Chu Wanning betrachtete Song Qiutong von oben bis unten. Im Xuanyuan-Pavillon hatte er geglaubt, dass sie eine Schönheit besaß, die Nationen umstürzen konnte. Aus der Nähe betrachtet war sie so schön wie ein Lotus, der über dem Wasser blüht, oder wie ein rosiger Himmel, in dem sich die Morgendämmerung spiegelt, und die Welt um sie herum wurde durch das Licht, das ihr schwarzes Haar schimmern ließ, zum Funkeln gebracht. Ihre Schönheit war unvergleichlich. Kein Wunder, dass Nangong Si von ihr angetan war.
Chu Wanning warf einen kurzen
Blick auf Mo Ran, um seine Reaktion zu sehen. Er hatte nicht damit gerechnet,
dass Mo Ran in dem Moment, in dem er zu ihm hinüberschaute, seinen Blick
erwiderte.
Mo Ran hatte Song Qiutong gar
nicht angeschaut; Nangong Si hätte genauso gut neben leerer Luft stehen können.
Stattdessen hatte Mo Ran die ganze Zeit über Chu Wanning angestarrt.
Die Augen trafen sich, und Mo
Ran lächelte warmherzig. Chu Wanning spürte, wie er unter Mo Rans Blick schwach
wurde, beharrte aber darauf, seine ungerührte Miene beizubehalten. Er und Mo
Ran sahen sich einen flüchtigen Augenblick lang an, bevor Chu Wanning sein
Gesicht so würdevoll, wie möglich abwandte.
„Wir halten viele Feenwölfe auf
den Mondflötenfeldern. Naobaijin ist der furchtloseste von ihnen ‒ und auch
mein Liebling." Nangong Si führte die Gruppe in die Mitte des leeren
Feldes und blies drei schrille Pfiffe auf der Jadeflöte, die er an seiner Hüfte
trug. Einen Moment lang herrschte Stille. Dann peitschte ein heftiger Wind aus
dem dichten Wald, weißes Licht und dunkle Schatten wirbelten wie ein Tornado.
Im Handumdrehen sprang blitzschnell ein Feenwolf mit schimmerndem Fell und
goldenen Klauen herbei, sein Körper krümmte sich in einem gewundenen Bogen. Im
Schein der fahlen Wintersonne heulte die Bestie auf, bevor sie sich auf dem
Boden niederließ. Kurz vor Nangong Si kam sie zum Stehen und bellte kurz auf.
Nangong Si trat vor und
streichelte den weichen, flauschigen Nacken von Naobaijin, dann drehte er sich
um und grinste Chu Wanning an. „Zongshi, sieh nur ‒ er ist so groß geworden. Er
war ein winziger Welpe, als du gegangen bist."
„Als ich wegging, war er schon
so groß wie ein ausgewachsener Mann", sagte Chu Wanning ausdruckslos.
„Ha ha ha ha, wirklich? Ich
dachte immer, er wäre wirklich klein, wie ein Welpe gewesen."
Chu Wanning beäugte ihn
zweifelnd.
„Zongshi, warum nimmst du ihn
nicht mit auf einen Ausflug?" Nangong Si blies erneut in die Flöte und
rief zwei weitere schneeweiße Feenwölfe aus dem Wald. „Mo-Zongshi, wollt Ihr es
auch versuchen?"
Die drei kletterten auf die
Rücken ihrer Feenwölfe. „Haltet euch an den Zügeln oder an ihren Nackenfellen
fest und achtet darauf, dass eure Beine angewinkelt bleiben", riet Nangong
Si. „Es ist fast so, als würdet ihr ein Pferd reiten." Er bückte sich und
reichte Song Qiutong die Hand. „Qiutong, du kommst mit mir hoch."
Chu Wanning hatte gedacht, dass
er nicht wüsste, wie man auf einem Feenwolf reitet, aber nach ein paar
Augenblicken auf dem Rücken des Wolfes stellte er fest, dass es gar nicht so
schwierig war. Feenwölfe waren hochintelligent und reagierten sensibel auf die
Absichten ihrer Reiter; sie waren in der Tat einfacher zu reiten als ein
durchschnittliches Pferd.
„Wie findest du es?",
fragte Nangong Si mit einem Lächeln. „Sollen wir eine Runde drehen?"
„Dürfen wir überall hingehen?"
„Natürlich ‒ ihr könnt eure
Wölfe überall im Wald hinter dem Berg oder in den Mondflötenfeldern laufen
lassen."
Mo Ran grinste. „Schlagt Ihr
ein Rennen vor?"
Chu Wanning sah zu Nangong Si
hinüber, der rittlings auf seinem Wolf saß und Song Qiutong hinter sich hatte.
Vielleicht, so dachte er, war dies die perfekte Gelegenheit für das junge Paar,
sich zu verbinden. Er stimmte gerne zu. „Dann wollen wir mal."
Nangong Si löste fröhlich ein
Armband aus spirituellen Steinen von seinem Handgelenk. „Wie wäre es damit: Wir
gehen zum Ganquan-See am Nordrand des Waldes und fangen fünf Zackenbarsche aus
dem See. Wer als Erster mit seinem Fang an diesen Ort zurückkehrt, ist der
Gewinner, und dieses Armband ist der Preis. Was sagst du dazu?"
„Ein Armband aus spirituellen
Steinen des Siebensterns? Nangong-Gongzi ist bei
Weitem zu großzügig."
„Mit tausend Gold kann ich mir
keine gute Laune kaufen." Nangong Si nahm die Zügel in die Hand und legte
den Kopf schief, um Song Qiutong zu instruieren. „Halte dich gut fest, damit du
nicht fällst. Sag mir einfach Bescheid, wenn wir zu schnell sind."
Mo Ran warf einen Blick auf
Song Qiutong und sagte mit einem kleinen Lächeln: „Vielleicht sollte Nangong-Gongzi
sein Armband jetzt einfach weggeben und sich die Mühe sparen."
„Ha! Unterschätzt mich nicht.
Ich bin auf dem Wolfsrücken aufgewachsen. Ein Passagier mehr ist nichts ‒
selbst ein zweiter würde keinen Unterschied machen. Los gehts, ich zähle bis
drei: eins, zwei, drei!"
Drei schneeweiße Streifen
schossen wie Pfeile auf den Wald zu und überquerten die Mondflötenfeldern im
Handumdrehen. Sie sprangen in die Jagdgründe und verschwanden in den Tiefen des
Waldes.
Zunächst hielt Chu Wanning
hinter Nangong Si und Song Qiutong Schritt. Aber seine Ohren begannen unter dem
Ansturm von Song Qiutongs hohen Schreien zu schmerzen. Da er den Schrecken des
Mädchens keinen Augenblick länger ertragen konnte, spornte er seinen Wolf an
und schoss vorbei. Als die Rufe „Gongzi, langsam!", hinter ihm
verstummten, erkannte Chu Wanning allmählich den Reiz, auf einem Feenwolf zu
reiten. Diese spirituellen Kreaturen waren unglaublich scharfsinnig ‒ beim
kleinsten Zucken seiner Fingerspitzen erfasste Naobaijin seine Absicht und
reagierte darauf. Es war kein Wunder, dass Nangong Si diese Tiere so sehr
liebte.
Der schneidende Wind stach ihm
ins Gesicht, aber Chu Wanning spürte die Kälte nicht. Er blickte in die
Sonnenstrahlen, die durch die Bäume vor ihm fielen, während der Boden unter
seinen Füßen wie eine zurückweichende Flut dahin rauschte. Ein Lächeln stahl
sich auf sein Gesicht; dieser rasante Ritt war wirklich berauschend. Er trieb Naobaijin
an, schneller zu laufen, und die Krallen des Wolfs wirbelten Staub auf, als sie
auf den dicken Teppich aus Tannennadeln trafen.
Hinter ihm saß Mo Ran auf einem
Wolf mit schwarzen Klauen, der Chu Wanning die ganze Zeit über dicht auf den
Fersen gewesen war. In Chu Wannings Brust breitete sich eine unbeschreibliche
Behaglichkeit und Zufriedenheit aus. Er hatte das dumpfe Gefühl, dass es
endlich jemanden gab, der ihm immer dicht auf den Fersen war und dessen
Schritte unaufhörlich widerhallten ‒ jemanden, der ihm folgte, egal wie weit er
rannte und egal in welche Fluten er sich mutwillig hineinwarf.
Chu Wanning und Mo Ran
erreichten den Ganquan-See fast zur gleichen Zeit. Der jadegrüne See war klar
wie ein Spiegel, sein Wasser kräuselte sich vor spiritueller Energie, die die
Ufer nährte und die blühenden und fruchttragenden Bäume vor dem Wechsel der
Jahreszeiten schützte. Selbst jetzt, mitten im Winter, blühten hier die
Mandarinenbäume ‒ ihre smaragdgrünen Blätter verbargen unzählige goldene
Früchte, und der süße Duft von Zitrusfrüchten wehte im Wind.
Chu Wanning stieg behände ab
und sah sich um. „Was für ein wunderbarer Ort."
Mo Ran, der den Feenwolf mit
den schwarzen Klauen führte, kam näher und lächelte. „Wenn es Shizun gefällt,
können wir viele Obstbäume pflanzen, wenn wir wieder auf dem Sisheng-Gipfel
sind. Wir werden sie das ganze Jahr über mit spiritueller Energie versorgen,
damit du Obst essen kannst, wann immer du willst."
Chu Wanning gab ein
unverbindliches Schnauben von sich. Er schritt zum Ufer des Sees und beschwor
Tianwen.
Mo Ran, dem das seltsam vorkam,
hielt ihn sofort auf. „Was machst du da?"
„Fische fangen."
Mo Ran beäugte ihn misstrauisch.
„Shizun wird doch wohl nicht Wind einsetzen und alle Fische aus dem See holen?"
„Wie kommst du auf solche
Ideen?" Chu Wanning funkelte ihn an. Er warf die goldene Ranke auf die
Oberfläche des Sees und sagte sanft: „Wer von euch ist des Lebens müde? Wenn
ihr wollt, kommt an den Haken." Nachdem er diesen Satz dreimal wiederholt
hatte, rief Chu Wanning Tianwen zurück. In den goldglänzenden Blättern spiegelten
sich tatsächlich ein paar Großkopfkarpfen, die nichts mehr zum Leben hatten.
Aus ihren Mündern quollen Blasen, und ihre weißen, geschwollenen Augen starrten
in den Himmel.
Chu Wanning betrachtete seinen
Fang und wandte sich dann an Mo Ran: „Sagte er, er wolle Zackenbarsche?"
„Mn."
Chu Wanning zögerte. ‚Weißt
du, wie Zackenbarsche aussehen?‘ Er überlegte, dass diese Frage vielleicht
noch zu umständlich war, also brachte er Tianwen zu Mo Ran hinüber und hielt
den gefangenen Fisch hoch. „Habe ich hier welche?"
„... Wie wäre es, wenn ich
welche für Shizun fange?"
Mo Ran fing schnell zehn Fische
und teilte sie auf die Qiankunbeutel um die Hälse der beiden Feenwölfe auf. Chu
Wanning ließ den Fisch, den er gefangen hatte, mutlos zurück ins Wasser fallen.
„Das Leben ist nur eine kurze Zeit des Leidens", sagte er leise, als er ihn
losließ. „Ich muss Eure Eminenzen bitten, noch eine Weile auszuharren."
Mo Ran hörte zu und fand diesen
Mann sowohl unglaublich albern als auch niedlich. Nachdem er den letzten
Zackenbarsch sicher verstaut hatte, drehte er sich um und erblickte Chu
Wanning, der vom Rand des kalten, jadegrünen Sees das Ufer hinaufging. Das Wasser
des Sees kräuselte sich hinter ihm und ließ die Ränder seiner weißen Silhouette
verschwimmen.
Ein heftiger Impuls stieg
plötzlich in Mo Rans Herz auf. Er wollte hinübergehen und Chu Wanning in seine
Arme schließen. Er wollte ihn festhalten, ihn mit äußerster Sanftheit
streicheln. Aber er wollte ihn auch zerquetschen, ihn in den Mandarinenhain zerren,
ihn gegen einen Baum pressen, seine Beine anheben und wild in seinen Körper
eindringen. Als er beobachtete, wie Chu Wanning sich näherte, war er
erschrocken, wie widersprüchlich, wie intensiv dieses Verlangen war. Sowohl
seine zartesten als auch seine bösartigsten Begierden waren dazu bestimmt, von
Chu Wanning geweckt zu werden.
Liebe, oh Liebe ‒ war es nicht
genau so? Unnachgiebig und heiß war die scharfe Klinge, die sich in die
brennende Brust bohrte; sanft und warm die Zärtlichkeit, die einen wie
Quellwasser umarmte.
Chu Wanning entging die
Aufregung in Mo Rans Augen, als er näher kam, um den Qiankunbeutel um Naobaijins
Hals zu untersuchen. „Nangong Si ist wirklich etwas Besonderes", sagte er.
„Er reitet so langsam, nur weil er ein Mädchen bei sich hat."
Mo Ran fühlte sich ziemlich
fiebrig. Als Chu Wanning den Kopf senkte, starrte Mo Ran wölfisch auf die helle
Haut seines entblößten Nackens. Hitze regte sich in seinem Bauch, und er
murmelte gedankenlos: „Vielleicht machen sie etwas anderes."
Chu Wanning erstarrte. „Was?"
Erst jetzt wurde Mo Ran klar,
was ihm herausgerutscht war. Er hustete und drehte sich zur Seite. „Nichts."
Aber Chu Wanning verstand die
Andeutung. Seine Augen weiteten sich und verengten sich dann gefährlich vor
Ärger. „Was zum Teufel denkst du dir dabei? Steig wieder auf das Pferd! Los gehts!"
Mo Ran öffnete den Mund, um zu
sagen: Das ist kein Pferd, das ist ein Wolf. Aber als er Chu Wannings
böse Miene und die geröteten Ohrenspitzen sah, schluckte er seine Worte
hinunter. Als er sah, wie Chu Wanning sich erhob und Naobaijin mit einer
einzigen schnellen Bewegung bestieg, ein Bild von unübertroffener Raffinesse
und Schönheit, empfand Mo Ran fast Reue. Er sehnte sich mit so viel
Leidenschaft nach ihm. Wäre es nicht perfekt, wenn Chu Wanning ihm gehören
würde, dachte er ‒ er würde die ganze Kraft aus dem Körper dieses Mannes
ficken. Chu Wanning wäre nicht in der Lage, ein Pferd oder einen Wolf zu
besteigen, er könnte nur in Mo Rans Armen zusammenbrechen.
Diese Idee war zu
ungeheuerlich, zu abscheulich ‒ Mo Ran schüttelte unbewusst den Kopf. Chu
Wanning fing die Bewegung auf. „Was?", schnauzte er. „Warum schüttelst du
den Kopf? Sag mir nicht, dass du denkst, ich hätte unrecht, dich zu tadeln?"
„Nein, nein, Shizuns
Anweisungen sind immer richtig. Ich habe zu viel nachgedacht."
Aber ich habe nicht an Nangong Si
und Song Qiutong gedacht, die irgendetwas von dieser Lächerlichkeit gemacht
haben. Die Person, an die ich gedacht habe, warst du ...
Mo Ran hatte einen anderen
Gedanken. Ah, wäre es nicht toll, wenn er Naobaijin die Beine brechen
könnte? Dann hätte Chu Wanning keinen Wolf mehr zum Reiten. Vielleicht würde er
Mo Ran die Ehre erweisen, auf seinen eigenen Wolf mit den schwarzen Klauen zu
steigen.
Mo Ran wollte ihn unbedingt
wieder in die Arme schließen. Er war wie ein Mann, der kurz vor dem Verdursten
stand und sich an den süßen Tau erinnerte, den er einst besudelt hatte ... Den
ganzen Rückweg über galoppierte er an Chu Wannings Fersen und ertrank in seinen
unbändigen Fantasien.
Als sie zu den Mondflötenfeldern
zurückkehrten, warteten dort Song Qiutong und Nangong Si. Song Qiutong saß auf
dem Boden, einen leuchtenden, jadefarbenen Knöchel vor sich, der mit Blutspuren
übersät war. Auf halber Strecke hatte sie die Warnung von Nangong Si vergessen,
die Beine anzuziehen, und war von einigen Brombeersträuchern geschnitten
worden. Obwohl es sich um eine kleine Verletzung handelte, wollte Nangong Si
sie nicht ignorieren und brachte sie sofort zurück, um die Wunde zu verbinden.
Mo Ran schaute sich ihre Beine
und Füße an. Diese Füße waren zwar objektiv schön anzusehen, aber sie konnten
sich nicht mit denen von Chu Wanning messen. Wie erbärmlich war es, dass er in
seinem früheren Leben Song Qiutongs Füße wirklich gemocht hatte. Er muss blind
gewesen sein.
Heute empfand er jeden Aspekt
von Chu Wanning als wunderbar, ganz gleich, wohin er blickte. Sogar diese
unversöhnlichen, höhnischen, kalt funkelnden Augen fühlten sich jetzt einfach
stolz und unverwechselbar an, so wie es sich für Chu Wanning gehörte. Er war
einfach so gut aussehend ‒ zu verdammt gut aussehend. So gut aussehend, dass
selbst Chu Wannings Blicke, Zurechtweisungen und Augenrollen Mo Ran angesichts
dieser Schönheit in Ekstase versetzten.
„Ich bin die Wette freiwillig
eingegangen, also akzeptiere ich auch den Verlust.“ Nangong Si reichte Chu
Wanning unverblümt den Armreif im Wert von tausend Gold. „Das ist für Zongshi."
Chu Wanning schaute sich das
Schmuckstück an. „Die spirituellen Steine des Siebensterns sind hervorragend
geeignet, um den spirituellen Kern zu nähren. Das ist genau das, was ich
brauche ‒ vielen Dank."
Irritiert murmelte Mo Ran: „Nächstes
Mal werde ich dir etwas noch Besseres besorgen."
„Wie bitte?" Chu Wanning
hatte Mo Rans Worte nicht verstanden und drehte sich um, um ihn anzuschauen.
Mo Ran blickte in diese
Phönixaugen, die ihm so nahe waren, dass er sein eigenes Gesicht in Chu
Wannings Pupillen spiegeln konnte. Die beiden waren sich so nahe, dass sie
praktisch zu einer Einheit verschmolzen. Das angespannte Gefühl in Mo Rans
Brust ließ etwas nach, und er grinste. „Ich sagte, wenn ich etwas Besseres für
Shizun sehe, kaufe ich es für dich."
„In Ordnung."
Chu Wannings stumpfe Zustimmung
machte Mo Ran noch fröhlicher. Er warf einen flüchtigen Blick auf Nangong Si.
Natürlich war Nangong Si völlig ahnungslos, aber das hielt Mo Ran nicht davon
ab, sich mit dem jungen Meister der Rufeng-Sekte zu messen. Vor
Selbstzufriedenheit strotzend wollte er Nangong Si anbrüllen ‒ Shizun
antwortet auf deine Geschenke mit einem höflichen ‚Vielen Dank‘, aber nicht bei
mir! Wir sind uns so nah, dass er nicht höflich sein muss…
Chu Wanning fuhr fort: „Vergiss
nicht, dir vom Verkäufer eine Quittung geben zu lassen, und ich werde es dir
bei Gelegenheit zurückzahlen."
Mo Rans inneres Krächzen
verstummte unversehens.
Nangong Si holte die zehn
Süßwasserzackenbarsche aus den Qiankunbeuteln und brachte alle zu einer kleinen
Holzhütte am Rande der Mondflötenfelder. Draußen stand ein rußverschmierter
Ofen mit einer Reihe von Töpfen und Utensilien. Die Holzhütte sah baufällig
aus, vor allem im Kontrast zu der prächtigen Weite des grasbewachsenen Feldes ‒
als ob sie aus zwei verschiedenen Epochen stammten.
Chu Wanning fuhr mit den
Fingerspitzen am Zaun entlang, bis er eine Fahne aus Yakhaar erreichte, die an
einem Pfosten befestigt war. Die Fahne schien den Elementen viele Jahre lang
getrotzt zu haben, ihre einst leuchtenden Farben waren verblasst.
Nangong Si sammelte gerade
Gewürze aus der Holzhütte, als er sah, wie Chu Wanning stehen blieb und die
Fahne untersuchte. „Ich habe sie in dem Jahr, als Zongshi wegging, hier
aufgehängt", sagte er lächelnd. „Sie ist inzwischen fast verrottet."
Chu Wanning seufzte leise und
setzte sich auf einen niedrigen Schemel, der aus einem Baumstumpf geschnitzt
war. Nangong Si war noch ein kleines Kind gewesen, als Chu Wanning der
Rufeng-Sekte diente. Damals hatte Chu Wanning den Jungen oft auf Spaziergänge um
die Mondflötenfelder mitgenommen, bei denen sie auch an dieser Jagdhütte
vorbeikamen.
Bald wurde ein Feuer
angezündet. Sie rösteten die Zackenbarsche auf den Zweigen der Obstbäume, und
der reiche Saft verströmte ein köstliches Aroma, als er von der knusprigen,
angebrannten Haut in die Flammen tropfte. Nangong Si warf sechs der Fische zu
den Feenwölfen, die neben dem Holzzaun lagen. Die restlichen vier bestreute er
mit Salz und verteilte sie an jeden Einzelnen.
Song Qiutong aß nur ein paar
Bissen, bevor er ihren an Nangong Si weitergab, der bereits einen ganzen dicken
Fisch verschlungen hatte. „Ich schaffe es nicht, ihn aufzuessen. Gongzi, nimm
bitte den Rest."
Chu Wanning sah zu, wie Nangong
Si den gebratenen Fisch nahm und fröhlich eine zweite Portion verschlang. Diese
Song Qiutong schien sanft und respektvoll zu sein, dachte er ‒ eine
rücksichtsvolle Person, ganz anders als die scharlachrote Frau, als die sie in
Gerüchten dargestellt wurde. Klatsch und Tratsch konnte man wirklich nicht für
bare Münze nehmen.
Während er darüber nachdachte,
wurde ihm ein Lotusblatt in die Hand gedrückt. Es enthielt saubere Fischfilets
mit herausgelösten Gräten, deren zartes, nach Rauch duftendes Fleisch in der
kalten Luft dampfte. Mit einigem Erstaunen drehte sich Chu Wanning um und sah,
wie Mo Ran den silbernen Dolch, den er immer bei sich trug, wegsteckte. „Shizun,
nimm das", sagte er lächelnd.
„Woher hast du das Lotusblatt?"
„Ich habe es gepflückt, als ich
den Fisch gefangen habe." Mo Ran schob ihm den Fisch zu. „Iss ihn, solange
er noch heiß ist. Wenn er kalt wird, schmeckt er nicht mehr so gut."
Chu Wanning nahm das
Lotusblatt, sein Herz flatterte. „Danke."
Es stimmte, dass er nicht gerne
Fisch mit Gräten aß, und der zarte, filetierte Zackenbarsch schmolz ihm
förmlich im Mund zusammen. Chu Wanning aß einen Bissen nach dem anderen, fand
ihn aber nie zu schwer. Als er fertig war, kochte der Tee, der über dem Feuer
hing, bereits. Song Qiutong stand auf, nahm die eiserne Teekanne ab und
schenkte jedem eine Tasse ein. Respektvoll reichte sie jedem der drei Männer
mit beiden Händen eine Teetasse.
„Chu-Zongshi, bitte trinkt
etwas Tee."
Song Qiutong hielt die kleine
Porzellantasse in ihren feinen, jadeweißen Händen, ihre Arme leuchteten wie der
Mond, auf der Innenseite ihres Handgelenks befand sich ein auffälliges
Zinnobermal.
Chu Wanning erinnerte sich,
dass die zweite Pavillonmeisterin des Xuanyuan-Pavillons bei der Versteigerung
erwähnt hatte, dass Hanlin der Weise einen Zinnoberpunkt der Keuschheit auf
Song Qiutongs Handgelenk angebracht hatte ‒ das musste er sein. Wenn das
Zeichen noch vorhanden war, war alles Gerede über Song Qiutongs Affäre mit Ye
Wangxi zwangsläufig Unsinn. Chu Wanning atmete leise auf. Nangong Si war ein
junger Mann mit einem reinen Herzen, wie ein wildes Pferd in der Ebene oder ein
einsamer Wolf in der Wildnis, voller Kampfgeist und Tatkraft. Chu Wanning hielt
viel von Menschen wie ihm. Er wollte nicht, dass Nangong Si eine schlechte
Partie machte.
Song Qiutong hatte sich auf den
Weg zu Mo Ran gemacht, um ihm Tee anzubieten. Er nahm die Tasse an, stellte sie
aber beiseite, ohne einen Schluck zu nehmen. „Fräulein Song, ich möchte Ihnen
etwas schenken", sagte er mit einem leichten Lächeln.
Erklärungen:
Der Siebenstern bezieht sich auf die sieben Sterne von Beidou, der Sterngruppe, die in der westlichen Astronomie als Ursa Major oder Großer Wagen bekannt ist.
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Mo Ran hat eine gleichfalls ausschweifende Phantasie, aber wenigstens kann er sich in diesem Leben bisher soweit beherrschen, dass er seinen Gelüsten nicht nachgibt
AntwortenLöschenJetzt bin ich froh darum, aber irgendwann möchte ich zu gern diese Szene zu gern lesen.
LöschenEin Sprung ins kalte Wasser, hätte Mo Ran gut getan XD Zum Glück weiß Chu Wanning nicht was in ihm vorgeht, sonst wäre dieser ebenfalls mehr als durch XD
AntwortenLöschenBei diesem Ausflug konnte sich Chu Wanning ein Bild von diesem Klatsch und Tratsch machen. Man sollte sich immer zuerst ein eigenes Bild machen, was wahr ist an den Gerüchten.
Aber Mo Ran seine Gedanken zum Teil in diesem Kapitel und wie er sich wieder um Chu Wanning gekümmert hat, war wieder so herrlich, wie süß.
Mo Rans Gedanken, sein ständiges Abhängen mit Chu Wanning und seine Enthaltsamkeit tut auf Dauer Mo Ran wohl nicht so gut. Was hilft dagegen? Die Gefühle für seinen Shizun gestehen und nach einer angemessenen Zeit die Intimität auf der Beziehung auf die Spitze treiben.
LöschenDa Mo Ran Chu Wanning im letzten Leben so mies und grausam behandelt hat, will er einfach alles anders machen und sich um seinen Liebsten kümmern. Es ist im Prinzip seine Art, Buße zu tun und der Versuch alles besser zu machen, als damals in seinem vergangenen Leben als Taxian-Jun.