Chu Wanning lag in dieser Nacht in seinem Bett im Roten-Lotus-Pavillon, wälzte sich hin und her und konnte keinen Schlaf finden. Er dachte darüber nach, wie Mo Ran zu dem Mann herangewachsen war, der er jetzt war. Mo-Zongshi, Mo Weiyu; alles, was er sehen konnte, wenn er die Augen schloss, waren die schönen Züge dieses Mannes und seine hellen, ruhigen Augen, in denen Entschlossenheit und Zärtlichkeit gleichermaßen lagen.
Chu Wanning fluchte leise vor sich hin und schlug die
Bettdecke vom Bett, um sich dann darauf zu verkrümeln, während er gequält zu
den Dachbalken hinaufstarrte. Er versuchte alles, um aus dem Ozean der
Begierden herauszuwaten, um die Fäden der Begierde abzuschneiden. Am Ende war
er erschöpft.
„Mo Weiyu, du Bastard", murmelte er.
Er wandte den Kopf ab, konnte aber den Gedanken nicht
entkommen. Es war fast so, als wäre dieser heiße, feste Körper aus den
Melodischen Quellen noch immer direkt vor ihm ‒ er konnte die breiten Schultern
sehen, die definierten Konturen seines Rückens und die Art, wie das Wasser
langsam an seinen Bauchmuskeln entlang glitt, als er sich umgedreht hatte...
Chu Wanning schreckte vom Bett auf, sein Gesicht war
aschfahl. Er wagte nicht, diesen Gedanken zu Ende zu denken. Er griff nach dem
ersten Buch, das seine Hand berührte, als wäre es eine Rettungsleine.
Armer, unglücklicher Chu Wanning. Er hatte ein so
respektables Leben geführt und war nun darauf reduziert, Bücher zu benutzen, um
seine inneren Dämonen abzulenken. Er wusste nicht, welches Buch er aus dem
Stapel genommen hatte, den Xue Meng gekauft hatte, aber die Seiten waren mit
dicht gedrängten Zeilen winziger Schrift bedeckt. Chu Wannings Augen glitten
über die Worte, ohne zunächst etwas zu erfassen, und erst nach einigen Minuten
erkannte er, was er da las.
Auf dem dünnen Papier stand eine sehr saubere Zeile
geschrieben:
Rangliste der Größe der jungen Helden in der Kultivierungswelt
Chu Wanning kannte die Worte einzeln, aber zusammen ergaben
sie nicht viel Sinn. Junge Helden...Größe...Rangliste? Welche Größe? Größe?
Als er weiterlas, entdeckte er eine Notiz in kleiner
Schrift: Diese Beobachtungsrangliste ist keine vollständige Auflistung, da
einige junge Helden nie im Freien baden oder nie Vergnügungsviertel besuchen.
Die folgenden Personen fehlen in der Rangliste: Nangong Si und Xu Shuanglin von
der Rufeng-Sekte, Jiang Xi von Guyueye, Xue Meng, Xie Fengya und Chu Wanning
vom Sisheng-Gipfel...
Chu Wanning blinzelte. Was sollte das bedeuten? Ihre Größe
war doch sicher auch ohne öffentliches Baden oder den Besuch von
Vergnügungsvierteln offensichtlich? Und er selbst wurde auch nur am Rande
erwähnt... Er zog die Stirn in Falten und legte einen Finger auf die
verkrampften Zeilen, um seinen Platz zu halten, als er weiterlas, nur um beim
ersten Namen auf der Liste zu ersticken.
Mo Weiyu
Gongzi vom Sisheng-Gipfel, Mo-Zongshi
Chu Wanning dachte kurz an die Gestalt von Mo Ran zurück.
Um ehrlich zu sein, war er ziemlich groß geworden, aber doch nicht so groß,
dass er an erster Stelle stand?
Als er weiterlas, stand da: Gesehen beim Baden in der
Halle der Überflüssigen Tugenden; definitiv kein alltäglicher Gegenstand,
wahrhaft ehrfurchtgebietend.
Chu Wanning blinzelte verwirrt. Baden in der Halle der
reichhaltigen Tugenden... definitiv kein alltäglicher Gegenstand...?
Irgendetwas kam Chu Wanning nicht ganz geheuer vor, aber er
war wirklich viel zu rein im Kopf und konnte es auch nach längerem Grübeln
nicht enträtseln. Also konnte er nur weiter lesen.
Die Person auf dem zweiten Platz war ein wandernder Kultivierer,
von dem er noch nie gehört hatte. Daneben stand geschrieben: Gesehen beim
Baden im Wald; mächtig.
„Was ist das für ein Kauderwelsch?" Chu Wanning war
ein wenig irritiert. „Vielleicht können Schuhe und Haare die Größe einer Person
erhöhen, aber nicht so sehr, dass es einen Unterschied macht. Warum geht man so
weit, Leute beim Baden auszuspionieren? Warum sollte diese Art von
Schundliteratur beliebt sein ..."
Dann sah er den dritten Namen‒
Mei Hanxue
Persönlicher Schüler des Sektenanführers des
Kunlun-Taxue-Palastes
Der Text daneben war dieses Mal anders; statt ‘beim Baden
gesehen‘ stand dort: Gemessen von einem der Mädchen des Chunying-Pavillons
und bestätigt von einer Reihe von Frauen aus der Kultivierungswelt; Mei-Gongzis
Gabe könnte eine Dame so geschmeidig machen, dass ihr Körper wie Wasser und
ihre Knochen wie Schlamm wären, und sie könnte auch ohne Weiteres zehn Menschen
pro Nacht bedienen.
Für einen langen Moment war es totenstill.
Der Kopf des Yuheng Ältesten explodierte in einem
dröhnenden Summen. Mit glühendem Gesicht und flackerndem Blick schleuderte er
das Büchlein mit großer Wucht durch den Raum, als hätte es ihn verbrannt, und
war außer sich vor Wut.
Was hatte er da gerade gelesen? Welche Größe?! Auch wenn er
begriffsstutzig war, so begriffsstutzig war er auch wieder nicht. Welche
Größe sollte es denn sonst sein?! Dreckig! Schamlos! Unanständig! Eine Schande!
Selbst nachdem er eine ganze Weile steif im Bett gesessen
hatte, war Chu Wanning immer noch wütend. Er stand auf, nahm das Büchlein in
die Hand und sprengte es mit einem Impuls spiritueller Energie aus seinen
Fingerspitzen in eine Million winziger Stücke. Doch wie ein glühend heißes
Brandeisen hatten sich die Worte ‘definitiv kein alltäglicher Gegenstand,
wahrhaft Ehrfurcht gebietend‘, bereits mit einem Zischen in sein Herz
gebrannt, so dass sein Gesicht errötete und sein Herz wie wild schlug.
Chu Wanning war ein sehr korrekter, sehr aufrechter Mensch.
Vorhin, in den Melodischen Quellen, hatte er ganz bewusst die Augen offen
gehalten und nicht einmal einen Blick in die Richtung geworfen, in die er nicht
sollte. Außerdem war durch den ganzen Dampf alles so verschwommen, dass er
sowieso nichts gesehen hätte. Aber dieser dreckige Wälzer hatte es geschafft,
mit ein paar Worten das Bild vor seinen Augen zu malen. Schlimmer noch, Worte
boten oft einen noch fruchtbareren Boden für die lebhafte Vorstellungskraft des
Geistes als Bilder.
definitiv kein alltäglicher Gegenstand
Chu Wanning strich sich mit den Händen über das Gesicht.
Nach einer langen Pause griff er nach der Bettdecke und zog sie sich über den
Kopf. Es war erst sein erster Tag aus der Abgeschiedenheit, und schon hatte er
das Pech, dies erleiden zu müssen. Die Zeiten haben sich wirklich geändert,
dachte Chu Wanning verbittert ‒ am liebsten würde er sich hinlegen und wieder
tot sein!
Doch der Yuheng Ältester hatte sich immer an die höchsten
Standards gehalten. Obwohl er in dieser Nacht kaum ein Auge zugetan hatte,
stand er am nächsten Tag pünktlich auf, wusch sich, zog sich an und stieg mit
würdevoller und beherrschter Miene vom Südgipfel des Sisheng-Gipfels herab,
obwohl er sich innerlich sehr unwohl fühlte.
Heute war der Tag der monatlichen Beurteilung durch die
Sekte. Die Plattform der Sünde und der Tugend glitzerte im Licht der Sonne, die
von den leichten Rüstungen reflektiert wurde, während Tausende von Schülern
unter den prüfenden Augen der Ältesten auf den Plattformen hoch oben ihre
Kampfkunstübungen absolvierten. Obwohl er fünf Jahre lang abwesend gewesen war,
befand sich Chu Wannings Platz immer noch genau dort, wo er früher war, zur
Linken von Xue Zhengyong. Mit müdem Gesichtsausdruck und einer weißen Robe, die
auf dem Boden schleifte, stieg er die blauen Steinstufen hinauf, nahm mit einem
Schwung seiner weiten Ärmel auf seinem Warteplatz Platz und schenkte sich in
aller Ruhe eine Tasse Tee ein, während er zusah.
Xue Zhengyong bemerkte seinen mürrischen Gesichtsausdruck
und vermutete, dass Chu Wanning wütend darüber war, dass Mo Ran gestern Abend
das Bankett verpasst hatte, also beugte er sich vor und beruhigte ihn mit
leiser Stimme. „Yuheng, Ran-er ist zurück."
Doch wider Erwarten erntete er damit nur einen finsteren
Blick, der zwischen Chu Wannings Brauen zuckte, und einen noch mürrischeren
Ausdruck. „Ich weiß, ich habe ihn schon gesehen."
„Ah? Du hast ihn schon gesehen?" Nach einer Pause
nickte Xue Zhengyong. „Großartig! Also, was denkst du? Er hat sich ganz schön
verändert, was?"
„Mn..."
Chu Wanning wollte nicht über Mo Ran sprechen, vor allem
nicht, wenn man bedenkt, dass ihm seit gestern ununterbrochen die Worte definitiv
kein alltäglicher Gegenstand, wahrhaft ehrfurchtgebietend im Kopf
herumschwirrten. Er hatte auch nicht vor, unten, in der Menschenasse nach Mo
Ran zu suchen. Stattdessen blickte er auf den Tisch hinunter.
„Das ist eine Menge Obst und Gebäck."
Xue Zhengyong grinste. „Du hast noch nicht gefrühstückt,
oder? Iss ruhig."
Chu Wanning machte sich nicht die Mühe, höflich abzulehnen.
Er nahm sich Stück Lotusgebäck und aß es mit seinem Tee. Die Füllung bestand
aus roter Bohnenpaste und flockigen Schichten, die die erfrischende Süße von
Osmanthusblüten enthielten.
„Die schmecken, als kämen sie aus dem Kühle-Prise-Pavillon...",
murmelte Chu Wanning und wandte sich dann an Xue Zhengyong. „Wurden sie nicht
von der Mengpo-Halle hergestellt?"
„Nö. Ran-er hat sie nur für dich mitgebracht." Xue
Zhengyong grinste. „Siehst du, die anderen Ältesten haben nichts
bekommen."
Erst jetzt bemerkte Chu Wanning mit Verspätung, dass der
Holztisch vor ihm der Einzige war, der mit Stapeln von Früchten und Snacks
beladen war, von Gebäck bis zu gezuckerten Desserts. Es gab sogar eine kleine,
jadefarbene Porzellanschüssel, die, als er den Deckel anhob, genau drei süße Tangyuan enthielt. Die Schalen dieser runden Tangyuan
waren nicht wie üblich aus weißem Klebreis, sondern aus Lotuswurzelpulver,
einer Lin'an-Spezialität, hergestellt, so dass sie die durchscheinende Farbe
von Jade hatten.
„Oh ja, Ran-er hat sich heute Morgen die Küche der
Mengpo-Halle ausgeliehen, um sie zu machen. Die rote hat eine Füllung aus Rosen
und roter Bohnenpaste, die gelbe ist mit Erdnuss-Sesam, und die grüne hat
anscheinend eine ausgefallene Teehaut, die aus pulverisiertem Longjing-Tee
besteht. Interessante Geschmacksrichtungen, schade, dass es nicht mehr davon
gibt", murmelte Xue Zhengyong. „Sie sind wirklich schick und so, aber er
war den ganzen Morgen da drin und hat nur drei gemacht."
Chu Wanning betrachtete die Tangyuan schweigend. „Yuheng,
ist das genug für dich?"
Eine lange Pause. „Mn." Chu Wanning nickte.
Wenn er Tangyuan aß, aß er eigentlich immer nur drei. Der Erste
war süß, der zweite hatte einen angenehmen Nachgeschmack, der dritte war genug,
und eine Vierte wäre zu viel. Es war ein glücklicher Zufall, dass Mo Ran
zufällig genau drei gemacht hatte, nicht mehr und nicht weniger, genau so, wie
er es mochte.
Chu Wanning nahm den Porzellanlöffel in die Hand und
schöpfte eines der bezaubernd runden Tangyuan aus Lotuspulver. Er hielt es an
die Lippen und staunte, dass es genau die richtige Größe hatte, um es in einem
Bissen zu essen ‒ ganz im Gegensatz zu denjenigen, die die Mengpo-Halle für das
Laternenfest herstellte, die so groß waren, dass sie ihm im Mund klebten und er
sie nur mit Mühe kauen konnte. Die Person, die diese Tangyuan hergestellt
hatte, schien genau zu wissen, wie viel sein Mund aufnehmen konnte, wie groß
die Kugeln sein mussten, um bequem in seinen Mund zu passen. Selbst die
klebrige Füllung schien mit ungeahnter Intimität vermischt zu sein.
Der Gedanke daran brachte Chu Wannings Herz aus irgendeinem
Grund zum Flattern, in dem kurzen Moment, bevor es von der Scham erdrückt und
unter einen Anschein von kühler Gelassenheit unter den Teppich gekehrt wurde. „Er
ist ein ziemlich guter Koch."
„Schade, dass er sie nur für dich gemacht hat. Niemand
sonst bekommt etwas davon, nicht einmal sein armer Onkel." Xue Zhengyong
seufzte reumütig.
Chu Wanning sagte nichts. Er presste die Lippen leicht
aufeinander, während er zuhörte, und müßig die Suppe rührte, die noch in der
Schüssel war. Die Tangyuan waren inzwischen weg, das perfekte Maß an Süße
breitete sich langsam in seinem Herzen aus.
Als er mit dem Essen fertig war, kümmerte sich Chu Wanning
nicht mehr um die lebhaften Übungen unten, sondern nahm ein Buch vom Tisch, das
die Ereignisse der letzten fünf Jahre auf dem Sisheng-Gipfel aufzeichnete.
Diese Aufzeichnungen wurden alle von Xue Zhengyong geführt und waren daher
einfach und präzise. Chu Wanning las sie in kürzester Zeit von vorne bis hinten
durch. Als er das Buch zuklappen wollte, bemerkte er einen weiteren Band
darunter.
„Was ist das..." Er nahm das fadengebundene Buch in
die Hand; es war schockierend dick.
Xue Zhengyong warf einen grinsenden Blick darauf. „Noch ein
Geschenk von Ran-er. Es war ihm zu peinlich, es dir persönlich zu geben, weil es
auf dem Heimweg aus Versehen etwas Blut abbekam, als er sich um ein paar böse
Geister kümmerte, und einige Seiten sind auch zerrissen. Er hat mich gebeten,
es dir heute Morgen auf den Tisch zu legen."
Chu Wanning nickte und schlug das Buch auf, wobei seine
schlanken Finger über die erste Seite strichen. Darauf stand in sauberer,
gerader Schrift geschrieben:
Lieber Shizun.
Seine Augen weiteten sich vor Überraschung ein wenig. An
ihn geschriebene Briefe? Sein Herz fühlte sich plötzlich an, als wäre es von
einem Feuer versengt worden, heiß und quälend. Er hob den Blick, um in dem
Menschenmeer unter ihm nach Mo Ran Ausschau zu halten, aber er sah nur endlose
Reihen glitzernder Rüstungen, wie das Licht, das von den Schuppen springender
Fische reflektiert wurde. Die Person, die er suchte, war nirgends zu sehen. Chu
Wanning wandte sich wieder den Buchstaben zu.
Mo Ran hatte seinem Shizun jeden einzelnen Tag seiner
Abgeschiedenheit vermisst. Er hatte viele Dinge, die er ihm sagen wollte, und
war besorgt, dass er sich nicht an alles erinnern würde, deshalb hatte er ein
dickes Buch mit insgesamt 1.825 Seiten anfertigen lassen. An jedem Tag dieser
fünf Jahre schrieb er seinem Shizun einen Brief über alles, was er getan oder
gesehen hatte, ob groß oder klein, vom besonders ekligen, mit Blättern
umwickelten Klebreiskuchen, den er unglücklicherweise probiert hatte, bis zu
den Erkenntnissen, die er an diesem Tag beim Kultivierungstraining gewonnen
hatte. Er schrieb alles auf.
Ursprünglich hatte er geplant, dass das Buch genau 1.825 Seiten
haben sollte, nicht mehr und nicht weniger, so dass der Tag, an dem er den
letzten Buchstaben auf die letzte Seite schrieb, der Tag sein würde, an dem
sein Shizun aus der Abgeschiedenheit auftauchte. Aber es gab Tage, an denen er
nicht aufhören konnte zu schreiben, an denen die Worte in einer winzigen, auf
das Blatt gepressten Handschrift aus ihm heraussprudelten, als wolle er Chu
Wanning nichts anderes zeigen als die Sanddornblüten der Äußeren Mongolei und
den dunstigen Nebel um den Berg Changbai; als wolle er nichts anderes, als die
köstlichen Süßigkeiten, die er an diesem Tag gekostet hatte, zwischen die
Seiten stecken, um sie mit Chu Wanning zu teilen, wenn er erwachte.
Die Seiten waren mit Reihen von winzigen Schriftzeichen
gesäumt. Es wurde nichts allzu Sentimentales geschrieben, auch nichts Trauriges
oder Beunruhigendes, sondern nur die glücklichen, glänzenden Momente in Worte
gefasst und nur das Gute festgehalten, um es mit Chu Wanning zu teilen.
Trotzdem waren dem Buch die Seiten ausgegangen, und er hatte einen dicken
Stapel Briefe an die Rückseite heften müssen...
Chu Wanning blätterte langsam durch das Buch, seine Augen
brannten ein wenig. Er sah, wie sich Mo Rans Handschrift veränderte, von
kindlich über ordentlich bis elegant. Die Tinte auf dem jüngsten Brief war noch
nicht getrocknet, während die Tinte auf der ersten Seite bereits vergilbt war.
In jedem Brief erschienen die Worte ‘Lieber Shizun‘ ein
wenig anders. Langsam, ganz allmählich wurden sie von leicht und zügig zu
sicher und standhaft. Bis sie gegen Ende wie ein Gemälde flossen und doch durch
Metall schneiden konnten, jeder sichere Strich eine Kunst für sich.
Chu Wanning blätterte auf die letzte Seite und berührte
erneut die Worte auf der ersten Seite.
Lieber Shizun, lieber Shizun.
Als er diese saubere Handschrift betrachtete, konnte er
fast sehen, wie sich die Spitze von Mo Rans Schreibpinsel vom Papier abhob,
konnte sehen, wie er ihn absetzte und den Kopf hob, nicht mehr der junge Mann
von früher. Vom ersten bis zum letzten Brief konnte er fast sehen, wie Mo Ran
heranwuchs, von sechzehn auf zweiundzwanzig, wie seine Figur größer und seine
Gesichtszüge ausgeprägter wurden. Und jeden Tag setzte sich dieser junge Mann
an den Tisch und schrieb einen an ihn gerichteten Brief.
„Shizun!"
Die Übung war zu Ende, ohne dass er es bemerkt hatte.
Jemand rief nach ihm. Chu Wanning sah auf und erblickte Xue Meng, der ihm
aufgeregt von der Plattform der Sünde und der Tugend zuwinkte. Neben Xue Meng
stand ein hochgewachsener Mann mit breiten Schultern, schmaler Taille und
langen Beinen, dessen Gesicht von den Übungen gerötet war und dem der Schweiß
auf der Stirn stand, glatt wie das Fell eines Panthers in der Sonne.
Als er Chu Wannings Blicke bemerkte, hielt Mo Ran inne und
begann zu lächeln. Im goldenen Licht des Morgens war sein Lächeln hell und
faszinierend, wie das sanfte Schwingen einer sonnenverwöhnten Zypresse. Seine
Augen waren voller Wärme, seine Wimpern in Sanftheit getaucht, und diese
starke, temperamentvolle Miene war ein wenig schüchtern und doch so lebendig
und feurig, dass sie einem den Atem raubte.
Wie gut er doch aussah.
Chu Wanning behielt einen sorgfältig neutralen
Gesichtsausdruck bei, während er die Arme auf dem hohen Podest verschränkte und
hochmütig nach unten blickte. Für jeden Beobachter wirkte er kühl und gelassen
wie immer. Die wenigsten wussten, dass in seinen Gedanken ein völliges Chaos
herrschte und sein Inneres vor lauter Panik zu einer Million Knoten verknotet
war.
Grinsend hob Mo Ran eine Hand und zeigte auf seine eigene
Kleidung, dann auf Chu Wanning. Chu Wanning verengte seine Phönixaugen und sah
ihn verwirrt an.
Mo Ran lächelte noch breiter. Er legte seine Hände um die
Lippen und murmelte ihm leise etwas zu.
Chu Wanning war noch mehr verwirrt. Die Morgenbrise tanzte
durch die sanft raschelnden Blätter. Mo Ran unterdrückte ein verärgertes
Lächeln und schüttelte den Kopf, dann tippte er mit einem Finger auf die
Vorderseite seiner Robe.
Chu Wanning blickte nach unten. Einen Schlag später wurden
seine Ohren rot. Unter der Anleitung seines Schülers erkannte der geschätzte
und würdige Yuheng Ältester schließlich, dass er in seiner Eile, sich heute
Morgen fertigzumachen, als er in das Durcheinander der im Roter-Lotus-Pavillon
aufgehäuften Kleidung gegriffen hatte, unwissentlich die Robe angezogen hatte,
die er sich gestern Abend von Mo Ran "geliehen" hatte.
Kein Wunder, dass es sich anfühlte, als würde etwas hinter
ihm auf dem Boden schleifen, als er heute ging! Es war der Saum der Robe!
Mo Weiyu, wie kannst du es nur wagen, so frech
zu sein!! Chu Wanning wandte sich verärgert ab. Du taktloser
Mistkerl, warum sagst du immer nur genau das, was du nicht sagen solltest!
Erklärungen:
Tangyuan sind eine traditionelle chinesische Nachspeise aus Klebreis, die zu Kugeln geformt und in einer heißen Brühe oder Sirup serviert werden. Es gibt sie in verschiedenen Größen, von einer Murmel bis zu einem Tischtennisball, und manchmal sind sie mit einer Füllung versehen. Aber da der Name ein Homophon für Vereinigung ist und Zusammengehörigkeit und Vollständigkeit symbolisiert, wird dieses Gericht beim Laternenfest, Hochzeiten, Familientreffen, dem chinesischen Neujahrsfest und dem Dōngzhì-Fest (Wintersonnenwenden-Fest) serviert. (Quelle: Wikipedia)
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*nach Luft japs und mir die Lachtränen wegwisch* Jaja, da drehen die Gedanken schon am Rad und was hilft da am besten, wenn nicht ein Buch. Wer hätte bei dem Titel als es um "Größe" ging, auch gedacht, dass es genau darum ging *hust* So unschuldig wie Chu Wanning ist und allein seine Gedanke dazu, von wegen mit Schuhen ist man größer... ich schmiss mich weg vor Lachen. Es dauerte ja etwas, bis bei ihm der Groschen fiel und dann war es soweit. XDD Aber selbst, wenn man das Buch vernichtet, was man gelesen hat, kann man so einfach nicht vergessen, vor allem wenn es um Mo Ran geht und dann noch diese Beschreibung dazu war: definitiv kein alltäglicher Gegenstand, wahrhaft ehrfurchtgebietend.
AntwortenLöschenNatürlich kann man nicht anders und man stellt sich das vor XDD Chu Wanning hat damit sicherlich noch eine Weile das Vergnügen, sich mit diesen Gedanken/Vorstellungen zu beschäftigen XDDD
Und eine recht Schlaflose Nacht hatte er dann auch. Man kann es ihm nicht verübeln XDD
Das man beim ankleiden dann nicht ganz bei der Sache ist, ist natürlich auch verständlich und so zog er ausversehen wieder die Robe von Mo Ran an XDD Ihm bleibt wahrlich gerade nichts erspart XDD
Dafür war das eine Buch mit den ganzen Briefen toll. Obwohl es so viele Seiten hatte, hat es nicht gereicht und Mo Ran legte die restlichen Briefe dazu. Mir gefiel, wie sich seine Schrift verändert hat und wie Chu Wanning daran ebenfalls die Änderung bei Mo Ran merkte.
Chu Wannings Unschuld und Naivität in solchen Dingen sind reinster Zucker und werden noch für einige komische Situationen sorgen.
LöschenDer Gedanke ist gesät und hat sofort tiefe Wurzeln geschlagen, Wurzeln die die Gedanken der Begierde und der Erotik mit sich bringen. Der arme Chu Wanning kaum ist er wiedergeboren werden seine Mauern, die er sich mühsam erarbeitet hat, von einer Person und ohne ihr zutun niedergerissen nur, um nie wieder erbaut werden zu können. Es ist einfach zu göttlich.
Um ehrlich zu sein, musste ich bei der Beschreibung "definitiv kein alltäglicher Gegenstand, wahrhaft ehrfurchtgebietend" in verschiedenen Übersetzungen suchen und sie kombinieren. Da ich die Begriffe "eine absolute Einheit" oder "definitiv nichts Vulgäres" eher unpassend fand und sie mir nicht "beeindruckend" genug waren.
Dank seiner eigenen Gedanken an Mo Ran schafft es Chu Wanning sich in eine extrem peinliche Situation zu bringen und das vor den Augen aller, die aufmerksam sind. Mal sehen, ob so was oder Ähnliches noch öfters passiert.
Mo Rans Briefe sind das süßeste, was er bisher gemacht hat. Er wollte das Chu Wanning sich nicht so fühlt, als hätte er was in diesen fünf Jahren verpasst und schreibt ihn einfach alles, auf was er schön fand, nur um ihn daran teilhaben zu lassen. Natürlich erspart er Chu Wanning die Schattenseiten in diesen fünf Jahren und will, dass sein Shizun positiv über ihn denkt.
Super, Mo Ran ist seine Sauklaue losgeworden, ich leider nicht na vielleicht wird das irgendwann doch noch etwas.
Ja, armer Chu Wanning, kein Wunder, dass ihn eine Beschreibung wie "wahrhaft ehrfuchtgebietend" für diese bestimmte Körperregion völlig verwirrt. Wieder ein schönes Kapitel, Chu Wanning wird weiterhin immer niedlicher in seiner Unbeholfenheit seinen eigenen Emotionen gegenüber.
AntwortenLöschenDa wäre nur eine Frage: Wäre Chu Wanning bei einer anderen Beschreibung von Mo Rans Größe schneller auf den richtigen Trichter gekommen?
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