Mo Ran brachte ein zartes Armband hervor, das mit Perlen aus Ostmeer-Perlmutt und Xihe-Kristall vom Zhurong-Gipfel funkelte. Dass es sich um einen Luxusgegenstand handelte, war auf den ersten Blick zu erkennen.
„In Eurem Brief habt Ihr mich
um den Mondkristall des Karpfendämons gebeten. Leider hat mein Cousin ihn
bereits zur Verfeinerung eines Schwertes verwendet. Ich habe keine anderen
Geschenke vorbereitet, aber ich habe sein Wasser-und-Feuer-Kristallarmband für Euch
gekauft ‒ es sollte dir perfekt passen."
„Das ... das ist viel zu
wertvoll; Qiutong kann es unmöglich annehmen ..."
„Es gibt doch sicher keinen Grund,
ein Glückwunschgeschenk abzulehnen?" Mo Ran gluckste. „Außerdem hat dieser
Armreif eine hemmende Wirkung auf die spirituelle Energie des Feuerelements,
aber er ist nur für Damen geeignet. Wenn Ihr es in Zukunft an der Seite von Nangong-Gongzi
tragt, sollte es auch seine spirituelle Kraft dämpfen. Es ist ein nützlicher
kleiner Gegenstand."
Song Qiutong drehte ihren Kopf
und sah Nangong Si an. Nachdem sie sein zustimmendes Nicken erhalten hatte,
nahm sie den Armreif in beide Hände und verbeugte sich ehrerbietig. „Vielen
Dank, Mo-Zongshi", sagte sie herzlich.
Die vier tranken ihren Tee und
unterhielten sich eine Weile. Chu Wanning, der sich inzwischen sehr für Nangong
Sis großen Tag interessierte, erinnerte ihn daran, die Hochzeitsvorbereitungen
sorgfältig zu treffen und dafür zu sorgen, dass jedes Detail stimmte ‒ er
wollte nicht, dass im letzten Moment noch etwas schiefging.
Nangong Si verschluckte sich an
seinem Tee und warf die leere Tasse müßig in der Hand hin und her. „Zongshi,
mach dir keine Sorgen. Ich schaue jede Nacht nach dem Rechten." Er
grinste. „Ich bin jetzt erwachsen ‒ ich weiß, wo meine Verantwortung liegt.
Erst gestern Abend habe ich festgestellt, dass in Qiutongs Robe eine Perle
fehlte, und habe sofort jemanden beauftragt, das zu reparieren."
Als er von der Hochzeit sprach,
schlich sich ein Hauch von Schüchternheit auf sein sorgloses Gesicht. Er
blickte zu Song Qiutong hinüber und lächelte. „Qiutong wird wunderschön
aussehen, wenn die Zeit gekommen ist.“
Diese Worte klangen in den
Ohren von Song Qiutongs Ehemann aus einem früheren Leben. Mo Ran schenkte sich
geistesabwesend eine neue Tasse Tee ein. Natürlich wusste er, dass Song Qiutong
außergewöhnlich schön war, eine unvergleichliche Schönheit ‒ aber was solls?
Damals hatte Taxian-Jun in
einer Zeremonie auf dem Xuying-Gipfel die erste Kaiserin der Kultivierungswelt
geheiratet. Die Kerzen mit dem Phönixmuster brannten hell in der Nacht der
großen Hochzeit, aber Mo Ran verbrachte sie nicht im Brautgemach. Er hatte an
diesem Abend zu viel getrunken. Inmitten des dunstigen Scheins der roten Kerzen
und der verschwommenen Hochzeitsschleier neigte er das errötete, schüchterne
Gesicht seiner neuen Braut und starrte darauf hinab.
Es war üblich, dass die
Menschen an wichtigen Meilensteinen Reue empfanden. Der Lauf der Zeit
überspülte sie, und sie erkannten, dass sich die Welt vor ihren Augen verändert
hatte. Auch dieser Mann, der sich selbst als Taxian-Jun bezeichnete, war keine
Ausnahme. Er hatte plötzlich das Gefühl, dass nichts wirklich war. Sein Blick
schien den bezaubernden scharlachroten Nebel um ihn herum zu durchdringen und
auf einen windgepeitschten Schneehimmel von vor vielen Jahren zu fixieren. Als
er nur Lumpen hatte, die ihn vor den eisigen Winden schützten ... Als er am
Rande des Todes stand, weil er am Verhungern und Verdursten war, und sich
jemand seiner erbarmte und ihm eine Schüssel Reisbrei hinhielt, damit er ihn
verschlingen konnte ...
Als er zum ersten Mal auf dem
Sisheng-Gipfel ankam, besorgt und verängstigt ... Als er sich auf die
Zehenspitzen stellte, um die Hai-Tang-Blüte unter dem rundbäuchigen Mond zu pflücken
... Als er vor Chu Wanning kniete und die Weidenranke auf seinen Körper niederschlug
...
Hatte er sich jemals
vorgestellt, dass er eines Tages die Kultivierungswelt niedertrampeln und über
alles unter der Sonne herrschen würde?
„Ehemann, worüber denkst du
nach?" Die zinnoberroten Lippen seiner Braut spitzten sich, und ihr Blick
verweilte auf ihm. Sogar ihr Ausatmen war süßlich, so süß wie die Position, in
die er heute aufgestiegen war. Er schien alles zu haben. Eine Schönheit,
Status, Macht ... Was blieb ihm noch, um unzufrieden zu sein?
Er konnte nicht eine einzige
Sache nennen. Und doch fühlte er sich hohl, als stünde er auf dem kühlen Gipfel
vor einem Meer von niedergeschlagenen Gesichtern, die alle trüb und undeutlich
waren. Er drängte sich durch diese albernen Gestalten, die ihn mit Lob und
Bewunderung überschütteten, die sich vor ihm niederwarfen und ihm zu Füßen
lagen und deren Gesichter nicht voneinander zu unterscheiden waren. Eine Stimme
rief ihm zauberhaft zu, zart wie die Blütenblätter einer Pfingstrose. „Ehemann
... Mein Ehemann ..."
Er fühlte sich angewidert. Er
wollte vor diesen wogenden Wellen von Kriechern fliehen, aber der zuckersüße
Klang dieser Stimme umgab ihn wie Sirup.
Ohne Vorwarnung schubste er
Song Qiutong weg. Seine schöne neue Braut war dieser groben Behandlung nicht
gewachsen; sie sackte auf das mit Drachen und Phönixen geschmückte Bett im
scharlachroten Brautgemach, Gold- und Silberschmuck klirrte in ihrem Haar.
Gefangen in dieser Fata Morgana
aus glitzernden Juwelen erschien Mo Ran alles verzerrt, unwirklich. Der
schimmernde goldene Schein war wie das Höllenfeuer, die leuchtend rote Kerze
wie Tränen aus Blut. Er fühlte sich abgestoßen, aber er wusste nicht, wer ihn
abstieß ‒ war es Song Qiutong? Oder war es diese Version seiner selbst, die
sich bis zur Unkenntlichkeit verändert hatte?
Er stürzte aus der Tür.
Am Tag von Taxian-Juns großer Hochzeit
wurde die Kaiserin Song Qiutong im Brautgemach zurückgelassen, als Mo Ran, von
Kopf bis Fuß in Gold und Rot gekleidet, die Tür zum Roten-Lotus-Pavillon
aufstieß. Der Bräutigam von Song Qiutong trat ein, und nach einiger Zeit
erloschen die Kerzen im Pavillon; er blieb die ganze Nacht über.
Erst in der Abenddämmerung des
zweiten Tages, als Xue Meng auf den Sisheng-Gipfel stürmte, um Unruhe zu
stiften, öffnete Mo Ran träge die Tür, richtete seine unordentlichen Kleider
und schlenderte in die Haupthalle hinüber, wobei sein Gesicht von einer sündigen
Zufriedenheit erfüllt war.
Niemand außerhalb der Mauern
des Roten-Lotus-Pavillons würde je erfahren, was in dieser Nacht geschehen war.
Nachdem sie sich von Nangong Si
und Song Qiutong verabschiedet hatten, kehrten Chu Wanning und Mo Ran Seite an
Seite in den Gäste-Innenhof zurück.
Mit vorsichtig neutraler Stimme
ergriff Chu Wanning das Wort. „Als Nangong vorhin sagte, Song Qiutong sei
schön, warum hast du sie da so angestarrt?"
„Ich habe daran gedacht, wie
sie in einer Hochzeitsrobe aussehen würde", sagte Mo Ran.
Chu Wanning wurde plötzlich von
einer Welle der Eifersucht überrollt. Er schüttelte seine Ärmel aus und sagte
eisig: „Lächerlich. Wer hat dir gesagt, dass du dich mit der Braut eines
anderen beschäftigen sollst?"
Mo Ran lachte. „Wer sagt denn,
dass ich mich mit ihr beschäftige? Ich dachte nur, egal wie sie in der Hochzeitsrobe
aussieht, sie würde nicht halb so schön aussehen wie Shizun."
Chu Wanning brachte keine
Antwort zustande. Er war darauf vorbereitet, seinem Ärger Luft zu machen, aber
stattdessen hatte ihm ein kleiner Wolfswelpe die Handfläche abgeleckt und ihn
damit überrumpelt. Sein Gesicht wurde erst weiß, dann rot, und er konnte
mehrere Sekunden lang kein Wort herausbringen. Schließlich fuchtelte er mit den
Ärmeln und schnauzte: „Erwähne nie wieder diese lächerliche Geisterzeremonie."
Mo Ran seufzte vor sich hin. Es
ist ja nicht so, dass ich es erwähnt hätte ‒ du bist derjenige, der gefragt
hat. Ich will dich nicht anlügen. Wenn ich dir sage, wie gut du
aussiehst, wendest du deine ganze Wut gegen mich. Aber selbst wenn du
wütend bist, fühlt es sich süß an. Wenn ich daran denke, wie ich dich
verloren habe ... Chu Wanning, du könntest mich ein Leben lang mit aller Macht
zurechtweisen, und es wäre immer noch so, als würde ich in einem Glas Zucker baden
...
Was soll ich tun? Ich kann nicht
anders, als mich nach dir zu sehnen.
____________________________
Die Zeit verging wie im Fluge,
und schon bald kam der Vorabend von Nangong Sis Hochzeit. In der Rufeng-Sekte
wimmelte es von Gästen, die von überall her angereist waren: Anführer und junge
Meister der großen Sekten, wandernde Kultivierer der Jianghu und sogar einige reiche
Kaufleute ohne jegliche spirituelle Fähigkeiten. Alle, die bis jetzt gewartet
hatten, drängten sich vor den Toren der Gastgeberstadt. Kutschen und Pferde
wogten durch das Gedränge hindurch, ihre Hauben wogten wie Wolken. Ein endloser
Strom von Männern und Frauen, die von Kopf bis Fuß in Schmuck gekleidet waren,
strömte in die Stadt, bis die Hauptallee der Rufeng-Sekte dem fließenden
silbernen Fluss der Milchstraße glich, in dem das Licht auf ihrer Seide und
ihren Juwelen glitzerte.
Xue Mengs Vater hatte ihn in
die Stadt geschleppt, um eine gleichaltrige Kultivierern zu treffen.
„Wang-Xianjun, lange nicht
gesehen! Es ist mir eine Freude. Aiya, ist das die kleine Mantuo? Sie ist jetzt
ganz erwachsen, wie hübsch. Komm, Xue Meng, komm her und grüße Wang-Bobo."
Xue Meng schlich sich
widerwillig heran. „Hallo, Wang-Dabo", platzte er heraus.
Xue Zhengyong verpasste ihm
einen Schlag auf dem Kopf. Er lächelte weiter und murmelte mit
zusammengebissenen Zähnen: „Es heißt Wang-Bobo,
nicht Wang-Dabo. "
„Ha ha ha, ist schon gut, ist
doch alles dasselbe. Der Liebling des Himmels ist hübsch wie erwartet, das
Ebenbild von dir, alter Xue. Ein Glückspilz!"
Nach weiteren Worten wurde Xue
Meng gezwungen, mit der "kleinen Mantuo" einen Spaziergang durch den
Garten zu machen. Die kleine Mantuo war in diesem Jahr sechzehn Jahre alt, aber
so viel zu "Sweet sixteen“; ihr Verhalten war ausgesprochen eisig. Nachdem
sie einige Zeit Seite an Seite mit Xue Meng gegangen war, erklärte sie: „Sicherlich
versteht Xue-Gongzi, was unsere Ältesten beabsichtigen, wenn sie uns so
zusammenschieben."
„Mn."
„Erlaube mir, offen zu sein:
Ich gehe mit dir spazieren, aber ich mag deine Persönlichkeit nicht, Xue-Gongzi.
Also komme nicht auf dumme Gedanken."
„Oh ... Moment mal, was?"
Verblüfft blieb Xue Meng mit aschfahlem Gesicht stehen und starrte die kleine Mantuo
an.
Die kleine kokette Frau hob ihr
Kinn und schielte Xue Meng hochmütig und abweisend an. „Mein Herz gehört mir",
sagte sie kalt. „Selbst wenn du dich in mich verliebt hast ..."
„Bist du verrückt?"
Xue Meng explodierte. „Ich?" Er tippte sich ungläubig mit dem Finger auf
die Brust. „Verliebt in dich?"
„Warum sonst würdest du mich in
diese kleine Gasse führen? Liegt es nicht an deinen widerwärtigen Absichten?"
Xue Mengs Jähzorn entbrannte. „Du
hättest mir sagen sollen, dass dein Gehirn voller Löcher ist!"
Wutentbrannt und mit blitzenden Augen stammelte er: „Ich mag dich? Ich mag
dich? Ich‒"
„Warum musst du so oft sagen,
dass du mich magst? Perversling!" Die kleine Mantuo war eine
prinzipientreue junge Dame. Sie stampfte mit dem Fuß auf, hob den Kopf und
verpasste Xue Meng eine schallende Ohrfeige.
Xue Meng war so wütend, dass
die Welt aus den Fugen geriet; nachdem er von dieser zarten Hand grundlos
geohrfeigt wurde, war er bereit, Blut zu spucken. Wären da nicht die
wiederholten Ermahnungen von Frau Wang gewesen, den Frauen ihren Willen zu
lassen, hätte er die junge Frau wahrscheinlich zu Boden gestoßen und sie grün
und blau geschlagen.
Genau in diesem Moment erschien
in einiger Entfernung ein Mann mit blassen Augen und einem majestätischen
Profil. Als die kleine Mantuo ihn erblickte, blieb ihr der Mund vor Unglauben
offen stehen und ihre Augen quollen über vor Tränen. „Mei-Gongzi!", rief
sie schüchtern, bevor sie sich auf den Mann stürzte.
Bei dem Neuankömmling handelte
es sich um Mei Hanxue, der offensichtlich nicht damit gerechnet hatte, in einer
so obskuren kleinen Gasse jemanden zu treffen. Er war verblüfft, und als er die
kleine Mantuo mit voller Wucht auf sich zukommen sah, hob er die Hand, um sich
zu verteidigen. Das überrumpelte Mädchen rannte kopfüber in eine eilig
herbeigezauberte, mit Blitzen gespickte Barriere. Mit einem Schreckensschrei
stürzte es zu Boden.
Mei Hanxue machte keine
Anstalten, ihr aufzuhelfen. Er sah zu Boden und runzelte die Stirn. „Fräulein,
ich fürchte, Sie verwechseln mich mit jemand anderen."
„Unmöglich! Wie kann das sein
... Du hast mir ein goldenes Gewürzsäckchen als Zeichen deiner Liebe
versprochen! Du hast gesagt, du würdest immer an mich denken, seit du mich zum
ersten Mal gesehen hast! Du hast gesagt, du würdest mich heiraten, sobald ich
achtzehn bin! Hast du ... Hast du das vergessen?"
Mei Hanxue starrte sie an,
wagte aber nicht zu antworten. „Mei-Gongzi ..."
„Du hast wirklich die falsche
Person." Ohne ein weiteres Wort schüttelte Mei Hanxue den Kopf und schritt
von dem weinenden Mädchen weg.
Als Xue Meng diese Szene
beobachtete, fühlte er sich gleichzeitig wütend und bestätigt ‒ wütend über
diesen dreckigen Schürzenjäger Mei Hanxue, der so tat, als würde er ein Mädchen
nicht erkennen, sobald er seine Hose hochzog. Kein Wunder, dass dieser herzlose
Schurke es nur bei solchen Gelegenheiten wagte, durch verlassene Hinterhöfe zu
gehen.
Gleichzeitig fühlte er sich
aber auch bestätigt. Es stellte sich also heraus, dass die kleine Mantuo ihr
Herz an diesen Schurken Mei Hanxue gehängt hatte, der genau so war, wie sein
Name besagte ‒ blümerant und eiskalt. Es heißt,
dieser Schurke hat zwei Gesichter: eines, das er trägt, bevor er sich mit einer
Frau einlässt, und eines danach. Die kleine Mantuo würde acht Leben lang
verdammt sein, wenn sie sich in ihn verliebt hätte.
Als Mei Hanxue auf Xue Meng
zuging, verengte er seine hellen Augen und warf Xue Meng einen Blick zu.
Was glaubst du, was du da siehst?, dachte
Xue Meng. Warum starrt mich ein Idiot wie du an? Du
bist berühmt dafür, ein schmutziger Spieler zu sein, während ich berühmt dafür
bin, ein großer Krieger zu sein ‒ ich habe viel mehr Einfluss als Solche wie du.
Xue Meng hob hochmütig sein
Kinn und starrte diesen Trottel Mei Hanxue von der Seite an. Er hatte vor, in
dem Moment, in dem Mei Hanxue vorbeikam, sehr würdevoll und verächtlich zu
schnaufen.
Womit er nicht gerechnet hatte,
war, dass Mei Hanxue vor ihm zum Stehen kommen und ihn kühl ansehen würde. „Warum
ist dein Gesicht so geschwollen?", fragte er. „Das ist ein ziemlich
eigenartiger Anblick, das kann man wohl sagen."
Xue Meng hatte keine Zeit, das
arrogante „Hmpf!" zu unterdrücken, das wie ein durchgebrannter
Wagen herauskam. Mei Hanxue beäugte ihn in der darauf folgenden peinlichen
Stille. Xue Mengs Wangen wurden sofort heiß. Er wandte sich ab und schnauzte: „Das
geht dich nichts an! Ich bin beim Gehen gestürzt!"
„Sei in Zukunft vorsichtiger wohin
du trittst", sagte Mei Hanxue ruhig. „Es ist keine Kleinigkeit, sich mit
so einem Gesicht von einem Sturz zu befreien."
Mit diesen Worten fegte Mei
Hanxue davon und ließ Xue Meng für einige Sekunden wie angewurzelt stehen,
bevor er wütend umherhüpfte. „Mei Hanxue! Du verdammter Mistkerl! Bleib sofort
stehen! Ich werde es dir heimzahlen oder bei dem Versuch sterben!"
Xue Meng platzte vor Wut, die
Ränder seiner Augen leuchtend rot, und stürzte so schnell hinaus, dass er
jemandem frontal in die Brust lief. „Was zum Teufel!", schrie Xue Meng
wütend. „Pass auf; bist du blind?"
Er sah auf und erblickte einen
großen, charismatisch aussehenden Mann in Grün. Die Robe des Fremden war mit
einem goldenen Pollia-Motiv bestickt, und sein Haar war mit der grünen
Jade-Schmuckkrone von der Guyueye-Sekte hochgebunden. Sein gesenkter Blick
wurde von langen, zarten Wimpern umrahmt. Als er aufblickte, schienen seine
Augen den nebligen Regen von Jiangnan in sich zu tragen, eingebettet in ein
Gesicht, das so fesselnd war, dass es einem die Seele rauben konnte.
Der Mann schob Xue Meng von
sich und richtete sein Haar und seine Robe. Die Irritation stand ihm ins
Gesicht geschrieben, während er mit schlanken Fingern die Falten in seinem
Kragen glättete. In diesem Moment bemerkte Xue Meng den silbernen Ring mit dem eingravierten
Xuanwupanzer an seinem Zeigefinger. Er starrte einen Moment lang ins Leere,
dann rief er: „Jiang Xi?"
Der Sektenanführer von der Guyueye-Sekte,
der reichste Mann unter der Sonne ‒ Jiang Xi!
Obwohl Jiang Xi etwa so alt war
wie Xue Zhengyong, sah er aufgrund seiner Kultivierungsmethode aus, als wäre er
noch in seinen Zwanzigern. Er war überaus wohlhabend und überaus schön ‒
zweifellos ein Liebling des Himmels, der von den Göttern bevorzugt wurde.
Beim spirituellen
Bergwettbewerb war Jiang Xi der einzige Schwänzer unter den Anführern der zehn
großen Sekten gewesen. Xue Meng hatte sich damals gefragt, wie dieser abwesende
Mann wohl aussehen mochte. Jetzt, wo er seine vornehme und opulente Erscheinung
sah, starrte Xue Meng ihn mit offenem Mund an.
Jiang Xis Miene war ruhig, doch
sein Temperament war alles andere als das. „Ihr wagst es, einen Sektenanführer
bei seinem Vornamen zu nennen?"
Xue Meng fühlte sich hundertmal
mehr gedemütigt als bei Mei Hanxue. „Was, dürfen die Leute Euch nicht bei Eurem
Namen nennen, wenn Ihr alt seid?", platzte er wütend heraus. „Müssen Euch
alle mit ‚Zhangmen‘ anreden? Selbst Nangong Liu ist nicht so eingebildet wie Ihr!"
„Unverschämter Bengel!",
donnerte Jiang Xi. „Wessen Schüler seid Ihr?"
„Warum sollte ich vor Euch
Rechenschaft ablegen? Was glaubt Ihr, wer Ihr seid? Die Guyueye-Sekte mag ein
Haufen Affen sein, die auf Eure Befehle hören, aber glaubt Ihr, dass sich alle
so leicht Eurem Willen beugen? Auf keinen Fall würde ich es Euch sagen! Wenn Ihr
mich fragt, seid Ihr nur ein ..."
„Meng-er!" Eine elegante
Stimme ertönte.
Xue Meng klappte der Mund zu,
während er sich von Jiang Xi löste und einen Blick hinter sich warf. Irgendwann
war Frau Wang gekommen; vielleicht hatte sie Xue Mengs Unverschämtheit
mitbekommen. Sie sah blass und nervös aus, als sie sich beeilte, ihren Sohn
abzufangen. „Meng-er, sei still und komm hierher."
Xue Meng warf Jiang Xi noch
einen wütenden Blick zu, bevor er seine Ärmel ausschüttelte und zu Frau Wang
hinüberging. Er senkte ehrerbietig den Kopf. „Mama."
Jiang Xi war einen Moment lang
still. Langsam drehte er sich um und verengte seine Augen, die trotz ihrer
Schönheit ein bösartiges Licht ausstrahlten. Er warf einen distanzierten Blick
auf die Mutter und den Sohn, die vor den weißen Wänden und schwarzen Fliesen
standen, und verzog den Mund zu einem spöttischen Grinsen. „Dann muss dies der
Liebling des Himmels, Xue Zhengyongs kostbarer Sohn Xue Meng sein?"
Frau Wang blieb stumm.
Jiang Xis Wimpern zuckten, und
er schloss die Augen. Als er sie wieder öffnete, strotzten sie nur so vor
Verachtung. „Wahrlich, er ist ganz der Sohn von Xue Zhengyong, mit diesem Maß
an Selbstdisziplin."
„Wer hat gesagt, dass du meinen
Vater beleidigen darfst?!"
„Meng-er!" Frau Wang
zerrte Xue Meng hinter sich her, bevor sie sich mit bleichem Gesicht förmlich
vor Jiang Xi verbeugte. „Mein Sohn Xue Meng ist zu eigensinnig. Ich bitte Jiang-Zhangmen
um Vergebung."
„Ha, Jiang-Zhangmen ..."
Wie eine Viper genoss Jiang Xi diese Worte in seinem Mund, bevor er sie langsam
herunterschluckte. „Das ist nicht schlimm. Er ist zur Hälfte von Shijies Blut,
also könnte ich ihn in Anbetracht deines Dienstalters als Adoptivneffe betrachten
..."
„Wer will schon dein
Adoptivneffe sein! Sieh dir dein eigenes hässliches Gesicht an und fahr zur
Hölle!"
„Meng-er ..."
Mit einem kühlen Lachen starrte
Jiang Xi Xue Meng an, dann wanderte sein Blick langsam zu Frau Wang. Frau Wang
senkte den Blick und sagte: „Zhangmen, bitte machen Sie keine Witze. Ich bin schon
lange keine Schülerin der Guyueye-Sekte mehr. Wie könnte man mich als Ihren
Vorgesetzten bezeichnen?"
Nach einem langen Moment nickte
Jiang Xi. „Nun gut." Er fuhr mit kalter Stimme fort: „Sehr gut, sehr gut
sogar. Ich habe heute eine alte Freundin und ihren Sohn gesehen, und es war
eine Erfahrung, die mir die Augen geöffnet hat. Was für ein schäbiger Ort der
Sisheng-Gipfel sein muss ‒ eine schöne weiße Magnolie wurde mit Schlamm
bespritzt."
Als er hörte, wie Jiang Xi
seine Mutter direkt ins Gesicht beleidigte, schoss Xue Meng das Blut in den
Kopf. Er stürzte rücksichtslos vorwärts. „Jiang Xi! Halt's Maul, verdammt! Ich
werde dir das Maul zerreißen!"
Frau Wang, die ihn nicht
zurückhalten konnte, konnte nur zusehen, wie die Situation immer mehr außer
Kontrolle geriet.
Ein brillanter Feuerwerkskörper
explodierte geräuschvoll in der Luft, und die Zeitmessungstrommeln dröhnten.
Die Stimme des Zeremonienmeisters der Rufeng-Sekte ertönte mithilfe einer
schallverstärkenden Technik über die zweiundsiebzig Städte hinweg: „An alle
unsere geschätzten Gäste, wir bitten um die Ehre eurer Teilnahme am
Willkommensfest, das heute Abend in der Poesiehalle beginnt ..."
Jiang Xi warf Xue Meng einen
letzten eisigen Blick zu. Dann zupfte er an den Ärmeln, machte auf dem Absatz
kehrt und verließ wutentbrannt die Halle.
Erklärungen:
Mit dem Ostmeer ist das
ostchinesische Meer gemeint. Ich habe hier den chinesischen Beinamen
weggelassen, da es sonst zu komisch klingt, wenn man in China vom ostchinesischen
Meer spricht.
Xihe, 羲和, war
eine Sonnen- und Kalendergöttin der chinesischen Mythologie. Sie war die Mutter
von zehn Sonnen, die die Form von dreibeinigen Krähen hatten und auf einem
Maulbeerbaum namens Fusang im ostchinesischen Meer lebten. An jedem Tag der
traditionellen zehntägigen Periode (旬) musste eine der Sonnenkrähen den
Wagen von Xihe einmal um die Welt ziehen.
"Bobo"
und "Dabo" sind beides allgemeine
Ausdrücke für einen Mann, der älter ist als der eigene Vater, aber "Dabo"
ist auch ein spezifischer Ausdruck für den älteren Bruder (Schwager) des
Ehemanns, während "Bobo" sich speziell auf den älteren Bruder (Onkel)
des Vaters beziehen kann. Der Gebrauch hier ist allgemein.
… blümerant und eiskalt: Der Nachname von Mei Hanxue bedeutet
"Pflaumenblüte" und sein Vorname enthält das Wort "Schnee".
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Hier waren ja mal so einige Spannungen. Am besten war aber immer noch Chu Wanning, der eifersüchtig war und gleich Mo Ran zurechtweisen wollte, aber dieser nahm ihm sogleich den Wind aus den Segeln. XDD
AntwortenLöschenAber diese kleine Göre... WTF stimmt mit der nicht? o.O Ich hab die Abweisung die sie dann kassiert hat, sowas von gefeiert. Da hat sie sich in den falschen verguckt. Aber bei diesem Verhalten was sie an den Tag gelegt hat, war ihr das hoffentlich eine Lektion. Xue Meng hat an diesem Tag wohl absolut kein Glück. An seiner Stelle hätte ich aber auch nicht den Mund gehalten. Irgendwo hat es auch seine Grenzen, vor allem als Jiang Xi noch seine Mutter beleidigt hat. Was für ein arroganter Arsch O.o