in seinem Leben etwas falsch gelesen hatte. Beim sechsten
Mal legte er sogar einen Finger auf die Seite, um die Worte einzeln zu lesen.
Als Mo Ran davon hörte, reiste er dorthin... einem
dreitägigen Kampf...
Chu Wanning konnte sich die schwarzgewandete Silhouette
vorstellen, wie sie mit langen Stiefeln durch die hoch aufragenden Wellen des
Gelben Flusses schritt, eine Hand hinter dem Rücken, die andere um eine helle
heilige Waffe in Form einer Weidenranke gewickelt.
…enthauptete den Dämon und verbrannte seinen Kopf, um
die Bedrohung zu beseitigen. Der junge Meister wurde jedoch schwer verletzt.
Seine Hand auf dem Blatt ballte sich zu einer so festen
Faust, dass die Knöchel weiß wurden. Er sah, wie Mo Ran inmitten der tosenden
Wellen mit der Ranke ausholte, wie Jiangui in einem feurigen Bogen über den
Himmel schnappte, den Kopf des Dürren-Dämons abtrennte und Blut in die Luft
schickte; im selben Augenblick durchbohrten die scharfen Klauen des Dürren-Dämons
Mo Rans Oberkörper.
Die riesige, kopflose Bestie taumelte noch einen Moment,
bevor sie mit einem ohrenbetäubenden Krachen zu Boden stürzte und mit
ihrem kolossalen Körper den Flusslauf des Gelben Flusses selbst abschnitt. Mo
Ran brach am Flussufer zusammen und konnte sich nicht mehr auf den Beinen
halten, da seine Roben mit Blut getränkt waren...
Chu Wanning schloss langsam die Augen und öffnete sie
lange, lange Zeit nicht. Seine leicht bebenden Wimpern wurden feucht.
Schließlich wurde Mo Ran in allen Büchern ausnahmslos als
"Mo-Zongshi" bezeichnet. Diese Worte hinterließen bei Chu Wanning ein
Gefühl von unbeschreiblicher Fremdheit und Ungewohntheit. Er konnte den
strahlend lächelnden, faulen Jugendlichen, der in seinen Erinnerungen lebte,
nicht mit einer Anrede wie "Mo-Zongshi" in Einklang bringen. Was Mo
Ran betraf, so hatte er so viel verpasst; Chu Wanning fragte sich plötzlich, ob
er diesen Schüler noch erkennen würde, wenn er morgen zurückkäme.
Ein Schüler, der viel mehr Narben trug, ein Schüler, der zu
Mo-Zongshi geworden war. Chu Wanning konnte sein vages Unbehagen bei diesem
Gedanken nicht unterdrücken. Er wollte Mo Ran unbedingt sehen, traute sich aber
nicht so recht.
Von diesen Ängsten geplagt, schlief Chu Wanning erst in der
zweiten Hälfte der Nacht ein. Selbst nachdem er einmal gestorben war, wusste
dieser Mann immer noch nicht, wie er sich um sich selbst kümmern sollte: Er lag
in einem Durcheinander von Büchern und ohne Decke da. Er war noch müde, weil er
sich noch nicht ganz erholt hatte, und da sich kaum jemand ohne Erlaubnis in
den Roten-Lotus-Pavillon traute, kam auch niemand, um ihn zu wecken. Chu
Wanning verschlief schließlich den ganzen Tag.
Als er aufwachte, war es bereits Abend des nächsten Tages.
Er öffnete das Fenster, um die untergehende Sonne zu sehen, und verfiel in ein
langes Schweigen. Im See spiegelten sich die dunkelroten Wolken, und über dem
Horizont schwebte ein Kranich, der am Ende eines langen Tages in sein Nest
zurückkehrte.
Es war bereits Abend... Hatte er die Nacht und den ganzen
nächsten Tag verschlafen?
Chu Wannings Gesicht war aschfahl. Ein Knacken
ertönte an der Stelle, an der seine Hand auf dem Fensterrahmen ruhte ‒ er hatte
den Holzbalken fast in zwei Teile zerbrochen. Das war absolut inakzeptabel. Das
Bankett, das der Sektenanführer zu seinen Ehren veranstaltete, stand kurz
bevor, und er war immer noch schläfrig, mit zerzauster Kleidung und zerzaustem Haar...
Was sollte er tun? Er war beunruhigt. Was soll er tun, was soll er
tun, was soll er tun?
„Yuheng!" Zu seinem Glück hatte Xue Zhengyong genau
diesen Moment gewählt, um sich selbst hereinzubitten. Er erstarrte bei dem
Anblick von Chu Wanning, der mit einem unentzifferbaren Gesichtsausdruck auf
dem Bett saß. „Bist du immer noch nicht aufgestanden?"
„Ich bin wach", antwortete Chu Wanning. Und er hätte
auch eine würdevolle Miene aufgesetzt, wäre da nicht die Haarsträhne an seiner
Schläfe gewesen. „Braucht der Sektenanführer etwas, weil er persönlich den
ganzen Weg hierhergekommen ist?"
„Oh nein, mir geht es gut, ich habe mir nur Sorgen gemacht,
weil ich dich den ganzen Tag nicht von hier herunterkommen gesehen habe."
Xue Zhengyong rieb sich die Hände. „Wenn du schon auf bist, wasch dich und zieh
dich an, dann komm zum Bankett in die Mengpo-Halle. Bevor er abreiste, sagte
Meister Huaizui, du solltest vierundzwanzig Stunden lang nichts essen. Nun, du
hast seit dem Aufwachen gestern nichts mehr gegessen, und jetzt sind schon
vierundzwanzig Stunden vergangen. Perfektes Timing. Ich habe ein paar deiner
Lieblingsgerichte zubereiten lassen: gedämpfte Krabbenfleischbällchen, süße
Osmanthus-Lotuswurzel und so weiter. Komm, wir gehen zusammen rüber."
„Danke, dass du dir die Mühe gemacht hast." Als er
hörte, dass geschmorte Krabbenfleischbällchen und süße Osmanthuswurzel auf ihn
warteten, verschwendete Chu Wanning keine Zeit mehr damit, sich vorzubereiten,
sondern zog sich um und machte sich sofort mit Xue Zhengyong auf den Weg den
Berg hinunter. Gedämpfte Krabbenfleischbällchen mussten heiß gegessen werden,
denn wenn sie abkühlten, wurden sie fade.
„Kein Problem, kein Problem." Xue Zhengyong rieb sich
noch einmal die Hände, während er Chu Wanning dabei zusah, wie er sich die
Schuhe anzog, und erinnerte sich plötzlich an eine weitere Neuigkeit. „Ach ja,
eine Sache noch."
Chu Wanning war noch nie gut in den alltäglichen Dingen des
Lebens gewesen, und sein fünfjähriger Schlummer hatte es nur noch schlimmer
gemacht. Eine gute Minute lang versuchte er, die linke Socke an den rechten Fuß
zu ziehen, bevor er es sich anders überlegte und die Socken vertauschte, wobei
er die ganze Zeit ein perfektes Gesicht machte, das absolut nichts verriet. Er
konzentrierte sich darauf, die Socken zurechtzurücken, und antwortete, ohne
aufzublicken, freundlich: „Was ist denn los?"
„Ich habe heute Morgen einen dringenden Brief von Ran-er
erhalten", sagte Xue Zhengyong mit einem Grinsen. „Er sagt, er kommt heute
Abend auf jeden Fall zurück. Und er hat dir auch ein Glückwunschgeschenk
mitgebracht; er wird wirklich immer aufmerksamer, je älter er wird, ich... Hey,
Yuheng, warum ziehst du deine Socken aus?"
„Nur so, das sind die von gestern", sagte Chu Wanning.
„Sie sind ein bisschen schmutzig. Ich ziehe ein frisches Paar an."
„...Warum hast du das dann nicht früher getan?"
„Es ist mir erst jetzt eingefallen."
Xue Zhengyong war ein offener und geradliniger Mensch; er
dachte nicht lange darüber nach. Er sah sich ein wenig im Raum um, bevor er
sagte: „Weißt du, Yuheng, du wirst nicht jünger. Wenn du mich fragst, ist es an
der Zeit, dass du dir einen Kultivierungspartner suchst. Als Meister Huaizui
wegging, war alles ordentlich und aufgeräumt, aber jetzt, wo du aufgewacht
bist, liegen schon überall Papiere und Kleider herum, obwohl du noch nicht
lange hier wohnst... Ich werde ein Auge auf dich haben, wie wär's?"
„Sektenanführer, geh bitte."
„ÄH?"
Chu Wannings Gesicht war wie eine Gewitterwolke. „Ich ziehe
mich um." „
Haha, klar, ich gehe schon. Aber die Sache mit dem Kultivierungspartner...?"
Chu Wanning hob den Kopf, seine Augen waren kalt wie zwei
gefrorene Seen, als er den taktlosen Xue Zhengyong mit einem grellen Blick
bedachte. Endlich begriff Xue Zhengyong und kicherte unbeholfen. „War nur eine
Frage. Ich habe mich gefragt, was du bei einem Kultivierungspartner suchst. Ich
bin sicher, dass du dich nicht mit irgendjemandem zufrieden geben würdest."
Chu Wanning warf Xue Zhengyong hinter seinen Wimpern einen
weiteren bösen Blick zu.
Xue Zhengyong seufzte. „Was irre ich mich?", sagte er
hilflos. „Ich weiß, du bist wählerisch."
„Ich habe nur Besseres zu tun", antwortete Chu Wanning
milde. „Wieso ist das wählerisch?"
„Na gut, wenn du nicht wählerisch bist, dann sag mir, was
dein Typ ist. Kein Druck oder so, nur damit ich ein Auge darauf werfen kann."
Chu Wanning war bereits verärgert und weigerte sich, noch
mehr Zeit auf dieses Thema zu verschwenden, und sagte abweisend: „Lebendig.
Weiblich. Der Sektenanführer kann gerne ein Auge auf sie werfen. Sieh zu, dass
du rauskommst."
Er schob Xue Zhengyong in Richtung Tür, aber Xue Zhengyong
wollte noch nicht aufgeben, vor allem nicht nach der ganzen Sache mit dem
Sterben ‒ er war wirklich und wahrhaftig von ganzem Herzen daran interessiert,
Chu Wanning unter die Haube zu bringen.
Als Chu Wanning gestorben war, bedauerte Xue Zhengyong
sehr, dass dieser Mann kein Kind hinterlassen hatte, so wie sein Bruder. Was
bedeutete, dass er nichts hatte, um sich an ihn zu erinnern, und niemanden, um
sich um ihn zu kümmern und auch nichts um wieder Gutmachung zu leisten. Chu
Wanning hatte weder Kinder noch Geschwister und war immer für sich geblieben.
Xue Zhengyong war untröstlich gewesen und hatte sich unglaublich schuldig
gefühlt. Mehr noch, das Gefühl, dass Chu Wanning einsam und bemitleidenswert
war.
„Das sagt mir überhaupt nichts... Yuheng, wirklich, ich
meine es ernst ‒ hey!"
Xue Zhengyong, so sehr er sich auch wehrte, wurde
schließlich hinausgeschoben und die Tür vor der Nase zugeknallt. Gefolgt von
einer Barriere, um sicherzustellen, dass er draußen blieb.
Er starrte fassungslos auf die Barriere.
⇐Vorheriges Kapitel Nächstes Kapitel⇒
ich muss lesen we/ann sie sich endlich wiedersehen
AntwortenLöschenDas dauert nicht mehr lange, nächste Woche ist es soweit.
LöschenAch, Chu Wanning ist so niedlich
AntwortenLöschenSein Herz gehört ja schon jemanden, wofür braucht er einen Heiratsvermittler? Chu Wanning braucht eher einen Gefühlevermittler.
LöschenDer Anfang fing schon mal gut an XD Und das erste Treffen, war schon so awww. Xue Meng hat seinen Shizun wieder Q____Q Und Chu Wanning merkt langsam, was fünf Jahre so ausmachen, und wie sich in der Zeit jemand verändern kann. Bei Xue Meng sieht er es gut, bei Mo Ran konnte er es bisher nur aus den Büchern lesen und was dieser geleistet und überstanden hat.
AntwortenLöschenDas Chu Wanning noch müde und fertig ist, ist verständlich. Das braucht Zeit und dann kommt Xue Zhengyong mit Kultivierungspartner daher XDD Kein gutes Thema, vor allem wenn man erst aufgewacht ist XD
Und man kann sich so gut vorstellen, wie alles wieder Chaotisch rumliegt XD
Aber jetzt bin ich sowas von gespannt auf Chu Wanning und Mo Ran ihr treffen *-*
Fünf Jahre sind unglaublich viel, vor allem dann wenn man noch nicht ganz ausgewachsen ist. Manchmal können selbst sechs Monate immense Unterschiede machen.
LöschenIch fand es erschütternd, dass das obere Kultivierungsreich nicht einmal den Flüchtlingen geholfen hat. Hätte man in der Barriere nicht einen kleinen Durchgang mit Kontrollen und so schaffen können? Den hätte man auch prima verteidigen können ohne großes Risiko. Aber nein, lieber nichts riskieren und alle sterben lassen, sobald man nicht betroffen ist, ist ja alles gut. Aber wehe, man steckt selber in so einer Situation, dann schreit man regelrecht um Hilfe. Ich muss nur an die Situation vom himmlischen Riss bei der Schmetterlingsstadt denken. Hat da nicht einer behauptet er würde sich auch dafür entscheiden seine eigene Sekte von der restlichen Welt abzuschließen und dabei das Über drin behalten. Da waren seine Worte wohl nichts als leere Luft, denn wenn man niemanden in so einer ausweglosen Situation hilft, dann opfert man sich auch nicht für das größere Wohl und bleibt egoistisch. Wenn man jetzt auch noch bedenken würde, wenn es den Sisheng-Gipfel nicht gäbe. Würde das untere Kultivierungsreich so gar keine Hilfe in einer solchen Situation bekommen. Das Xue Zhengyong den Sisheng-Gipfel gegründet hat, war wohl der reinste Segen.
Ich glaube Xue Zhengyong kann es nicht mehr mit ansehen, wie sie sein Freund einsam und allein seinen Weg bestreitet. Wie er wohl reagieren wird, wenn er von Chu Wannings und Mo Rans zukünftiger Beziehung erfährt? Ich glaube er würde sich für die beiden freuen, dass sie ihr Glück gefunden haben.