Kapitel 156 ~ Shizun ist gut im Reiten

Chu Wanning betrachtete Song Qiutong von oben bis unten. Im Xuanyuan-Pavillon hatte er geglaubt, dass sie eine Schönheit besaß, die Nationen umstürzen konnte. Aus der Nähe betrachtet war sie so schön wie ein Lotus, der über dem Wasser blüht, oder wie ein rosiger Himmel, in dem sich die Morgendämmerung spiegelt, und die Welt um sie herum wurde durch das Licht, das ihr schwarzes Haar schimmern ließ, zum Funkeln gebracht. Ihre Schönheit war unvergleichlich. Kein Wunder, dass Nangong Si von ihr angetan war.

Chu Wanning warf einen kurzen Blick auf Mo Ran, um seine Reaktion zu sehen. Er hatte nicht damit gerechnet, dass Mo Ran in dem Moment, in dem er zu ihm hinüberschaute, seinen Blick erwiderte.

Mo Ran hatte Song Qiutong gar nicht angeschaut; Nangong Si hätte genauso gut neben leerer Luft stehen können. Stattdessen hatte Mo Ran die ganze Zeit über Chu Wanning angestarrt.

Die Augen trafen sich, und Mo Ran lächelte warmherzig. Chu Wanning spürte, wie er unter Mo Rans Blick schwach wurde, beharrte aber darauf, seine ungerührte Miene beizubehalten. Er und Mo Ran sahen sich einen flüchtigen Augenblick lang an, bevor Chu Wanning sein Gesicht so würdevoll, wie möglich abwandte.

„Wir halten viele Feenwölfe auf den Mondflötenfeldern. Naobaijin ist der furchtloseste von ihnen ‒ und auch mein Liebling." Nangong Si führte die Gruppe in die Mitte des leeren Feldes und blies drei schrille Pfiffe auf der Jadeflöte, die er an seiner Hüfte trug. Einen Moment lang herrschte Stille. Dann peitschte ein heftiger Wind aus dem dichten Wald, weißes Licht und dunkle Schatten wirbelten wie ein Tornado. Im Handumdrehen sprang blitzschnell ein Feenwolf mit schimmerndem Fell und goldenen Klauen herbei, sein Körper krümmte sich in einem gewundenen Bogen. Im Schein der fahlen Wintersonne heulte die Bestie auf, bevor sie sich auf dem Boden niederließ. Kurz vor Nangong Si kam sie zum Stehen und bellte kurz auf.

Nangong Si trat vor und streichelte den weichen, flauschigen Nacken von Naobaijin, dann drehte er sich um und grinste Chu Wanning an. „Zongshi, sieh nur ‒ er ist so groß geworden. Er war ein winziger Welpe, als du gegangen bist."

„Als ich wegging, war er schon so groß wie ein ausgewachsener Mann", sagte Chu Wanning ausdruckslos.

„Ha ha ha ha, wirklich? Ich dachte immer, er wäre wirklich klein, wie ein Welpe gewesen."

Chu Wanning beäugte ihn zweifelnd.

„Zongshi, warum nimmst du ihn nicht mit auf einen Ausflug?" Nangong Si blies erneut in die Flöte und rief zwei weitere schneeweiße Feenwölfe aus dem Wald. „Mo-Zongshi, wollt Ihr es auch versuchen?"

Die drei kletterten auf die Rücken ihrer Feenwölfe. „Haltet euch an den Zügeln oder an ihren Nackenfellen fest und achtet darauf, dass eure Beine angewinkelt bleiben", riet Nangong Si. „Es ist fast so, als würdet ihr ein Pferd reiten." Er bückte sich und reichte Song Qiutong die Hand. „Qiutong, du kommst mit mir hoch."

Chu Wanning hatte gedacht, dass er nicht wüsste, wie man auf einem Feenwolf reitet, aber nach ein paar Augenblicken auf dem Rücken des Wolfes stellte er fest, dass es gar nicht so schwierig war. Feenwölfe waren hochintelligent und reagierten sensibel auf die Absichten ihrer Reiter; sie waren in der Tat einfacher zu reiten als ein durchschnittliches Pferd.

„Wie findest du es?", fragte Nangong Si mit einem Lächeln. „Sollen wir eine Runde drehen?"

„Dürfen wir überall hingehen?"

„Natürlich ‒ ihr könnt eure Wölfe überall im Wald hinter dem Berg oder in den Mondflötenfeldern laufen lassen."

Mo Ran grinste. „Schlagt Ihr ein Rennen vor?"

Chu Wanning sah zu Nangong Si hinüber, der rittlings auf seinem Wolf saß und Song Qiutong hinter sich hatte. Vielleicht, so dachte er, war dies die perfekte Gelegenheit für das junge Paar, sich zu verbinden. Er stimmte gerne zu. „Dann wollen wir mal."

Nangong Si löste fröhlich ein Armband aus spirituellen Steinen von seinem Handgelenk. „Wie wäre es damit: Wir gehen zum Ganquan-See am Nordrand des Waldes und fangen fünf Zackenbarsche aus dem See. Wer als Erster mit seinem Fang an diesen Ort zurückkehrt, ist der Gewinner, und dieses Armband ist der Preis. Was sagst du dazu?"

„Ein Armband aus spirituellen Steinen des Siebensterns? Nangong-Gongzi ist bei Weitem zu großzügig."

„Mit tausend Gold kann ich mir keine gute Laune kaufen." Nangong Si nahm die Zügel in die Hand und legte den Kopf schief, um Song Qiutong zu instruieren. „Halte dich gut fest, damit du nicht fällst. Sag mir einfach Bescheid, wenn wir zu schnell sind."

Mo Ran warf einen Blick auf Song Qiutong und sagte mit einem kleinen Lächeln: „Vielleicht sollte Nangong-Gongzi sein Armband jetzt einfach weggeben und sich die Mühe sparen."

„Ha! Unterschätzt mich nicht. Ich bin auf dem Wolfsrücken aufgewachsen. Ein Passagier mehr ist nichts ‒ selbst ein zweiter würde keinen Unterschied machen. Los gehts, ich zähle bis drei: eins, zwei, drei!"

Drei schneeweiße Streifen schossen wie Pfeile auf den Wald zu und überquerten die Mondflötenfeldern im Handumdrehen. Sie sprangen in die Jagdgründe und verschwanden in den Tiefen des Waldes.

Zunächst hielt Chu Wanning hinter Nangong Si und Song Qiutong Schritt. Aber seine Ohren begannen unter dem Ansturm von Song Qiutongs hohen Schreien zu schmerzen. Da er den Schrecken des Mädchens keinen Augenblick länger ertragen konnte, spornte er seinen Wolf an und schoss vorbei. Als die Rufe „Gongzi, langsam!", hinter ihm verstummten, erkannte Chu Wanning allmählich den Reiz, auf einem Feenwolf zu reiten. Diese spirituellen Kreaturen waren unglaublich scharfsinnig ‒ beim kleinsten Zucken seiner Fingerspitzen erfasste Naobaijin seine Absicht und reagierte darauf. Es war kein Wunder, dass Nangong Si diese Tiere so sehr liebte.

Der schneidende Wind stach ihm ins Gesicht, aber Chu Wanning spürte die Kälte nicht. Er blickte in die Sonnenstrahlen, die durch die Bäume vor ihm fielen, während der Boden unter seinen Füßen wie eine zurückweichende Flut dahin rauschte. Ein Lächeln stahl sich auf sein Gesicht; dieser rasante Ritt war wirklich berauschend. Er trieb Naobaijin an, schneller zu laufen, und die Krallen des Wolfs wirbelten Staub auf, als sie auf den dicken Teppich aus Tannennadeln trafen.

Hinter ihm saß Mo Ran auf einem Wolf mit schwarzen Klauen, der Chu Wanning die ganze Zeit über dicht auf den Fersen gewesen war. In Chu Wannings Brust breitete sich eine unbeschreibliche Behaglichkeit und Zufriedenheit aus. Er hatte das dumpfe Gefühl, dass es endlich jemanden gab, der ihm immer dicht auf den Fersen war und dessen Schritte unaufhörlich widerhallten ‒ jemanden, der ihm folgte, egal wie weit er rannte und egal in welche Fluten er sich mutwillig hineinwarf.

Chu Wanning und Mo Ran erreichten den Ganquan-See fast zur gleichen Zeit. Der jadegrüne See war klar wie ein Spiegel, sein Wasser kräuselte sich vor spiritueller Energie, die die Ufer nährte und die blühenden und fruchttragenden Bäume vor dem Wechsel der Jahreszeiten schützte. Selbst jetzt, mitten im Winter, blühten hier die Mandarinenbäume ‒ ihre smaragdgrünen Blätter verbargen unzählige goldene Früchte, und der süße Duft von Zitrusfrüchten wehte im Wind.

Chu Wanning stieg behände ab und sah sich um. „Was für ein wunderbarer Ort."

Mo Ran, der den Feenwolf mit den schwarzen Klauen führte, kam näher und lächelte. „Wenn es Shizun gefällt, können wir viele Obstbäume pflanzen, wenn wir wieder auf dem Sisheng-Gipfel sind. Wir werden sie das ganze Jahr über mit spiritueller Energie versorgen, damit du Obst essen kannst, wann immer du willst."

Chu Wanning gab ein unverbindliches Schnauben von sich. Er schritt zum Ufer des Sees und beschwor Tianwen.

Mo Ran, dem das seltsam vorkam, hielt ihn sofort auf. „Was machst du da?"

„Fische fangen."

Mo Ran beäugte ihn misstrauisch. „Shizun wird doch wohl nicht Wind einsetzen und alle Fische aus dem See holen?"

„Wie kommst du auf solche Ideen?" Chu Wanning funkelte ihn an. Er warf die goldene Ranke auf die Oberfläche des Sees und sagte sanft: „Wer von euch ist des Lebens müde? Wenn ihr wollt, kommt an den Haken." Nachdem er diesen Satz dreimal wiederholt hatte, rief Chu Wanning Tianwen zurück. In den goldglänzenden Blättern spiegelten sich tatsächlich ein paar Großkopfkarpfen, die nichts mehr zum Leben hatten. Aus ihren Mündern quollen Blasen, und ihre weißen, geschwollenen Augen starrten in den Himmel.

Chu Wanning betrachtete seinen Fang und wandte sich dann an Mo Ran: „Sagte er, er wolle Zackenbarsche?"

„Mn."

Chu Wanning zögerte. ‚Weißt du, wie Zackenbarsche aussehen?‘ Er überlegte, dass diese Frage vielleicht noch zu umständlich war, also brachte er Tianwen zu Mo Ran hinüber und hielt den gefangenen Fisch hoch. „Habe ich hier welche?"

„... Wie wäre es, wenn ich welche für Shizun fange?"

Mo Ran fing schnell zehn Fische und teilte sie auf die Qiankunbeutel um die Hälse der beiden Feenwölfe auf. Chu Wanning ließ den Fisch, den er gefangen hatte, mutlos zurück ins Wasser fallen. „Das Leben ist nur eine kurze Zeit des Leidens", sagte er leise, als er ihn losließ. „Ich muss Eure Eminenzen bitten, noch eine Weile auszuharren."

Mo Ran hörte zu und fand diesen Mann sowohl unglaublich albern als auch niedlich. Nachdem er den letzten Zackenbarsch sicher verstaut hatte, drehte er sich um und erblickte Chu Wanning, der vom Rand des kalten, jadegrünen Sees das Ufer hinaufging. Das Wasser des Sees kräuselte sich hinter ihm und ließ die Ränder seiner weißen Silhouette verschwimmen.

Ein heftiger Impuls stieg plötzlich in Mo Rans Herz auf. Er wollte hinübergehen und Chu Wanning in seine Arme schließen. Er wollte ihn festhalten, ihn mit äußerster Sanftheit streicheln. Aber er wollte ihn auch zerquetschen, ihn in den Mandarinenhain zerren, ihn gegen einen Baum pressen, seine Beine anheben und wild in seinen Körper eindringen. Als er beobachtete, wie Chu Wanning sich näherte, war er erschrocken, wie widersprüchlich, wie intensiv dieses Verlangen war. Sowohl seine zartesten als auch seine bösartigsten Begierden waren dazu bestimmt, von Chu Wanning geweckt zu werden.

Liebe, oh Liebe ‒ war es nicht genau so? Unnachgiebig und heiß war die scharfe Klinge, die sich in die brennende Brust bohrte; sanft und warm die Zärtlichkeit, die einen wie Quellwasser umarmte.

Chu Wanning entging die Aufregung in Mo Rans Augen, als er näher kam, um den Qiankunbeutel um Naobaijins Hals zu untersuchen. „Nangong Si ist wirklich etwas Besonderes", sagte er. „Er reitet so langsam, nur weil er ein Mädchen bei sich hat."

Mo Ran fühlte sich ziemlich fiebrig. Als Chu Wanning den Kopf senkte, starrte Mo Ran wölfisch auf die helle Haut seines entblößten Nackens. Hitze regte sich in seinem Bauch, und er murmelte gedankenlos: „Vielleicht machen sie etwas anderes."

Chu Wanning erstarrte. „Was?"

Erst jetzt wurde Mo Ran klar, was ihm herausgerutscht war. Er hustete und drehte sich zur Seite. „Nichts."

Aber Chu Wanning verstand die Andeutung. Seine Augen weiteten sich und verengten sich dann gefährlich vor Ärger. „Was zum Teufel denkst du dir dabei? Steig wieder auf das Pferd! Los gehts!"

Mo Ran öffnete den Mund, um zu sagen: Das ist kein Pferd, das ist ein Wolf. Aber als er Chu Wannings böse Miene und die geröteten Ohrenspitzen sah, schluckte er seine Worte hinunter. Als er sah, wie Chu Wanning sich erhob und Naobaijin mit einer einzigen schnellen Bewegung bestieg, ein Bild von unübertroffener Raffinesse und Schönheit, empfand Mo Ran fast Reue. Er sehnte sich mit so viel Leidenschaft nach ihm. Wäre es nicht perfekt, wenn Chu Wanning ihm gehören würde, dachte er ‒ er würde die ganze Kraft aus dem Körper dieses Mannes ficken. Chu Wanning wäre nicht in der Lage, ein Pferd oder einen Wolf zu besteigen, er könnte nur in Mo Rans Armen zusammenbrechen.

Diese Idee war zu ungeheuerlich, zu abscheulich ‒ Mo Ran schüttelte unbewusst den Kopf. Chu Wanning fing die Bewegung auf. „Was?", schnauzte er. „Warum schüttelst du den Kopf? Sag mir nicht, dass du denkst, ich hätte unrecht, dich zu tadeln?"

„Nein, nein, Shizuns Anweisungen sind immer richtig. Ich habe zu viel nachgedacht."

Aber ich habe nicht an Nangong Si und Song Qiutong gedacht, die irgendetwas von dieser Lächerlichkeit gemacht haben. Die Person, an die ich gedacht habe, warst du ...

Mo Ran hatte einen anderen Gedanken. Ah, wäre es nicht toll, wenn er Naobaijin die Beine brechen könnte? Dann hätte Chu Wanning keinen Wolf mehr zum Reiten. Vielleicht würde er Mo Ran die Ehre erweisen, auf seinen eigenen Wolf mit den schwarzen Klauen zu steigen.

Mo Ran wollte ihn unbedingt wieder in die Arme schließen. Er war wie ein Mann, der kurz vor dem Verdursten stand und sich an den süßen Tau erinnerte, den er einst besudelt hatte ... Den ganzen Rückweg über galoppierte er an Chu Wannings Fersen und ertrank in seinen unbändigen Fantasien.

Als sie zu den Mondflötenfeldern zurückkehrten, warteten dort Song Qiutong und Nangong Si. Song Qiutong saß auf dem Boden, einen leuchtenden, jadefarbenen Knöchel vor sich, der mit Blutspuren übersät war. Auf halber Strecke hatte sie die Warnung von Nangong Si vergessen, die Beine anzuziehen, und war von einigen Brombeersträuchern geschnitten worden. Obwohl es sich um eine kleine Verletzung handelte, wollte Nangong Si sie nicht ignorieren und brachte sie sofort zurück, um die Wunde zu verbinden.

Mo Ran schaute sich ihre Beine und Füße an. Diese Füße waren zwar objektiv schön anzusehen, aber sie konnten sich nicht mit denen von Chu Wanning messen. Wie erbärmlich war es, dass er in seinem früheren Leben Song Qiutongs Füße wirklich gemocht hatte. Er muss blind gewesen sein.

Heute empfand er jeden Aspekt von Chu Wanning als wunderbar, ganz gleich, wohin er blickte. Sogar diese unversöhnlichen, höhnischen, kalt funkelnden Augen fühlten sich jetzt einfach stolz und unverwechselbar an, so wie es sich für Chu Wanning gehörte. Er war einfach so gut aussehend ‒ zu verdammt gut aussehend. So gut aussehend, dass selbst Chu Wannings Blicke, Zurechtweisungen und Augenrollen Mo Ran angesichts dieser Schönheit in Ekstase versetzten.

„Ich bin die Wette freiwillig eingegangen, also akzeptiere ich auch den Verlust.“ Nangong Si reichte Chu Wanning unverblümt den Armreif im Wert von tausend Gold. „Das ist für Zongshi."

Chu Wanning schaute sich das Schmuckstück an. „Die spirituellen Steine des Siebensterns sind hervorragend geeignet, um den spirituellen Kern zu nähren. Das ist genau das, was ich brauche ‒ vielen Dank."

Irritiert murmelte Mo Ran: „Nächstes Mal werde ich dir etwas noch Besseres besorgen."

„Wie bitte?" Chu Wanning hatte Mo Rans Worte nicht verstanden und drehte sich um, um ihn anzuschauen.

Mo Ran blickte in diese Phönixaugen, die ihm so nahe waren, dass er sein eigenes Gesicht in Chu Wannings Pupillen spiegeln konnte. Die beiden waren sich so nahe, dass sie praktisch zu einer Einheit verschmolzen. Das angespannte Gefühl in Mo Rans Brust ließ etwas nach, und er grinste. „Ich sagte, wenn ich etwas Besseres für Shizun sehe, kaufe ich es für dich."

„In Ordnung."

Chu Wannings stumpfe Zustimmung machte Mo Ran noch fröhlicher. Er warf einen flüchtigen Blick auf Nangong Si. Natürlich war Nangong Si völlig ahnungslos, aber das hielt Mo Ran nicht davon ab, sich mit dem jungen Meister der Rufeng-Sekte zu messen. Vor Selbstzufriedenheit strotzend wollte er Nangong Si anbrüllen ‒ Shizun antwortet auf deine Geschenke mit einem höflichen ‚Vielen Dank‘, aber nicht bei mir! Wir sind uns so nah, dass er nicht höflich sein muss…

Chu Wanning fuhr fort: „Vergiss nicht, dir vom Verkäufer eine Quittung geben zu lassen, und ich werde es dir bei Gelegenheit zurückzahlen."

Mo Rans inneres Krächzen verstummte unversehens.

Nangong Si holte die zehn Süßwasserzackenbarsche aus den Qiankunbeuteln und brachte alle zu einer kleinen Holzhütte am Rande der Mondflötenfelder. Draußen stand ein rußverschmierter Ofen mit einer Reihe von Töpfen und Utensilien. Die Holzhütte sah baufällig aus, vor allem im Kontrast zu der prächtigen Weite des grasbewachsenen Feldes ‒ als ob sie aus zwei verschiedenen Epochen stammten.

Chu Wanning fuhr mit den Fingerspitzen am Zaun entlang, bis er eine Fahne aus Yakhaar erreichte, die an einem Pfosten befestigt war. Die Fahne schien den Elementen viele Jahre lang getrotzt zu haben, ihre einst leuchtenden Farben waren verblasst.

Nangong Si sammelte gerade Gewürze aus der Holzhütte, als er sah, wie Chu Wanning stehen blieb und die Fahne untersuchte. „Ich habe sie in dem Jahr, als Zongshi wegging, hier aufgehängt", sagte er lächelnd. „Sie ist inzwischen fast verrottet."

Chu Wanning seufzte leise und setzte sich auf einen niedrigen Schemel, der aus einem Baumstumpf geschnitzt war. Nangong Si war noch ein kleines Kind gewesen, als Chu Wanning der Rufeng-Sekte diente. Damals hatte Chu Wanning den Jungen oft auf Spaziergänge um die Mondflötenfelder mitgenommen, bei denen sie auch an dieser Jagdhütte vorbeikamen.

Bald wurde ein Feuer angezündet. Sie rösteten die Zackenbarsche auf den Zweigen der Obstbäume, und der reiche Saft verströmte ein köstliches Aroma, als er von der knusprigen, angebrannten Haut in die Flammen tropfte. Nangong Si warf sechs der Fische zu den Feenwölfen, die neben dem Holzzaun lagen. Die restlichen vier bestreute er mit Salz und verteilte sie an jeden Einzelnen.

Song Qiutong aß nur ein paar Bissen, bevor er ihren an Nangong Si weitergab, der bereits einen ganzen dicken Fisch verschlungen hatte. „Ich schaffe es nicht, ihn aufzuessen. Gongzi, nimm bitte den Rest."

Chu Wanning sah zu, wie Nangong Si den gebratenen Fisch nahm und fröhlich eine zweite Portion verschlang. Diese Song Qiutong schien sanft und respektvoll zu sein, dachte er ‒ eine rücksichtsvolle Person, ganz anders als die scharlachrote Frau, als die sie in Gerüchten dargestellt wurde. Klatsch und Tratsch konnte man wirklich nicht für bare Münze nehmen.

Während er darüber nachdachte, wurde ihm ein Lotusblatt in die Hand gedrückt. Es enthielt saubere Fischfilets mit herausgelösten Gräten, deren zartes, nach Rauch duftendes Fleisch in der kalten Luft dampfte. Mit einigem Erstaunen drehte sich Chu Wanning um und sah, wie Mo Ran den silbernen Dolch, den er immer bei sich trug, wegsteckte. „Shizun, nimm das", sagte er lächelnd.

„Woher hast du das Lotusblatt?"

„Ich habe es gepflückt, als ich den Fisch gefangen habe." Mo Ran schob ihm den Fisch zu. „Iss ihn, solange er noch heiß ist. Wenn er kalt wird, schmeckt er nicht mehr so gut."

Chu Wanning nahm das Lotusblatt, sein Herz flatterte. „Danke."

Es stimmte, dass er nicht gerne Fisch mit Gräten aß, und der zarte, filetierte Zackenbarsch schmolz ihm förmlich im Mund zusammen. Chu Wanning aß einen Bissen nach dem anderen, fand ihn aber nie zu schwer. Als er fertig war, kochte der Tee, der über dem Feuer hing, bereits. Song Qiutong stand auf, nahm die eiserne Teekanne ab und schenkte jedem eine Tasse ein. Respektvoll reichte sie jedem der drei Männer mit beiden Händen eine Teetasse.

„Chu-Zongshi, bitte trinkt etwas Tee."

Song Qiutong hielt die kleine Porzellantasse in ihren feinen, jadeweißen Händen, ihre Arme leuchteten wie der Mond, auf der Innenseite ihres Handgelenks befand sich ein auffälliges Zinnobermal.

Chu Wanning erinnerte sich, dass die zweite Pavillonmeisterin des Xuanyuan-Pavillons bei der Versteigerung erwähnt hatte, dass Hanlin der Weise einen Zinnoberpunkt der Keuschheit auf Song Qiutongs Handgelenk angebracht hatte ‒ das musste er sein. Wenn das Zeichen noch vorhanden war, war alles Gerede über Song Qiutongs Affäre mit Ye Wangxi zwangsläufig Unsinn. Chu Wanning atmete leise auf. Nangong Si war ein junger Mann mit einem reinen Herzen, wie ein wildes Pferd in der Ebene oder ein einsamer Wolf in der Wildnis, voller Kampfgeist und Tatkraft. Chu Wanning hielt viel von Menschen wie ihm. Er wollte nicht, dass Nangong Si eine schlechte Partie machte.

Song Qiutong hatte sich auf den Weg zu Mo Ran gemacht, um ihm Tee anzubieten. Er nahm die Tasse an, stellte sie aber beiseite, ohne einen Schluck zu nehmen. „Fräulein Song, ich möchte Ihnen etwas schenken", sagte er mit einem leichten Lächeln.

 

 

 

Erklärungen:

Der Siebenstern bezieht sich auf die sieben Sterne von Beidou, der Sterngruppe, die in der westlichen Astronomie als Ursa Major oder Großer Wagen bekannt ist.




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4 Kommentare:

  1. Mo Ran hat eine gleichfalls ausschweifende Phantasie, aber wenigstens kann er sich in diesem Leben bisher soweit beherrschen, dass er seinen Gelüsten nicht nachgibt

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    1. Jetzt bin ich froh darum, aber irgendwann möchte ich zu gern diese Szene zu gern lesen.

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  2. Ein Sprung ins kalte Wasser, hätte Mo Ran gut getan XD Zum Glück weiß Chu Wanning nicht was in ihm vorgeht, sonst wäre dieser ebenfalls mehr als durch XD
    Bei diesem Ausflug konnte sich Chu Wanning ein Bild von diesem Klatsch und Tratsch machen. Man sollte sich immer zuerst ein eigenes Bild machen, was wahr ist an den Gerüchten.
    Aber Mo Ran seine Gedanken zum Teil in diesem Kapitel und wie er sich wieder um Chu Wanning gekümmert hat, war wieder so herrlich, wie süß.

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    1. Mo Rans Gedanken, sein ständiges Abhängen mit Chu Wanning und seine Enthaltsamkeit tut auf Dauer Mo Ran wohl nicht so gut. Was hilft dagegen? Die Gefühle für seinen Shizun gestehen und nach einer angemessenen Zeit die Intimität auf der Beziehung auf die Spitze treiben.
      Da Mo Ran Chu Wanning im letzten Leben so mies und grausam behandelt hat, will er einfach alles anders machen und sich um seinen Liebsten kümmern. Es ist im Prinzip seine Art, Buße zu tun und der Versuch alles besser zu machen, als damals in seinem vergangenen Leben als Taxian-Jun.

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