Als die Hochzeit des jungen Meisters der Rufeng-Sekte näher rückte, machte ein Gerücht die Runde. In kürzester Zeit hatte es die Gäste aller großen Sekten erreicht und für Aufsehen gesorgt.
„Zhang-Gongzi, hör zu, ich habe
vor ein paar Tagen etwas Ungeheuerliches gehört. Aber je mehr ich darüber
nachdenke, desto mehr bin ich mir sicher, dass es wahr sein muss. Willst du es
hören?"
„So ein Zufall! Ich habe auch
ein schockierendes Geheimnis über die Rufeng-Sekte gehört. Könnte es dasselbe
sein?"
Sein Begleiter wackelte
andeutungsweise mit den Augenbrauen. „Hat das Geheimnis von Zhang-Gongzi mit
zwei bestimmten Personen zu tun?", fragte er mit schwerer, anzüglicher
Stimme.
„Das tut es in der Tat."
Nachdem sie einen
bedeutungsvollen Blick ausgetauscht hatten, sagte einer von ihnen leise: „Ich
fange an: Ich habe gehört, dass Ye Wangxi von der Rufeng-Sekte und ..."
Bei diesem Satz konnte sein
Begleiter keine Miene mehr verziehen, geschweige denn die würdevolle Haltung
eines jungen Meisters bewahren. Er lachte und klopfte sich auf den Schenkel,
und seine Augen funkelten vor Freude über die Weitergabe von Geheimnissen. „Ja,
ja! Ha ha ha, ich habe mich fast totgelacht ‒ das ist es! Ye Wangxi von der
Rufeng-Sekte und Song Qiutong haben eine Affäre!"
„Wie man so schön sagt:
Schlechte Nachrichten reisen tausend Meilen, bevor eine gute Nachricht den Weg
nach draußen findet. Ich hätte nicht gedacht, dass selbst jemand wie du, der
Klatsch und Tratsch meidet, davon erfahren würde. Aber wir sollten leise sein.
Wir sind in Linyi, und es gibt überall Mitglieder der Rufeng-Sekte ‒ die
Wände haben Ohren, weißt du."
Ob die Wände Ohren hatten oder
nicht, war schwer zu sagen. Aber ein Gerücht, das oft genug wiederholt wurde,
konnte bald nicht mehr von einer Tatsache unterschieden werden. Obwohl niemand
behaupten konnte, Beweise für diese Affäre gesehen zu haben, schwoll das
Gerücht an wie ein Wattebausch im Wasser, und die Details wurden mit jeder
Erzählung üppiger und reißerischer. Als sich das Gerücht verbreitete, hörten es
sogar die einfachen Leute in den kleinen Dörfern außerhalb von Linyi in ihren
Feldern und auf ihren Äckern flüstern.
„Goudan-Ge,
ich verrate dir ein Geheimnis, aber du musst versprechen, es niemandem zu
verraten."
„Welches Geheimnis? Sei nicht
so schüchtern, sag es mir! Meine Lippen sind versiegelt; ich werde kein Wort
sagen."
„Dann hör besser gut zu. Es
gibt einen schockierenden Skandal in der Rufeng-Sekte. Diese Song Qiutong ‒ du
kennst sie, nicht wahr? Das Mädchen, das bald Nangong Si heiraten wird? Wie
sich herausgestellt hat, ist sie ein ziemliches Luder, heh. Vielleicht hat Goudan-Ge
es noch nicht gehört ‒ sie hat ihrem Verlobten bereits den Rücken gekehrt und
sich mit Ye Wangxi zusammengetan!"
„Was? Warum?!"
„Warum nicht? Wisst ihr nicht,
dass Song Qiutong damals im Xuanyuan-Pavillon versteigert wurde und Ye Wangxi
derjenige war, der sie als erster begehrte und sie für die duale Kultivierung
kaufte? Ich wette, er hatte alle möglichen bösen Ideen!"
Li Goudan blieb vor Verblüffung
der Mund offen stehen. Erst nach einer ganzen Weile konnte er stammeln: „Um
Himmels willen ... Wie konnte so etwas passieren ..."
Die Gedanken des einfachen
Dorfbewohners wurden auf den Kopf gestellt. In dieser Nacht umarmte Li Goudan
seine Frau, während sie sich unterhielten und den Kopf auf ein Kissen legten. „Chunhua,
du bist der Beste", sagte er voller Gefühl.
Seine Frau, Zhao Chunhua,
blinzelte. „Was ist los ‒ warum sagst du das auf einmal?"
„Sieh mal, du bist vielleicht
ein bisschen dick, klein und hässlich, aber du arbeitest wenigstens hart und
zeugst Kinder. Nicht wie die kleinen Damen, die ihre Männer betrügen und nicht
wissen, wo die Frau hingehört."
Zhao Chunhua war verärgert. „Wieso
bin ich hässlich? Mein Teint ist nur ein bisschen blass!" Dennoch war ihre
Neugierde geweckt. „Wessen Frau schläft herum? Warum habe ich noch nichts davon
gehört?"
„Sie sind nicht aus unserem
Dorf ‒ es ist eine daoistische Dame und ein Daozhang die
immer mit Schwertern herumfliegen."
„Wer?", fragte Zhao Chunhua
erstaunt.
„Die beiden, die bald eine
große Hochzeit feiern werden", antwortete Li Goudan.
Zhao Chunhua brauchte einen
Moment, um an Nangong Si zu denken. Sie starrte eine Weile ausdruckslos vor
sich hin, bevor sie verstand. „Um Himmels willen, nein!", rief sie und
setzte sich kerzengerade im Bett auf. „Ernsthaft? Ich hoffe, du nimmst mich
nicht auf den Arm."
„Warum sollte ich?" Li Goudan
blähte seine Brust auf. Er wollte, dass seine Frau ihm vertraute, also sagte er
feierlich: „Einer meiner Freunde hat mit eigenen Augen gesehen, wie Ye Wangxi
und Song Qiutong von der Rufeng-Sekte es miteinander getrieben haben! Sie treiben
es schon seit Ewigkeiten hinter dem Rücken von Nangong Si miteinander!“
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In dieser weiten Welt
verbreitete sich das Gerede über Liebesaffären am schnellsten. Alle, die
Reichen und die Armen, die Kultivierer und die einfachen Leute, griffen dieses
neue Gesprächsthema mit Freude auf. Im Handumdrehen hatten alle in der
Rufeng-Sekte versammelten Gäste von dem Skandal gehört. Als die Geschichte den
Weg zu Chu Wannings Ohren fand, hatte sie ein wahrhaft prächtiges Flügelpaar
entwickelt. Das Jahr, der Monat und der Tag des geheimen Treffens von Ye Wangxi
und Song Qiutong waren genau festgelegt worden. Es ging sogar so weit, dass Song
Qiutong sich beeilte, Nangong Si zu heiraten, weil sie schwanger war, aber Ye
Wangxi war ein herzloser Schurke, der sich weigerte, seine Zukunftsaussichten
durch die Anerkennung von ihr und dem Kind zu zerstören.
„Wenn du es nicht glaubst, dann
warte und sieh selbst, nach wem das Kind kommt ‒ nach Nangong Si oder nach Ye
Wangxi!"
Chu Wanning kannte Nangong Si,
aber weder Ye Wangxi noch Song Qiutong. Er konnte nicht sagen, ob das Gerücht
wahr oder falsch war, aber er fühlte sich dadurch extrem irritiert. Unglücklicherweise
war er der Typ, der viel effektiver gegen klar definierte Bedrohungen vorging. Wenn
es aber um diese nebulösen Angelegenheiten ging, und insbesondere um alles, was
mit Romantik zu tun hatte, waren ihm die Hände auf dem Rücken gebunden. Er
hatte keinen blassen Schimmer, was er tun sollte.
Als Nangong Si Chu Wanning im
Gäste-Innenhof einen Besuch abstattete, versuchte Chu Wanning, ihn auf subtile
Weise auszufragen. Aber Nangong Si verstand nicht, was er damit sagen wollte.
Nach wie vor erzählte er Chu-Zongshi nur munter Anekdoten über seinen Feenwolf Naobaijin.
„Ich habe vor einiger Zeit eine
Partnerin für ihn gefunden ‒ es lief ziemlich glatt. Die Wölfin sollte nächsten
Monat einen Wurf zur Welt bringen. Ich frage mich, wie viele Welpen wir
bekommen werden", überlegte Nangong Si mit einem Grinsen. „Wenn einer der
Welpen besonders gut ist, werde ich Vater bitten, einen zum Sisheng-Gipfel zu
schicken.“
Chu Wanning sah eine
ausgezeichnete Gelegenheit und antwortete: „Mn, aber ich frage mich, ob das
Blut dieses Wolfswelpen rein sein wird."
„Warum sollte es das nicht
sein? Naobaijin und die Wölfin sind beide von der gleichen Rasse der
kultivierten Schneewölfe. Reiner geht es nicht mehr."
„Bist du sicher, dass die
Mutter nicht schon einmal mit einem anderen Feenwolf gepaart wurde?"
Nangong Si blinzelte. „Auf
keinen Fall. Diese Wölfin wurde von Bitan-Gut aufgezogen, und sie war die
einzige Wölfin an diesem Ort. Sie könnte keinen anderen Gefährten finden,
selbst wenn sie es versuchen würde. Es gab nur unseren Naobaijin."
Chu Wanning dachte, dass er mit
seinen Andeutungen nicht deutlicher sein könnte. Er zog ganz klar eine
Parallele zwischen Menschen und Wölfen und deutete damit an, dass Nangong Si
sich vor diesen Gerüchten in Acht nehmen sollte. Warum hat er das nicht
verstanden? Nach einigem Nachdenken kam Chu Wanning zu dem Schluss, dass er
sich wohl nicht klar ausgedrückt hatte. Er überlegte weiter und fügte hinzu: „Selbst
wenn sie die einzige Feenwölfin auf dem Bitan-Gut war, muss sie doch eine Weile
in der Rufeng-Sekte geblieben sein, als du sie hierher gebracht hast, um sich
mit Naobaijin zu paaren, oder? Du hältst doch so viele Feenwölfe, könnte es
sein, dass ..."
„Niemals!" Nangong Si
lachte fröhlich. „Deshalb hat sich Zongshi also Sorgen gemacht? Die Wölfin und Naobaijin
teilten sich denselben Zwinger ‒ wie sollten die anderen Wölfe da eine Chance
haben?"
Chu Wanning war sprachlos. Vergiss
es ‒ hoffnungsloser Idiot!
Nangong Si bemerkte Chu
Wannings düstere Stimmung nicht. Er stand auf und sprach eine Einladung aus. „Zongshi,
die Mondflötenfelder waren unvollendet, als du gegangen bist. Seitdem sind sie
zweimal erweitert worden. Warum führe ich dich nicht ein wenig herum, und du
kannst mit Naobaijin eine Runde drehen?"
„Das muss ich ablehnen",
sagte Chu Wanning.
„Warum?", fragte Nangong Si,
sichtlich niedergeschlagen.
„Ich kann nur auf Pferden
reiten", sagte Chu Wanning. „Hör auf, so viel herumzuspielen; du wirst
bald der Ehemann von jemandem sein. Du kannst nicht deine ganze Zeit damit
verbringen, Wolfswelpen aufzuziehen und auf dem Trainingsgelände herumzutollen.
Du solltest Zeit mit Fräulein Song verbringen, wann immer du kannst. Menschen
und Tiere sind sich in dieser Hinsicht ähnlich, wenn ihr keine Zeit miteinander
verbringt, werdet ihr euch auseinanderleben."
„Nein, Qiutong ist immer gut zu
mir, und sie ist auch sehr gehorsam.“
Chu Wanning starrte ihn mit
einem langen Blick an.
„Wenn Zongshi meint, ich würde
sie vernachlässigen, werde ich sie bitten, sich uns anzuschließen", fuhr Nangong
Si fort. „Ich spreche die ganze Zeit von dir. Ich bin sicher, sie würde sich
freuen, dich kennenzulernen."
Da Chu Wanning Song Qiutong
nicht kannte, konnte er nicht einschätzen, was an den Gerüchten wahr und was
falsch war. Ihm kam der Gedanke, dass es vielleicht keine schlechte Idee wäre,
dieses junge Paar vor der Hochzeit kennenzulernen. Chu Wanning nickte und stand
auf. „Sehr gut, warum holst du sie dann nicht ab? Ich warte bei den Mondflötenfelder
auf dich."
Auf dem Weg nach draußen
begegnete Nangong Si Mo Ran der auf dem Weg nach drinnen war. Sie tauschten an
der Trennwand des Hofes Verbeugungen aus. Sobald Mo Ran eintrat, entdeckte er Chu
Wanning, der unter dem verzweigten Osmanthusbaum stand. Vor ihm stand ein
kleiner Ofen aus rotem Ton, aus dem Dampffäden aufstiegen, und auf dem
Steintisch standen zwei Tassen mit halb ausgetrunkenem Acht-Schätze-Tee.
„Shizun, ist Nangong Si zu
Besuch gekommen?"
„Mn. Er hat mich zu den Mondflötenfeldern
eingeladen, um seine Feenwölfe zu sehen." Chu Wanning drehte sich um und
ging in sein Zimmer. „Diese Kleidung eignet sich nicht zum Reiten, ich ziehe
mich um."
Feenwölfe waren furchterregende
Kreaturen. Auch wenn Mo Ran wusste, dass Chu Wanning mit ihnen umgehen konnte,
fühlte er sich nicht wohl dabei, ihn allein gehen zu lassen. „Ich werde Shizun
begleiten", bot er an.
Chu Wanning hielt inne und warf
ihm einen Seitenblick zu. „Kannst du auf Wölfen reiten?"
Mo Ran grinste, seine schwarzen
Augen tanzten. „Warum nicht? Ich kann gut reiten, also sollte ich auch gut auf
allem anderen reiten können. Wölfe eingeschlossen."
Chu Wanning wollte gerade
spöttisch lächeln, als er merkte, dass da die Formulierung "also sollte
ich auch gut auf allem anderen reiten können" etwas suggestiv und
gefährlich Zweideutiges hatte. Die Szenen, die er geträumt hatte, tauchten
plötzlich vor seinen Augen auf. Er erinnerte sich an die Position der beiden
Gestalten in seinen Träumen ‒ der Schweißglanz auf Mo Rans kräftigem
Oberkörper, Chu Wanning selbst, der hilflos auf dem Bett lag und Mo Ran
gewähren ließ, wie ein Spielzeug, das unter Mo Rans Körper gefangen war und auf
dem dieser in rasantem Galopp ritt.
Chu Wannings Gesicht lief rot
an. „Absolut schamlos!", schnaufte er leise. Ob er damit Mo Ran oder sich
selbst tadelte, war unklar. Chu Wanning machte auf dem Absatz kehrt, stieß die
Tür zu seinem Zimmer auf und stürmte hinein. Der aufgerollte Vorhang über der
Tür schwankte in seinem Schlepptau und ahmte das Herzklopfen des Mannes nach,
der darin Zuflucht suchte.
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Die Mondflötenfelder waren eine
große Lichtung. Die trockene Vegetation raschelte in der beißenden Luft, die
gelbgrüne Ebene war mit einer Frostschicht überzogen. Die Wintersonne hing
gleichgültig am Himmel, kühl hinter einem Wolkenschirm, ihr Licht halbherzig
und leblos.
Im Gegensatz dazu lag das
private Jagdgebiet der Rufeng-Sekte an einem Ende der Lichtung, üppig bewachsen
mit Kiefern und Zypressen. Ihre dicken Nadeln leuchteten in der Ferne golden,
wie die weichen Daunen eines Vogelbabys. Nangong Si stand vor dem Holzzaun des
Feldes und unterhielt sich mit Song Qiutong. Durch den Nebel sah er zwei
Silhouetten auf sich zukommen ‒ Chu Wanning und Mo Ran. Nach einem kurzen
Schreck grinste er. „Mo-Zongshi, Ihr seid mit Eurem Shizun gekommen, weil Ihr
Angst hattet, ihn in meiner Obhut zu lassen?"
Mo Ran lächelte zurück. „Nein.
Ich bin gekommen, falls Shizun auf etwas stößt, das ihm missfällt. Wenn es
niemanden gibt, der seine Wut aushält, könnte er sie an Nangong-Gongzi
auslassen, und das wäre unsagbar unhöflich. Ich bin hier als sein Prügelknabe."
Chu Wanning starrte ihn an. „Mir
scheint, du bist hier, um Ärger zu machen."
„Pfft." Song Qiutong, die
hinter Nangong Si stand, stieß ein schallendes Lachen aus. Sie hob ihre
Wimpern, fein wie die Federn eines Kükens, und trat anmutig hinter ihrem
Verlobten hervor. Alles an ihr war atemberaubend schön: das Haar war üppig wie die
Wolken und das Gesicht so bezaubernd wie eine blühende Blume.
Sie schaute Mo Ran und Chu
Wanning an und sagte sanft: „Ich habe immer gehört, dass Chu-Zongshi und
Mo-Zongshi eine tiefe Meister-Schüler-Bindung haben. Jetzt sehe ich, dass es
wirklich so ist, wie man sagt."
Erklärungen:
Goudan heißt
übersetzt Hundeeier.
Daozhang ist eine höfliche Anrede für Kultivierer,
gleichbedeutend mit ‘Herr
Kultivierer/ Frau Kultiviererin’. Kann
allein als Titel verwendet oder an den Familiennamen einer Person angehängt
werden. Daozhang heißt wörtlich übersetzt ‘Daoistischer Meister‘.
Der
Name "Acht
Schätze" bezieht sich auf die acht Hauptzutaten:
Chrysantheme, grüner Tee, Jujube, Süßholz, Longan, Rosine, Rose und
Kandiszucker. Zusammen aufgekocht ergeben sie ein wohlschmeckendes Getränk, das
beruhigend und erfrischend ist und mit dem man es kaum vergleichen kann.
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Armer Chu Wanning, immer spielen ihm seine erotischen Träume einen Streich
AntwortenLöschenEs ist immer wieder erstaunlich, wie Gerüchte sind verändern und weiß Gott für eine Story dann daraus wird. Und natürlich sagt man dann immer, man hält den Mund und erzählt es nicht weiter. XD
AntwortenLöschenChu Wanning will sich erstmal selber ein Bild vom dem Ganzen machen. Aber seine Andeutungen... an Nangong Si seiner Stelle, hätte ich aber auch nicht gemerkt, auf was Chu Wanning hinaus wollte XD
Und dann kommt Mo Ran mit seinen Zweideutigen Sätzen daher und bringt Chu Wanning wieder durcheinander XDD