Kapitel 132 ~ Shizun und Shi Mei

Am Abend, als die Vögel zum Schlafen zurückkehrten, eilten auch die Schüler des Sisheng-Gipfels zur Mengpo-Halle, nachdem sie ihre Aufgaben für den Tag erledigt hatten. Nur Mo Ran stand noch immer bei den Trainingspuppen, als würde er auf jemanden warten.

Seine Beziehung zu Xue Meng hatte sich in den letzten Jahren sehr verbessert. Es herrschte jetzt weniger Feindseligkeit zwischen ihnen, vor allem nachdem Mo Ran seinem Cousin den spirituellen Stein der höchsten Stufe gegeben hatte, der in seine Klinge Longcheng eingesetzt wurde. Xue Meng drehte sich also um, um nach ihm zu suchen. „Kommst du nicht zum Essen?"

„Noch nicht."

Im dämmrigen Licht der untergehenden Sonne sah Shi Mei umwerfend schön aus, und das Nachglühen ließ seine helle Haut noch heller erscheinen. Er strich eine lose Haarsträhne zurück und fragte: „Wartet A-Ran auf Shizun?"

„Mhm."

Mo Ran hatte Shi Mei früher am Tag beim Morgentraining gesehen. Damals, als er mit Xue Meng den Himmlischen Riss repariert hatte, war Mo Ran aufgefallen, dass Shi Mei dabei war, Xue Meng an Größe zu übertreffen. Doch in diesem Moment, als die Sonne im Westen unterging, kam es Mo Ran immer noch seltsam vor, dass er so groß vor Xue Meng stand.

Natürlich fand er nicht, dass Shi Mei schlecht aussah, es war nur so, dass... er ein seltsames Gefühl hatte, das er nicht zuordnen konnte. Mo Ran wusste nicht genau, was es war; vielleicht war er zu sehr daran gewöhnt, dass Shi Meis zierliche Figur hinter der von Xue Meng verborgen war, so dass er diese Art von Umkehrung nicht erwartet hatte.

Mo Ran lächelte Shi Mei an. „Da ich gestern das Bankett verpasst habe, wollte ich Shizun als Entschuldigung zu einem Essen auf dem Berg einladen. Deshalb werde ich heute nicht in die Mengpo-Halle gehen. Ihr könnt aber gerne mitkommen, wenn ihr wollt."

Xue Meng und Shi Mei waren es nicht gewohnt, mit Chu Wanning gemeinsam zu essen, also sahen sie sich an und gingen. Mo Ran hatte nichts anderes zu tun, also hockte er sich auf einen großen Felsen und zog einen Grashalm aus dem Fuchsschwanz, um damit zu spielen, während er wartete.

Die untergehende Sonne färbte sich tief purpurrot, und die Mondsichel begann, hinter den violetten Wolken hervorzulugen, als endlich die Gestalt einer Person auf dem Bambuspfad vom Südgipfel auftauchte und langsam schritt. Diese Gestalt hatte eine leichte weiße Robe angezogen und trug ein Stoffbündel in der Hand. Als er Mo Ran erblickte, hielt er kurz inne, und Unbehagen blitzte kurz über seine Züge.

„Ich wollte mich gerade auf die Suche nach dir machen... Was machst du hier?"

„Ich warte auf Shizun, damit wir zusammen zu Abend essen können." Mo Ran hüpfte vom Felsen, hielt immer noch das Fuchsschwanzgras in der Hand und strahlte übers ganze Gesicht. „Es gibt ein neues Restaurant in der Stadt Wuchang, und ich habe gehört, dass es dort einen berühmten Koch aus dem oberen Kultivierungsreich gibt, der wirklich gutes Gebäck macht. Deshalb wollte ich Shizun einladen, das Restaurant  mit mir auszuprobieren."

Chu Wanning schaute ihn milde an und ab. „Nicht schlecht. Wie ich sehe, hast du jetzt Geld zum Herumwerfen."

Mo Ran grinste und sagte nichts.

Verärgert warf Chu Wanning ihm das Stoffbündel zu. Mo Ran fing es auf. „Was ist das?"

„Deine Kleidung", antwortete Chu Wanning, während er an ihm vorbeiging.

Mo Ran eilte ihm lächelnd hinterher. „Diese Robe ist aus einem ziemlich guten Stoff, leicht, aber warm. Wenn es Shizun gefällt, kann ich es kleiner machen lassen und..."

„Ich trage keine gebrauchten Sachen."

Mo Ran stockte, weil es ihm peinlich war. „Das habe ich nicht gemeint. Ich habe nur gesehen, dass Shizun es heute Morgen getragen hat, und da dachte ich, es gefällt dir... Das war unbedacht von mir. Ich werde jemanden zum Schneider schicken, um eine neue Robe anfertigen zu lassen."

„Weißt du überhaupt, welche Größe ich trage?", fragte Chu Wanning.

Mo Ran dachte nach: Wie konnte er Chu Wannings Größe nicht kennen? Er konnte den Umfang von Chu Wannings Taille abschätzen, indem er einfach seine Arme um ihn legte, und er wusste, wenn Chu Wanning auf den Zehenspitzen stand, war sein Kinn auf Höhe seiner eigenen Schultern. In der Vergangenheit hatte Chu Wanning ihn manchmal im Rausch der Leidenschaft trotz seiner selbst gebissen und dabei zwei sichelförmige Zahnabdrücke neben seinem Schlüsselbein hinterlassen, die tagelang nicht verblassen würden. Natürlich kannte er auch die Länge von Chu Wannings Beinen, die so kraftvoll waren, wenn sie miteinander rangen, aber so hilflos, wenn sie sich um seine Taille legten, die schlanken Wadenmuskeln, die bebten, die sanft gerundeten Zehen, die fest gekrümmt waren... Und wie konnte er nicht die genaue Breite von Chu Wannings Schultern kennen, oder die volle, pralle Wölbung seines Gesäßes?

Chu Wanning seinerseits hatte keine Ahnung, was er gerade gefragt hatte, und stellte sich vor, dass er seinen guten Schüler Mo Weiyu mit dieser brillanten Frage verblüfft hatte. Mit einer Bewegung seiner Ärmel sagte er: „Wie kannst du überhaupt etwas bestellen, ohne meine Größe zu kennen?"

Mo Ran wusste es besser, als zu antworten. Zu seinem Unglück traf dies mit der Größe nicht zu. Er konnte es nicht abstreiten, dass seine Gedanken in der Früh immer wieder abgeschweift waren, während er die Tangyuan zubereitete, fixiert auf die Art und Weise, wie Chu Wannings Figur am Abend zuvor ausgesehen hatte: stark und durchtrainiert und wohlproportioniert, selbst im dampfenden Dunst der Melodischen Quellen, genauso unglaublich aussehend wie in seiner Erinnerung. Oder er dachte an Chu Wannings dünne, blasse Lippen, wie sie sich schmerzhaft um sein eigenes Glied gelegt hatten, als er gezwungen worden war, es zu schlucken, und wie sich seine Kehle verkrampfte, als er würgen musste.

In diesem Moment hatte Mo Ran die Augen geschlossen, sein Hals wippte, während er sich im Geiste selbst als Bestie verdammte. Respektiere ihn, schätze ihn, keine unpassenden Gedanken mehr an ihn.

Respektiere ihn... Respektiere ihn...

Zwei tiefe Atemzüge später hatte er es geschafft, seine brennende Erregung zu unterdrücken, aber die Tangyuan waren ein bisschen zu groß geraten. Sein Shizun würde sie wahrscheinlich nur schwer essen können, also warf er sie weg und machte sie neu, diesmal drei zierliche kleine. Mo Ran hielt sie eine Weile nachdenklich zwischen seinen Fingern und dachte an Chu Wannings dünne Lippen, die sich leicht öffneten, um das süße, klebrige Tangyuan in die weiche Wärme seines Mundes zu nehmen... Der Schwung dieser Zunge war wie eine lodernde Flamme, die alle Leidenschaften und Begierden Mo Rans entfachte und ihm beinahe das Leben nahm.

Er wusste also genau, welche Größe eine Süßigkeit haben musste, um in Chu Wannings Mund zu passen, und doch fragte Chu Wanning ihn, ob er wisse, welche Kleidergröße er trage. Die Frage klopfte spielerisch kätzchenhaft an seine Brust. Da er nicht wagte, weiter darüber nachzudenken, senkte Mo Ran den Kopf und sagte: „Natürlich würde ich Shizun vorher nach seiner Größe fragen."

Chu Wanning fand seine Worte ein wenig seltsam. Er warf ihm einen Blick zu. „Hast du dich erkältet?"

„Nein."

„Warum ist deine Stimme dann so heiser?" "

„…Entzündung."

Nach einem Moment des leeren Starren schien Chu Wanning etwas klar zu werden. Er wandte sein Gesicht ab, die Lippen zu einer dünnen Linie zusammengepresst, und zwischen seinen Brauen sammelte sich Düsternis, aber die Rückseite seiner Ohren war rosa gerötet.

Die leichte Röte hielt an, bis sie in der Stadt Wuchang ankamen, und verblasste erst, als sie in einem Zimmer mit Aussicht im neu eröffneten Zhongqiu-Restaurant Platz genommen hatten. Es war das erste Mal, dass Mo Ran Chu Wanning ernsthaft zum Essen eingeladen hatte. Wenn er dies zuvorgetan hatte, war es immer entweder aus der Not heraus oder aus Verzweiflung geschehen, und so war seine Gemütsverfassung eine völlig andere gewesen.

Der Kellner ließ eine Kanne mit Lushan-Nebel aufgießen, brachte einige Melonenkerne und Nüsse und brachte dann respektvoll zwei auf Bambusrollen geschriebene Speisekarten für die beiden Kultivierer vom Sisheng-Gipfel. Mo Ran schenkte dem Kellner ein Lächeln, als er die Schriftrolle entgegennahm. „Danke."

Chu Wanning warf Mo Ran einen subtilen Blick zu. Diese Person hatte noch nie die Angewohnheit, Danke zu sagen.

„Shizun soll bestellen, was er will, aber ich empfehle ihren süß-sauren Mandarinfisch mit Pinienkernen. Ich habe gehört, dass er gut schmeckt und gut angerichtet ist."

Chu Wanning nickte. „Dann nehmen wir das. Du suchst den Rest aus." Mo Ran grinste. „Ich werde dann nach Shizuns Geschmack bestellen."

„Du weißt, was ich gerne esse?", fragte Chu Wanning milde.

„Mhm, weiß ich", sagte Mo Ran nach einer Pause. Er hatte es schon immer gewusst, er hatte sich nur noch nie die Mühe gemacht, sich daran zu erinnern. Aber von nun an hatte er die Absicht, es nie mehr zu vergessen.

Er blätterte noch immer in der Bambusrolle, als er auf der Treppe Schritte hörte und das leise Klicken des Perlenvorhangs. Er hörte die Stimme des Kellners, der sagte: „Ah, hier entlang, mein Herr, die Herren, die Sie suchen, sind in diesem Zimmer... ja, ja, ja, sie haben noch keinen Wein bestellt."

Der Vorhang aus blauer Seide und Achatperlen wurde von einer glatten, hellhäutigen Hand sanft gehoben. An der Tür erschien ein außergewöhnlich schöner Mann mit weichem, tintenschwarzem Haar und einem Lächeln in den Augen, das die Wolken vom Himmel verjagen könnte, und trug eine Krug Wein. Mo Ran drehte sich um und war sichtlich erschrocken. „Shi Mei? Was machst du denn hier?"

„Ich habe den Sektenanführer in der Mengpo-Halle getroffen. Er hörte, dass ihr beide hier gegessen habt, und war besorgt, dass dieses Restaurant keinen alten Wein haben würde, da es gerade erst eröffnet wurde. Er hat mich geschickt, um einen Krug Birnenblüten-Weißwein zu eurem Essen zu bringen." Während er sprach, schwenkte Shi Mei den Weinkrug, der in seiner Hand baumelte; der entzückend gedrungene Krug war aus rotem Ton geformt und wurde von geflochtenen Bambusrohren gehalten, und man konnte den Wein darin schwappen hören, dessen süßer Duft sogar durch das Siegel hindurch schwach wahrnehmbar war.

Shi Mei sagte lächelnd: „Gut, dass ich es noch rechtzeitig geschafft habe; es wäre umsonst gewesen, wenn du schon Wein bestellt hättest."

„Was ist mit dir? Hast du schon gegessen?", fragte Chu Wanning.

„Ich werde essen, wenn ich zurückkomme. Die Mengpo-Halle wird noch eine Weile geöffnet sein; ich habe noch Zeit."

Chu Wanning, der ein höflicher Mensch ist, sagte: „Da du ja schon hier bist, warum bleibst du dann nicht. Nimm Platz und iss mit uns."

„Äh... Ich sollte A-Ran nicht die Kosten aufbürden."

Mo Ran lächelte. „Welche Kosten, es ist nur eine Frage eines zusätzlichen Stuhls." Während er sprach, gab er dem Kellner ein Zeichen, einen weiteren Satz Schüsseln und Stäbchen zu bringen. Das Zhongqiu-Restaurant war wirklich ein schickes Lokal - sogar in die Essstäbchen, die in den Privaträumen verwendet wurden, waren Gold- und Silberfäden eingelegt, die im Kerzenlicht glitzerten.

Shi Mei nahm Platz und schenkte jedem von ihnen Wein in leuchtende, phosphoreszierende Jadebecher ein. Das reiche Aroma des Birnenblüten-Weißweins durchdrang sofort die Luft. Es war ein vertrauter Duft; in seinem früheren Leben hatte Mo Ran ihn getrunken, als Shi Mei starb, und noch einmal, die ganze Nacht auf dem Dach, nachdem Chu Wanning gestorben war.

Aber jetzt waren sie beide am Leben, und das Unglück war vorüber. Mo Ran hatte plötzlich das Gefühl, dass all diese Dinge aus der Vergangenheit, sei es der Besitz oder die Zuneigung, nicht mehr wirklich von Bedeutung waren. Was zählte, war, dass die beiden besten Menschen in seinem Leben noch da waren und dass er sie mit dem Geld, das er verdient hatte, mit gutem Essen und gutem Wein verwöhnen konnte. Das war genug. Diese Becher, die er heute teilte, waren mehr wert als alle Länder, die er in der Vergangenheit regiert hatte.

„Verzeihung, Kellner. Könnten wir je eine Portion Mandarinfisch mit Pinienkernen, gedämpfte Krabbenfleischbällchen, pikante Schweinsfußpastete, Kirschschinken, Drei-Delikatessen-Suppe und gedünstetes Schweinefleisch in Bambusblättern bestellen, alle mild. Und dann pochierter Fisch in scharfem Chili-Öl, Mapo-Tofu, Rinderkutteln in Chilisauce und Kung-Pao-Hühnchen, so scharf wie Sie es wollen. Als Dim Sum gibt es Garnelenknödel, gedämpfte Rippchen und Taro mit Sojasoße, goldene Kutteln mit Jakobsmuscheln und Hühnerfüße in Sojasoße. Und als Nachspeise..." Mo Ran warf einen Blick auf Chu Wanning und klappte die Speisekarte zu. „Wir nehmen von jedem etwas."

Ohne aufzublicken, sagte Chu Wanning: „Das können wir nicht alles aufessen." Mo Ran bestand darauf: „Wir packen einfach die Reste zum Mitnehmen ein."

„Es wird kalt werden."

„Wir können es in der Mengpo-Halle aufwärmen lassen."

Chu Wanning hatte keine Lust, noch mehr Zeit mit ihm zu verschwenden ‒ Mo Ran benahm sich wie ein Händler, der über Nacht reich geworden war und viel zu viel ausgab. Er öffnete seine eigene Speisekarte, sah sie sich an und sagte: „Nur einmal die süßen Kidneybohnenrollen, eine einmal von den in Blätter gewickelten klebrigen Reiskuchen und drei Schalen Tangyuan mit roter Bohnenpaste, danke."

Die Gerichte kamen prompt, eines nach dem anderen. Shi Mei mochte scharfes Essen, während Chu Wanning nicht einmal einen Hauch davon vertrug, also ordnete Mo Ran die Gerichte getrennt an: Die eine Hälfte des Tisches war leicht und erfrischend, die andere leuchtend rot und üppig, die Farben ergänzten sich auf erstaunlich ansprechende Weise.

„Hier kommt das letzte Gericht, unsere Spezialität, Mandarinfisch mit Pinienkernen -"

Auf die Ankündigung des Kellners hin wurde ein Teller mit farbenprächtigem und duftendem Mandarinfisch in einem dicken Eintopf von zwei Bediensteten präsentiert. Der Fisch muss mindestens fünf Kilo gewogen haben, er war goldbraun gebraten und wurde auf einer riesigen, himmelblauen Porzellanschale angerichtet. Das Fleisch war in gleichmäßig dicke Blütenblätter geschnitten, mit einer dicken, kräftig roten süß-sauren Soße übergossen und mit smaragdfarbenen Erbsen, Yunnan-Schinken und kleinen, durchsichtigen Garnelen garniert. Allein der Anblick dieses Gerichts ließ die Augen leuchten und den Mund wässrig werden.

Chu Wanning mochte Süßes, vor allem süßsaure Sachen. Obwohl sein Gesichtsausdruck wie immer neutral blieb, als der Fisch auf den Tisch kam, konnte selbst er das Glitzern in seinen Augen nicht verbergen. Mo Ran entging es nicht.

Der Kellner warf einen Blick auf den Tisch, entdeckte den freien Platz vor Shi Mei und begann, die Teller umzustellen, um Platz für den Fisch zu schaffen. Aber ein Paar Hände, die schneller waren als er, kamen ihm zuvor. Mo Ran stand auf und schob ein paar der Fleischgerichte, die Chu Wanning nicht wirklich aß, auf seine eigene Seite des Tisches, dann schob er ein paar der köstlichen würzigen Gerichte zu Shi Mei hinüber, so dass vor Chu Wanning ein Platz frei blieb. Mo Ran grinste den Kellner an und sagte: „Genau dort ist gut."

„In Ordnung!"

Der Kellner lächelte und freute sich, einen so zuvorkommenden Kunden zu haben. Mo Ran nahm ihm sofort den Teller ab und stellte ihn auf den freien Tisch, danach verbeugte sich der Kellner und ging hinaus.

Die Umordnung war so selbstverständlich erfolgt, dass jeder, der zuschaute, denken würde, Mo Ran würde dem Kellner nur helfen, aber Shi Mei hatte die versteckte Gunst bemerkt. Die Geste überraschte ihn, und ein seltsamer Ausdruck flackerte in Shi Meis Augen auf, bevor er sie etwas verärgert wieder senkte. Er hatte das Gefühl, dass Mo Ran sich verändert hatte, als er nach fünf Jahren Abwesenheit zurückkehrte. Er sah nicht nur völlig anders aus, auch die besondere Aufmerksamkeit, die er Shi Mei einst entgegenbrachte, schien stark nachgelassen zu haben. Auch er mochte Mandarinfisch mit Pinienkernen, warum also stellte Mo Ran ihn so weit weg von ihm? Wusste er das nicht? Oder...

Oder empfand er nicht mehr so wie früher.

Shi Mei kannte seinen eigenen Wert sehr gut. Sein Aussehen und sein Temperament waren besser als das von Chu Wanning; in der Tat gab es in der ganzen Kultivierungswelt nur sehr wenige Menschen, die ihm an Schönheit gleichkamen.

Aber in diesem Moment fühlte er sich plötzlich unsicher. Er wusste, dass Mo Ran, obwohl er in seiner Jugend wankelmütig und kokett war und so tat, als ob er sich nur für sein Aussehen interessierte, es nur eine Täuschung war. In Wahrheit war das Wertvollste für Mo Ran die echte Empfindung. Wenn ihm jemand ein Tael Kupfer geben würde, würde er es ihm mit tausend Gold zurückzahlen. Jetzt, da die Bitterkeit vergangener Missverständnisse zwischen ihm und seinem Shizun überwunden war, konnte Shi Mei mit Chu Wannings Freundlichkeit gegenüber Mo Ran nicht mithalten. Der Gedanke ließ sein Herz plötzlich frösteln, und er hob den Kopf, um die Gesichter der beiden anderen im Kerzenlicht zu betrachten.

Der eine trank mit gesenktem Kopf und mildem Gesichtsausdruck Wein, die Phönixaugen glänzend wie Wasser, die Wimpern weich wie Nebel. Der andere lächelte, während er den Ersteren beobachtete, die Wange in eine Hand gestützt und mit schimmernden Augen. In diesen Augen spiegelte das Kerzenlicht den Schnee des Vorfrühlings wider, der auf einem offenen Balkon lag, und Birnenblüten, die im klaren Mondlicht blühten. Das Flattern der Wimpern glich Wellen, die sich auf der spiegelnden Oberfläche eines Sees ausbreiteten und über glitzernde Sterne hinwegfegten, mit unsagbaren Gefühlen, die wahrscheinlich nicht einmal der Träger dieser Augen kannte.

In diesem Moment der Ablenkung stieß Shi Mei versehentlich mit dem Ellbogen gegen seine Essstäbchen, so dass sie klappernd zu Boden fielen und er aus seiner Benommenheit aufschreckte. Er bückte sich, um sie mit einer gemurmelten Entschuldigung aufzuheben.

Aber er hielt inne, als er sich bückte. Die Essstäbchen waren direkt neben Mo Rans Stiefeln gelandet und glitzerten leicht, als sie dort ruhig lagen und darauf warteten, dass er sie aufhob. Er hätte den Kellner um ein anderes Paar bitten können, aber Shi Mei mochte es nie, andere zu belästigen. Vielleicht fühlte sich auch der sanftmütigste und ausgeglichenste Mensch angesichts einer solchen Herabstufung in seinem Status ein wenig gekränkt, ein wenig ratlos. Vielleicht war es aber auch gar nicht so kompliziert ‒ schließlich waren die Handlungen eines Menschen oft nur eine Frage eines flüchtigen Gedankens.

In diesem Moment bot sich die Gelegenheit. Und Shi Mei wollte wirklich herausfinden, wie viel Mo Ran ihm jetzt bedeutete. Nach ein paar Sekunden des Zögerns entschied er sich also. Er neigte den Kopf und streckte seine schöne, schlanke Hand aus, um die Essstäbchen neben Mo Rans Füßen aufzuheben.

Die Stäbchen waren wirklich zu nahe gefallen. Es war ganz natürlich und unvermeidlich, dass Shi Meis Handrücken Mo Rans Unterschenkel berührte, als er sie aufhob.

 

 

 

Erklärungen:

Dimsum sind kleine Gerichte, die meist gedämpft oder frittiert zum Frühstück bzw. Mittagessen serviert werden. 

Yunnan ist eine Provinz im Südwesten der Volksrepublik China




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11 Kommentare:

  1. Das Kapitel besteht aus Licht uns Dunkelheit. Mo Ran wartet auf Chu Wanning und währenddessen kommen Shi Mei und Xue Meng dazu. Mo Ran sieht die Veränderung bei den beiden. Auch an ihnen sind die fünf Jahre nicht ohne weiteres vergangen und sie haben sich verändert. Die Zeit tat aber zwischen Xue Meng und Mo Ran gut, währen Shi Mei zu einer wahren Schönheit wurde. Aber Mo Ran hat jetzt nur noch Augen für Chu Wanning und kaum das dieser kommt, wird es wieder etwas kompliziert mit ihren Gesprächen XD
    Und dann wird es dunkel... denn Mo Ran kennt Chu Wanning seine Größe sehr genau und das Verlangen nach ihm stieg schon davor und er musste sich zusammenreisen, denn die Vergangenheit war nicht gut. Jetzt will er es besser machen und bisher läuft es gut.
    Das gemeinsame essen gehen und selbst als Shi Mei dazu kam. Doch letzterer merkt wie sehr sich Mo Ran verändert hat. Wenn man die Jahre über so angehimmelt wurde, wie er davor es von Mo Ran gewesen war und plötzlich hat dieser nur Augen für Chu Wanning... das ist sicherlich kein schönes Gefühl.

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    1. Ich finde es schön, dass Mo Ran und Xue Meng sich etwas näher gekommen sind, auch wenn ich persönlich meine das Xue Meng noch immer etwas zu hart und abweisend zu Mo Ran ist. Denke doch einfach nur an die Figuren, wo er Mo Ran extra hässlich macht, obwohl Mo Ran ihm diesen Stein für seine Klinge geschenkt hat.
      Das Shi Mei immer schöner wurde interessiert Mo Ran gar nicht so sehr, er bleibt lieber bei seinem Chu Wanning, der all die Jahre gleich schön geblieben ist. ^^
      In solchen Sachen wie Größe kennen und wissen, was Chu Wanning im Bett Vergnügen bereiten wird und was nicht ist, Mo Ran durch sein erstes Leben klar im Vorteil. Aber ich glaube, ein Chu Wanning ist sehr lerneifrig und wird diese "Wissenslücke" schnell aufholen können.
      Shi Mei verliert von jetzt auf heute einfach seinen größten Fan, das einfach so, ohne sich zu fragen, warum oder zu handeln zu schlucken würde bestimmt den wenigsten gelingen.

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  2. Ohoh ... ich hoffe mal, dass das kein Ärger gibt ...
    Aber ich kann schon verstehen, dass Shi Mei verwirrt ist über die neue Dynamik in der Beziehung zwischen ihm und Mo Ran.

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    1. Shi Mei hat Mo Ran fünf Jahre lang nicht mehr gesehen und muss von jetzt auf heute damit klar kommen, dass Mo Rans Fürsorge, Aufmerksamkeit und Anhänglichkeit jetzt jemanden anderen gilt. Sich darauf einzustellen ist bestimmt nicht ganz so einfach.

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  3. Wie süß, natürlich weiß Mo Ran alles über Chu Wanning, der arme Kerl ahnt das nicht einmal. Und nun noch Shi Mei dazwischen, bei dem Essen wäre ich gerne dabei gewesen

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    1. Für Chu Wanning wird es nur echt sehr fies werden. Mo Ran weiß einfach, worauf Chu Wanning steht und worauf nicht. Mo Ran muss sich das nicht mehr mühsam erarbeiten, Chu Wanning aber schon.
      Ich hätte mich beim Essen eher wie das fünfte Rad am Wagen gefühlt und hätte dabei den Eindruck gehabt, dass mein Beisein verhindern soll, das andere denken könnten, dass die beiden gerade eben ein Date haben.

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  4. Das wird ja jetzt was mit shi mei xD dreiecksgeschichten haben ja immer was. Wobei auch wanning so eifersüchtig sein kann wie wir schon wissen^^

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    1. Ich glaube, Chu Wannings Eifersucht wird sehr subtil und nur von den wenigsten bemerkt werden können, wohin gegen Mo Ran seine Eifersucht offensichtlicher zeigt und probiert, seinen Shizun nur für sich zu beanspruchen. Mir fällt da als Vergleich Luo Binghes eifersüchtiges Verhalten, wenn es um Shen Qingqiu geht ein.

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  5. Haha dieses Kapitel xD mensch Wanning frag doch nicht nach deiner größe xD kam endlich mal dazu wieder auf zu holen nach dem ich mich monate gedrückt habe xD..... wieso überkommt mich das gefühl das mit Shi Mei was faul is. :/ das wirkte auf mich irgendwie komisch.... okay ich hab bei ihn sowieso von anfang an nen komisches gefühl gehabt aber nun diese Szene so mhm..... komisch, hoffe der macht sa keinen zu großen Ärger.

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    1. Monatelang hast du dich gedrückt ... da hast du aber viel Lesestoff auf einmal gehabt und dann ist es auch noch ein so Gute. XD
      Ob Shi Mei eifersüchtig ist oder nicht, weiß ich nicht, aber eines steht fest, nämlich, dass er sich an die Situation in Bezug auf Mo Ran und Chu Wanning noch gewöhnen muss.

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    2. Jup, ich konnte einfach nicht weiter lesen, dafür brauchte ich absolut Motivation und viel nerven

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