Kapitel 138 ~ Shizun könnte mich einfach mit Kavalierschmerzen in den Tod treiben

 Kapitel 138 ~ Shizun könnte mich einfach mit Kavalierschmerzen in den Tod treiben

 

Chu Wanning richtete einen milden Blick auf Mo Ran. „Jemand sucht nach dir."

„Ah? Wer könnte um diese Zeit nach mir suchen?" Mo Ran, dessen Gedanken ganz bei Chu Wanning waren, hatte längst vergessen, was tagsüber bei den Dorfbewohnern geschehen war.

„Es ist die junge Dame, die vorhin gesungen hat", sagte Chu Wanning in einem betont zurückhaltenden Ton. „Du weißt schon, das hübscheste Mädchen des Dorfes."

„Eh, wirklich...? Für mich sehen alle Mädchen des Dorfes mehr oder weniger gleich aus..."

Chu Wanning schwieg einen Moment lang. „Ich war nur fünf Jahre lang weg. Wann bist du denn blind geworden?"

Mo Ran blinzelte überrascht. Chu Wannings Tonfall war unverändert, aber als Mo Ran aufblickte, sah er in Chu Wannings Augen den Anflug eines Lächelns, als ob er ihn mit einem gut gelaunten Scherz necken wollte. Mo Ran war angenehm überrascht und spürte, wie sich seine Stimmung sofort hob.

Draußen hielt das Dorfmädchen, Ling-er, ein in blaues Tuch mit weißem Blumenmuster eingewickeltes Bündel in der Hand und rief so laut sie konnte an Mo Rans Tür: „Mo-Xianjun, Mo‒"

„Ich bin hier drüben."

Ling-er drehte sich um, als sie die tiefe Stimme eines Mannes hinter sich hörte, und sah nur Mo Ran in der Tür stehen, der eine Seite des Vorhangs anhob und sie anlächelte. „Es ist schon so spät; braucht Ihr etwas?"

Ling-er war kurz erschrocken, aber ihr Schock wich schnell der Freude. Freudig ging sie zu ihm. „Gut, dass Xianjun noch nicht ins Bett gegangen ist! Hier, das ist für Euch. Ich habe es von meiner Tante bekommen, wie ich vorhin beim Mittagessen erwähnt habe. B...bitte benutzt es." Sie drückte ihm den Stoffbeutel, den sie bei sich trug, in die Arme, während sie sprach.

Mo Ran öffnete den Beutel und entdeckte drei kleine Tongefäße.

„Was ist das?"

„Heilsalbe", erklärte Ling-er strahlend und deutete lächelnd auf ihre eigene Wange. „Für Euren Mückenstich, vorhin auf dem Feld‒"

„Ah." Mo Ran erinnerte sich endlich daran, worum es hier ging. Es beschämte ihn ein wenig, dass das Mädchen seine unbedachte Ausrede so bereitwillig geglaubt und den weiten Weg auf sich genommen hatte, um ihm die Salbe zu bringen. Die Dorfbewohner hier waren einfach zu leichtgläubig...

„Es hat Euch wohl nicht allzu sehr erwischt." Ling-er stellte sich auf die Zehenspitzen und musterte Mo Rans Gesicht sorgfältig und lächelte noch sonniger. „Ich sehe nicht einmal eine Beule."

Mo Ran räusperte sich. „Ich bin schließlich ein Kultivierer..."

Ling-er klatschte in die Hände und lachte. „Ihr Kultivierer seid so interessant! Wenn ich das Talent dazu hätte, würde ich auch eine werden wollen. Schade, dass es für mich nicht in den Sternen steht."

Sie plauderten noch ein wenig, bis Mo Ran sich bei ihr bedankte und mit der Salbe wieder ins Haus ging. Chu Wanning hatte sich an den Tisch gesetzt und blätterte untätig in dem Buch, das Mo Ran abgelegt hatte. Er blickte auf, als er Mo Ran hereinkommen hörte.

„Medizinische Salbe", erklärte Mo Ran verschämt. „Wurdest du wirklich gestochen? Komm her, lass mich sehen."

Im Kerzenlicht war Mo Rans Haut bernsteinfarben wie Honigsüßigkeiten und betonte seine schneidigen Gesichtszüge. Chu Wanning starrte ihn eine Weile an, bevor er fragte: „Also...wo ist der Stich?"

Mo Ran kratzte sich peinlich berührt am Kopf. „Er ist schon verschwunden; meine Haut ist dick." Während er sprach, stellte er alle drei Flaschen mit der erfrischenden medizinischen Salbe auf Chu Wannings Tisch. „Ich brauche sie nicht. Shizun sollte sie stattdessen aufbewahren, da die Gefahr von Mückenstichen bei dir größer ist."

Chu Wanning nahm weder an noch lehnte er ab. „Erst die Kräutersalbe und jetzt diese medizinische Salbe... Wenn das so weitergeht, muss ich eine Apotheke eröffnen."

Mo Ran rieb sich nur die hübsche Nase und strahlte, ruhig und aufrichtig. Chu Wanning streckte die Hand aus und tippte ihm an die Stirn. „Es ist schon spät. Geh zurück in dein Zimmer und leg dich schlafen."

„Mn. Schlaf gut, Shizun."

„Schlaf gut."

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Aber in dieser Nacht, in diesen beiden heruntergekommenen Strohhütten, die durch einen kleinen Hof von der Breite von zehn Schritten Breite getrennt waren, fand keiner der beiden Schlaf. Trotz ihrer ausgetauschten Wünsche wälzten sich beide unruhig hin und her. Chu Wanning spürte noch immer das Kribbeln in seinen Füßen, konnte praktisch noch immer die schwieligen Finger von Mo Ran auf seiner Haut reiben spüren. Mo Rans Gedanken waren etwas komplizierter. Er wälzte sich hin und her, den Kopf auf den Arm gestützt, während er unruhig auf die Fuge zwischen den Bettbrettern klopfte und in seinem Kopf immer wiederholte: Shizun ist ein Gott, ein Unsterblicher, ein jenseitiges Wesen; egal, was in meinem früheren Leben passiert ist, ich werde in diesem Leben bestimmt keine Dummheiten machen; ich werde ihn bestimmt nicht schikanieren, bestimmt nicht wieder Mist bauen...

Und außerdem war da immer noch Shi Mei. Ja, er sollte stattdessen mehr an Shi Mei denken ‒ Shi Mei...

Er fühlte sich plötzlich doppelt unwohl. Seit seiner Rückkehr auf den Sisheng-Gipfel und der Wiedervereinigung mit Shi Mei hatte Mo Ran ihm gegenüber eher laue Gefühle. Für ihn war es zur Gewohnheit geworden, Shi Mei zu mögen und zu beschützen, eine Sache, die er immer wieder tat ‒ aber zu welchem Zweck? Er mochte den Shi Mei von vor fünf Jahren immer noch, aber der schöne Mann von heute war ihm wie ein Fremder. Diese neue Unbekanntheit ließ ihn ratlos zurück; er wusste nicht, was mit ihm los war und was er dagegen tun sollte.

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Am nächsten Morgen wachte Chu Wanning früh auf. Als er nach draußen trat, sah er sich Mo Ran gegenüber, der gerade den Vorhang seines Zimmers aufzog.

„Guten Morgen, Shizun", sagte Mo Ran.

„Morgen." Chu Wanning blickte ihn an. „Nicht gut geschlafen?"

Mo Ran rang sich ein Lächeln ab. „Ich bin nicht wirklich an das Bett gewöhnt. Ist schon gut, ich werde später einfach ein Nickerchen machen."

Gemeinsam machten sie sich auf den Weg zu den Feldern, und die frühe Morgenbrise brachte den erfrischenden Duft von Gras und Bäumen mit sich. Auf dem Weg dorthin war es still, nur gelegentliches Froschgequake und das Zirpen der Zikaden durchbrachen die Stille. Chu Wanning gähnte träge, dann sah er aus dem Augenwinkel etwas, das ihn zum Lächeln brachte.

„Mo Ran."

„Mm?"

Chu Wanning strich Mo Ran durch den Pony und zupfte ihm ein Stück Stroh aus dem Haar. Mit einem kleinen Lächeln sagte er: „Was hast du gemacht, dich im Bett gewälzt? Du hast Stroh in deinem Haar."

Mo Ran wollte sich gerade verteidigen, als er ebenfalls ein Stück Stroh auf Chu Wannings Kopf entdeckte. Er lächelte ebenfalls und sagte: „Dann hat sich Shizun wohl auch herumgewälzt." Und pflückte das goldene Stroh von Chu Wannings Haar.

Als die Sonne den östlichen Horizont erklomm, blickten sich Meister und Schüler vor dem Hintergrund des strahlenden Goldes an, der eine mit leicht gesenktem, der andere mit leicht erhobenem Kopf, so wie sie es früher getan hatten. Nur dass vor fünf Jahren derjenige, der nach unten schaute, Chu Wanning war, und derjenige, der nach oben blickte, Mo Ran war. Aber die Jahre waren wie im Fluge vergangen, und Mo Weiyu war kein Jugendlicher mehr.

In diesem Moment war es, als würde die Zeit endlich langsamer werden. Im Licht der sanften Morgendämmerung sprang Mo Ran impulsiv in das Reisfeld, öffnete die Arme und lächelte dem Mann auf dem erhöhten Hügel zu. „Shizun, spring. Ich werde dich auffangen."

Chu Wanning betrachtete das Gefälle vom Grat zum Feld. Er war nur hüfthoch. „Stimmt etwas mit deinem Kopf nicht?"

„Ha ha ha."

Er zog seine Schuhe aus und hüpfte anmutig in das Reisfeld hinunter, wobei das Wasser kräuselte und ihm ein Schauer über den Rücken lief. Mit einem großen Schwung eines breiten Ärmels und einer imposanten Ausstrahlung beanspruchte Chu Wanning ein großes Stück des Feldes für sich. „Das ganze Gebiet gehört mir. Gestern habe ich nicht so viel abgeschnitten wie du, aber heute habe ich die feste Absicht, dich zu schlagen."

Mo Ran streckte die Arme aus, um sich am Kopf zu kratzen. Seine Mundwinkel zogen sich nach oben und ein besonders charmantes Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. „Okay. Wenn ich verliere, mache ich Shizun jede Menge Lotusgebäck und jede Menge gedämpfte Krabbenfleischbällchen."

„Und auch jede Menge mit Honig glasierte süße Lotuswurzeln", fügte Chu Wanning hinzu.

„Na klar. Aber was ist, wenn Shizun verliert?" Mo Rans Augen waren klar und hell, als würden sie den ganzen Sternenhimmel umschließen. „Was dann?"

Chu Wanning warf ihm einen kühlen Seitenblick zu. „Was willst du?"

Mo Ran überlegte eine Weile und kaute auf seiner Unterlippe. Schließlich sagte er: „Wenn Shizun verliert, muss Shizun das ganze Lotusgebäck und alle gedünsteten Krebsfleischbällchen essen, die ich mache." Eine Pause trat ein. Und dann, in einem noch sanfteren Ton, getragen von der erfrischenden Brise: „Und auch die mit Honig glasierte süße Lotuswurzel."

Ob ich gewinne oder verliere, ich will nur eine Ausrede haben, um dich gut zu behandeln.

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In dieser kurzen Zeitspanne war Chu Wanning ziemlich geschickt in der Reisernte geworden ‒ und er mochte es nicht, zu verlieren. Es reichte schon, dass er gestern ausgelacht worden war; er wollte nicht auch noch heute die Zielscheibe von Witzen sein. Mit diesem Gedanken im Hinterkopf arbeitete er mit einzigartigem Eifer und schnitt die Halme ab, und bis zum Mittag hatte er schon ein gutes Stück mehr abgeerntet als Mo Ran. Er war ziemlich stolz auf sich, als sie unter dem Maulbeerbaum ihr Mittagessen einnahmen. Er sagte es nicht, und man sah es ihm auch nicht an, aber sein Blick wanderte immer wieder zum Rand des Reisfeldes hinüber, wo der geerntete Reis zu einem beachtlichen kleinen Goldberg aufgeschichtet war.

Alle setzten sich zum Essen zusammen. Mo Ran aß ohne Pause, und seine Schüssel war in kürzester Zeit leer. Als die Tante seine leere Schüssel bemerkte, ergriff sie sofort das Wort: „Ling-er, geh und hol Xianjun noch eine Portion Reis."

Aber Mo Ran stellte seine Schüssel und Stäbchen ab, als hätte er es eilig. Er lächelte und sagte: „Ist schon gut, ich bin fertig. Ich muss mich noch um etwas kümmern, also werde ich ein bisschen rausgehen. Es könnte eine Weile dauern, also essen Sie ruhig ohne mich zu Ende.

Ling-er war überrumpelt, was sich in Unbehagen verwandelte. „Isst Xianjun wirklich so wenig? Ist das Essen nicht nach Eurem Geschmack? Wenn es Euch nicht schmeckt ... könnte ich ... etwas anderes für Euch kochen?"

„Nein, nein, das ist es nicht. Das Essen ist großartig." Natürlich war Mo Ran der Unterton des Angebots des Mädchens völlig egal. Er wies sie mit einem unverhohlenen Grinsen ab und ging mit großen Schritten in Richtung Stall.

„Wohin gehst du?", fragte Chu Wanning.

Mo Ran blickte lächelnd über seine Schulter zurück. „Nur ein bisschen einkaufen. Ich bin gleich wieder da."

„Xianjun‒"

„Schon gut, lasst ihn in Ruhe", sagte Chu Wanning milde, während er seine Stäbchen um ein weiteres Stück gebratenen Tofu schloss.

Obwohl die beiden Kultivierer gemeinsam angekommen waren, konnte jeder, der Augen hatte, sehen, wer den höheren und wer den niedrigeren Status hatte und wessen Wort zählte. Außerdem war es für die Dorfbewohner aufgrund der kalten und strengen Gesichtszüge von Chu Wanning schwierig, die Angelegenheit weiter zu verfolgen, sobald er gesprochen hatte. Sie konnten Mo Ran nur gehen lassen.

Nach dem Mittagessen teilten sich alle in kleine Gruppen auf, einige vertrieben sich die Zeit mit Tabakkauen, andere schliefen in der Sonne. Die Frauen saßen zusammen und strickten Winterkleidung, während die Kinder spielten und auf Pferden aus Bambusstäben ritten. Eine hauchdünne Katze schnupperte hoffnungsvoll am Boden, ihre kleine rosa Nase zuckte und die Ohren spitzten sich, um nach Essensresten Ausschau zu halten.

Chu Wanning lehnte mit einer Tasse warmen Tees an einem Getreidestapel, als er die jämmerlich abgemagerte Katze sah. Er hob eine Hand, um sie zu sich zu locken, in der Absicht, ihr etwas zu fressen zu geben. Aber die Katze war misstrauisch gegenüber Fremden. Sie dachte, dass Chu Wanning seine Hand erhoben hatte, um sie zu schlagen, und floh sofort.

Chu Wanning starrte ihr stumm hinterher. Sah er wirklich so furchterregend aus? Mochten ihn nicht einmal die Katzen?

Während er mit der Backe in der Hand schmollte, hörte er das Klirren von Kupferstücken. Ling-er kam fröhlich herüber, ebenfalls mit einer Tasse Tee in der Hand und setzte sich neben Chu Wanning.

Er drehte sich um und sah sie mit teilnahmsloser Miene an. Dieses Mädchen war sehr hübsch, und obendrein war sie weder mager noch zerbrechlich, sondern eine vollschlanke Frau, wie man sie in solch abgelegenen und einsamen Gegenden selten findet. Sie wusste auch, wie sie sich zu kleiden hatte ‒ sie hatte kein Geld, um sich Accessoires zu kaufen, also hatte sie ein paar Kupfer- und Eisenstücke gesammelt, sie gesäubert und zu glatten Ringen geschliffen, die sie an den Saum ihrer Kleidung reihte, so dass sie beim Gehen klirrte und in der Sonne glänzte.

„Xianjun", rief sie mit einer Stimme, die knackig war wie eine reife Beere.

„Was ist los?" Chu Wannings Stimme war kühl und klar wie wabernder Nebel.

Ling-er war ein wenig überrascht von seiner Unbekümmertheit. Aber sie setzte schnell ein Lächeln auf, als sei er ganz freundlich gewesen, und sagte: „Nichts. Ich habe Sie nur allein sitzen sehen und dachte, ich komme vorbei und leiste Ihnen Gesellschaft.“

Chu Wanning sah sie an. Er wusste, dass er kein freundliches Gesicht hatte; nicht einmal die Katze wollte ihm zu nahe kommen. Aber Menschen und Katzen waren nun einmal verschieden ‒ Katzen schmieden keine Intrigen, aber Menschen könnten Hintergedanken haben.

Und tatsächlich, nach einem Schwall von leerem Geplauder und belanglosem Unsinn warf Ling-er ihre eigentliche Frage beiläufig ein: „Xianjun, was muss man tun, um... eine Schülerin auf dem Sisheng-Gipfel zu werden? Meint Ihr, ich habe eine Chance?"

„Gebt mir Eure Hand", sagte Chu Wanning.

„Ah..." Ihre Augen weiteten sich und sie tat aufgeregt, was ihr gesagt wurde. Chu Wanning drückte die Spitzen seiner Finger leicht gegen die Innenseite ihres Handgelenks. Nach einem Moment zog er sich zurück. „Ihr nicht."

Ling-ers Gesicht errötete sofort. „Habe ich nicht die Fähigkeit dazu?"

„Ihr wusstest, dass ich Euren Kern prüfen würde, sobald ich um Eure Hand bat, also musstet Ihr schon jemanden gehabt haben, der ihn für Euch geprüft hat", sagte Chu Wanning. „Ihr habt keine Begabung für die Kultivierung und werdet wahrscheinlich nicht in der Lage sein, die Grundlagen dafür zu schaffen, selbst wenn Ihr Euch dein ganzes Leben lang bemüht. Es wäre nur Zeitverschwendung, wenn Ihr Euch auf den Gipfel begeben würdet. Ich würde vorschlagen, dass Ihr es vergesst."

Ling-er verstummte, und ihr Kopf sank niedergeschlagen nach unten. Es verging eine ganze Weile, bis sie sich auf die Lippe biss und mit leiser Stimme sagte: „Vielen Dank für Euren Rat."

„Nichts zu danken."

Sie ging leise. Als Chu Wanning sie gehen sah, fühlte er sich ein wenig unschlüssig. Die einfachen Leute des unteren Kultivierungsreichs hofften mehr, einer Sekte beizutreten, als die Leute des oberen Reichs. Für die Menschen des oberen Kultivierungsreichs war die Kultivierung ein Mittel, um seine Vorfahren zu ehren und um sich einen Namen zu machen. Für die Menschen des unteren Kultivierungsreichs hingegen war die Aufnahme in eine Sekte manchmal ein Mittel zum Überleben.

Chu Wanning lehnte sich mit dem Rücken an den Getreidestapel und nahm einen weiteren Schluck seines Tees. Das Wetter wurde wirklich kühler; der Tee war in den wenigen Augenblicken, in denen er ihn stehen gelassen hatte, kalt geworden. Er schluckte den Rest hinunter und schloss die Augen, weil er sich ein wenig ausruhen wollte. Aber da er in der letzten Nacht so schlecht geschlafen hatte und die anstrengende Arbeit des Morgens noch dazukam, schlief er schließlich ein.

Als er wieder aufwachte, war der Himmel bereits tiefrot, und Krähen krächzten in den Ästen. Zwischen den Reisfeldern lagen nur noch fein säuberlich aufgereihte Reisgarben und verstreute Getreidesplitter.

Chu Wannings Augen rissen vor Schreck weit auf. Wenn man bedenkt, dass er bis zum Sonnenuntergang geschlafen hatte, während er so an den Getreidehaufen gelehnt war. Hatten die Bauern sich wahrscheinlich nicht getraut, ihn aufgrund seines Status zu wecken.

Sie hatten ihn nicht nur den Tag über schlafen lassen, sondern jemand hatte ihn sogar mit einem Kleidungsstück zugedeckt, damit er sich nicht erkältete.

Er hielt inne. Diese Kleidung... Er wollte sich gerade aufsetzen, als er einen vertrauten Geruch wahrnahm. Als er wieder ganz wach wurde, sah er auf die Kleidung hinunter, die ihn bedeckte. Der Stoff war grob, aber sehr sauber, und an den Nähten haftete noch der erfrischende Duft der Seifenbohnen, mit denen er gewaschen worden war.

Es war die Kleidung von Mo Ran.

Als Chu Wanning dies erkannte, sackte er hastig in sich zusammen, die Muskeln in seinem Rücken entspannten sich, während er sein halbes Gesicht unter der Kleidung verbarg. Nur ein Paar helle, leicht zusammengekniffene Augen waren noch zu sehen, in denen eine unbeschreibliche, nicht zu entziffernde Emotion lag.

Er musste wirklich den Verstand verloren haben.

Mit zusammengekniffenen Augen suchte er die Reisfelder nach dem Mann ab. Es dauerte nicht lange ‒ Mo Ran war so stattlich groß geworden, dass er mühelos überall auffiel. Von seinem Platz aus konnte Chu Wanning nur seinen Rücken sehen, während er den Dorfbewohnern half, die Getreidegarben auf den Ochsenkarren zu laden. Mo Ran war wahrscheinlich heiß von der Arbeit des ganzen Tages und hatte wie die anderen Dorfbewohner seine Robe und sein Hemd ausgezogen, so dass sein rauer, honigfarbener Rücken gut zu sehen war.

In der sengenden Hitze der untergehenden Sonne rann der Schweiß bei jeder Anspannung seiner Muskeln langsam die Linien seines breiten Rückens hinunter, rann zu den Grübchen seines Rückens, schlängelte sich unter die straffe Linie seiner Taille...

Chu Wanning war wie glühendes Eisen, wie eine Kohle im Ofen, die jedes zarte Gefühl in brennende Fleischeslust verwandelte. Als er Mo Ran aus der Ferne betrachtete, verschwand alles andere aus seinem Bewusstsein, und es blieb nur noch der hinreißende Körper dieses Mannes übrig, seine Muskeln, die so geschmeidig waren wie die eines Panthers, sein Profil, wenn er sich umdrehte, um mit dem Dorfvorsteher zu plaudern, mit seinem sanften Grübchen und seinem freundlichen Blick, der von schönem Charme nur so strotzte.

Als hätte er die Augen auf seinem Rücken gespürt, drehte sich Mo Ran um und schaute über seine Schulter. Chu Wanning schloss eilig die Augen und tat so, als schliefe er. Aber sein Herz schlug so schnell, dass es wie ein Regenschauer klang, und das Blut, das durch seine Adern raste, dröhnte leise in seinen Ohren.

Einige Sekunden vergingen, bevor er heimlich ein Augenlid öffnete und unter seinen Wimpern hervorlugte. Mo Ran hatte sich bereits wieder umgedreht, und Ling-er kam mit einem schüchternen Blick und einem Taschentuch in der Hand auf ihn zu. „Xianjun, hier, wischt Euch den Schweiß ab."

Mo Ran, dessen Arme mit dem Reis gefüllt waren, den er auf den Wagen lud, lächelte und sagte: „Später, ich bin gerade beschäftigt."

Ling-er schien gerne zuzusehen und griff ab und zu zu, um den Stapel zu begradigen, damit er nicht umkippte. Etwas überrascht von ihrem Eifer, sagte Mo Ran: „Danke."

Umso mehr freute sie sich, neben diesem großen, kräftigen Mann zu stehen, der geradezu eine maskuline Anziehungskraft ausstrahlte. Als sie seinem Atem lauschte und seine muskulösen Schultern betrachtete, konnte sie nicht verhindern, dass sie rot wurde. Für einen Moment vergaß sie alles, was mit Distanz und Anstand zwischen Männern und Frauen zu tun hatte. Sie umklammerte ihr Taschentuch und sagte mit leiser Stimme: „Xianjun, er wird Euch in die Augen tropfen, wenn Ihr ihn nicht abwischt..."

Mo Ran blieb beschäftigt. „Ich habe im Moment keine Hände frei."

„Dann kann ich ihn für Euch abwischen..."

Noch bevor sie zu Ende gesprochen hatte, spürte sie ein Frösteln in ihrem Rücken.

Ohne dass sie es bemerkt hatten, war Chu Wanning hinter sie getreten und trug immer noch Mo Rans dicke schwarze Robe, die er über die Schultern gelegt hatte. Er sah lustlos und gereizt aus, als wäre er gerade erst aufgewacht.

„Mo Ran."

„Ja?" Der Mann, der so beschäftigt war, dass er nicht einmal Zeit hatte, sich den Schweiß abzuwischen, legte sofort das Getreide in seinen Armen ab, rieb sich die Nasenspitze, als er sich umdrehte und strahlte beim Anblick von Chu Wanning. „Shizun, du bist wach."

Chu Wanning sah ihn von oben bis unten an. „Ist dir nicht kalt?"

Mo Ran lächelte. „Eigentlich ist mir ganz schön heiß."

In diesem Moment tropfte der Schweißtropfen, der sich auf seiner dunklen Stirn gesammelt hatte, in sein Auge. Er drückte es mit einem „Aiya", zu, aber das andere Auge blieb hartnäckig offen, um auf seinen Shizun zu starren. Natürlich konnte er nicht einfach eine Dame um ihr Taschentuch bitten, also flehte er stattdessen Chu Wanning an. „Shizun, mein Auge..."

„Mein Taschentuch hängt gerade zum Trocknen aus."

Ling-er bot eilig an: „Ihr könnt meins benutzen..."

Chu Wanning beachtete sie nicht und trat vor, seine Gesichtszüge waren gleichgültig, selbst als er sich nach vorne lehnte und den Kopf zurückwarf, um aufzublicken. Er hielt die Manschette seines schneeweißen Ärmels geschlossen, als er den Arm hob und damit vorsichtig den Schweiß von Mo Rans Stirn wischte.

 

 

 

Erklärungen:

Kavaliersschmerzen, Bräutigamsschmerzen oder auch als Slangausdruck blaue Eier (vom englischen blue balls) ist ein leicht schmerzhaftes Gefühl in den Hoden, das auf eine nicht behobene sexuelle Erregung zurückzuführen ist. Er kann sich auch auf "sexuelle Frustration" im Allgemeinen beziehen.




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8 Kommentare:

  1. Da ist jemand mal sogar nicht eifersüchtig XDD Ling-er kann einem schon etwas leid tun, denn sie hat absolut keine Chance, was Mo Ran angeht, der nur Augen für sein Shizun hat. Und diesem gefällt ja mal so gar nicht, wie Ling-er bei Mo Ran ist XD Allein wie sie ein frösteln spürt, als Chu Wanning hinter ihr stand XDD

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    1. Das Chu Wanning seine Eifersucht auch mal rauslässt ist sehr schön. Früher bei Shi Mei hat er diese Eifersucht einfach immer nur geschluckt, aber jetzt hat er endlich den Mut dazu. Kann man da sagen, dass man das schön und gut findet?
      Wenn Mo Ran jemanden liebt, dann ist es mit ganzer Inbrunst und Leidenschaft, eine dritte Person hätte nicht einmal in 5 Milliarden Jahren eine Chance.
      Wenn Blicke töten könnten, hätte Ling-er in dieser Situation ihr Leben verloren oder gesundheitliche Schäden davon getragen.

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  2. Ein eifersüchtiger Chu Wanning ist schon niedlich und der arme Mo Ran kann mit den Avancen des Mädchens gar nicht anfangen, sehr lustige Vorstellung. Und endlich stellt er mal fest, dass seine Vernarrtheit in Shi Mei auch eher abgekühlt ist

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    1. Ich glaube, Mo Ran checkt, dass noch gar nicht, dass das Mädchen versucht, mit ihn anzubandeln. Er schätzt sich einfach viel zu gering ein und achtet sich als wertlos. Also kommt er gar nicht auf die Idee, dass ihn jemand auf diese Art und Weise mögen könnte.
      Shi Mei ist für Mo Ran schon lange abgehakt, aber wenn jemand sein Leben hergibt, um deins zu retten, hat die dritte Partei, auch eher sehr schlechte Chancen.

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  3. Oh wie süß, er wischt den Schweiß mit seiner Kleidung. Das macht man nicht grad für jemanden außer man hat tiefe Gefühle und somit zeigt er Ling-er das Mo Ran ihm gehört. Chu Wanning kann ganz schön eifersüchtig werden.😂

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    1. Chu Wanning markiert sein "Revier" auf seine Art und Weise und will der "Konkurrenz" klar machen, dass hier nicht zu holen ist. Es ist echt erstaunlich, dass Chu Wanning so etwas tut, da er doch sonst sehr auf Sauberkeit und Anstand achtet. Aber wenn es darum geht die Aufmerksamkeit von Mo Ran zu bekommen, dann kann man so etwas auch mal hinten anstellen.
      Ich glaube aber auch, dass Mo Ran sehr eifersüchtig werden kann und dies dann durch Anhänglichkeit zeigen würde.

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  4. Wanning! Ein Schatz aber auch ❤️🥰

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    1. Ein Mann zum Verlieben, kein Wunder, dass er schon von Anfang an Mo Rans erste Liebe war. Auch wen es Ewigkeiten gedauert hat, bis bei Mo Ran der Groschen gefallen ist.

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