Kapitel 28 ~ Der Geist dieses Ehrwürdigen ist ein bisschen chaotisch

Die Nachricht, dass der Yuheng Ältester für Regelverstöße bestraft wurde, verbreitete sich, als wäre ihr Flügel gewachsen. Es dauerte nicht einmal bis zum nächsten Morgen; praktisch jeder in der Sekte fand es noch in derselben Nacht heraus.

Zweihundert Schläge würden wahrscheinlich einen gewöhnlichen Menschen töten. Selbst für einen Kultivierer wäre es ziemlich unerträglich.

Xue Meng sprang auf, als er es hörte. „Was?! Shizun ist zum Disziplinarhof gegangen?"

„Junger Meister, bitte beeile dich und sprich mit dem Sektenanführer. Shizun ist bereits verletzt, wie kann er da zweihundert Schläge aushalten?“

Xue Meng war so besorgt, dass er kurz davor war, die Fassung zu verlieren. „Mein Vater? Das geht nicht, er ist immer noch nicht vom Taxue-Palast zurück. Eine Nachricht per Vogel wird ihn frühestens morgen erreichen. Warum habt ihr Shizun nicht aufgehalten?“

Mo Ran und Shi Mei tauschten einen Blick. Chu Wanning stoppen? Wer in aller Welt wäre dazu fähig?

„Verdammt, ich werde jetzt zu ihm gehen." Xue Meng stürmte zum Disziplinarhof. Er hatte noch nicht einmal den Hof betreten, als er eine Gruppe von Schülern des Jielü Ältesten entdeckte, die sich um die Tür zum Hauptflur drängten und miteinander flüsterten. „Was macht ihr alle hier? Geht mir aus dem Weg! Bewegt euch!“

„Junger Meister!"

„Ah, der junge Meister ist da:"

„Macht Platz für den jungen Meister."

Die Schüler gingen schnell zur Seite, um Xue Meng durchzulassen. Die Türen der Klarer Himmel Halle standen offen. Chu Wanning kniete mit geradem Rücken und geschlossenen Augen drinnen und sprach kein Wort. Der Jielü Ältester, der einen Metallstab hielt, las laut die Regeln des Sisheng-Gipfels vor, jede Regel wurde von einem brutalen Schlag des Metallstabs auf Chu Wannings Rücken begleitet.

„Die einundneunzigste Regel dieser Sekte: Verletze nicht Unschuldige und wende keine Kultivierungstechniken gegen das einfache Volk an. Hast du irgendwelche Einwände unter dem Stab?“

„Keine Einwände."

„Die zweiundneunzigste Regel dieser Sekte: Handel nicht vorschnell aus eigenem Antrieb, gib dich nicht der Selbstbefriedigung hin ... Hast du irgendwelche Einwände unter dem Stab?“

„Keine Einwände."

Der Jielü Ältester traute sich bei der Bestrafung nicht zu locker werden. Nach ungefähr neunzig Schlägen waren Chu Wannings Roben mit Blut durchtränkt.

Xue Meng schätzte Chu Wanning sehr. Seine Augen waren bei diesem Anblick sofort blutunterlaufen, und er rief aus voller Kehle: „Shizun!“

Chu Wanning tat so, als würde er nichts hören. Seine Augen blieben geschlossen, eine leichte Furche erschien zwischen seinen Augenbrauen.

Der Jielü Ältester warf einen Blick zur Tür und sagte leise: „Yuheng Ältester, der junge Meister ist hier.“

„Ich bin nicht taub. Ich habe ihn gehört." Blut rann aus Chu Wannings Lippenwinkeln, aber er blickte immer noch nicht auf. „Er ist nur ein lautes Kind. Achte nicht auf ihn."

Der Jielü Älteste seufzte. "Yuheng, ist das wirklich nötig?"

„Es ist nicht zu ändern, dass meine Schüler immer ungehorsam sind." Sprach Chu Wanning. „Wenn ich heute meine fällige Strafe nicht erhalte, wie werde ich dann in Zukunft das Gesicht haben, jemand anderen zu disziplinieren?“

Der Jielü Ältester zögerte.

„Bitte fahre fort."

Der Jielü Ältester seufzte erneut. Er betrachtete Chu Wannings blassen, zarten Hals, der über seinem offenen Kragen lag und sich sanft wölbte wie dünner Nebel, und konnte nicht anders, als vorzuschlagen: „Soll ich dann wenigstens harmloser fortfahren?"

„Das wäre nichts anderes als Täuschung“, sagte Chu Wanning. „Keine Sorge. Es sind nur zweihundert Schläge.

„Yuheng Ältester ..."

„Jielü, es gibt keinen Grund, mehr zu sagen. Fahre fort.“

Die Metallstange schlug erneut herunter.

Sogar Xue Mengs Stimme wurde verzerrt. „Jielü Ältester! Du willst immer noch nicht aufhören, verdammt? Nimmst du keine Rücksicht auf deinen jungen Meister? Das ist mein Shizun, du schlägst meinen Shizun!"

Der Jielü Ältester konnte sich nur dazu zwingen, so zu tun, als würde er nichts hören.

Xue Mengs Lungen drohten vor Wut zu explodieren. „Bist du taub geworden, du ‒beschissener alter Mann? Dein junger Meister befiehlt dir, damit aufzuhören! Wenn ‒ wenn du es wagst, ihn wieder zu schlagen, ich, ich, ich‒“

Er blieb bei jedem ‘Ich‘ hängen und wusste nicht, was er sagen sollte. Immerhin war er erst ein fünfzehnjähriger Schüler. ‘Der Liebling des Himmels’ hin oder her, seine Stärke und sein Status lagen weit unter denen der Ältesten. Letztlich brachte er mit hochrotem Gesicht nur noch ein störrisches hervor: „Das sag ich meinem Papa!“

Der Jielü Ältester würdigte das nicht mit einer Antwort.

Chu Wanning stieß einen fast unmerklichen Seufzer aus.

Siebenundneunzig Schläge. Achtundneunzig Schläge. Neunundneunzig Schläge. Hundert Schläge ...

Sogar der Stoff seiner Kleidung wurde durch die Schläge zerrissen. Das Blut war entsetzlich rot.

Xue Meng konnte nicht mehr damit umgehen. Mit vor Panik geröteten Augen wollte er rücksichtslos in die Halle stürmen, aber Chu Wanning öffnete plötzlich seine Augen und schwang eine Hand. Eine Barriere teilte den Raum sofort in zwei Teile, blockierte die Tür und zwang Xue Meng, mehrere Schritte zurückzuweichen, wobei er fast zu Boden fiel.

Chu Wanning hustete Blut, während er sich umschaute, waren seine zusammengekniffenen Phönixaugen scharf wie Blitze. „Beschämend. Geh dorthin zurück, wo du hergekommen bist!"

„Shizun!"

„Seit wann ist der junge Meister des Sisheng-Gipfels berechtigt, den Jielü Ältesten zu befehlen, die Regeln zu brechen?“, sagte Chu Wanning schroff. „Beeil dich und verschwinde!"

Xue Meng starrte ihn mit offenen Augen an, ein nasser Schimmer lag in seinem Blick.

Mo Ran stand an der Seite und streichelte sein Kinn, die Mundwinkel immer noch gekräuselt. „Aiya, oh nein, der kleine Phönix wird weinen."

Bei diesen Worten drehte Xue Meng seinen Kopf herum und funkelte Mo Ran an. Seine Augen waren rot umrandet, aber er weigerte sich hartnäckig, die Tränen fallen zu lassen.

Er beschwerte sich nicht und sprach nicht. Er kroch nur vom Boden hoch und klopfte sich mit gesenktem Kopf und zusammengebissenen Zähnen den Staub ab, dann kniete er vor Klarer Himmel Halle nieder. „Shizun, dieser Schüler hat sich geirrt."

Chu Wanning ertrug immer noch die Hiebe, hielt den Rücken gerade und beugte sich kein einziges Mal. Aber sein Gesicht war blass und ein kalter Schweißfilm bedeckte seine Stirn.

„Aber ich werde nicht gehen“, fuhr Xue Meng stur fort. „Ich werde Shizun Gesellschaft leisten."

Nachdem er dies gesagt hatte, kniete er nieder und weigerte sich, aufzustehen.

Mo Rans Augen drohten aus den Höhlen zu rollen. Xue Meng, Xue Ziming, der Liebling des Himmels, würde sich nur vor Chu Wanning in diesem Ausmaß erniedrigen. Gegenüber alle anderen verhielt er sich wie ein Phönix, aber gegenüber seinem Shizun war er wie eine Wachtel. Wenn Mo Ran nicht so sicher gewesen wäre, dass Xue Meng kein Interesse an Männern hat, würde er sich wahrscheinlich fragen, ob er in Chu Wanning verknallt wäre, so wild entschlossen wie er dabei zu war, ohne es zu bedauern. Wenn sein Shizun ihn schlagen würde, würde die kleine Wachtel demütig die andere Wange hinhalten.

Schon gut, alles klar. Ein außergewöhnlicher Speichellecker.

Sein Herz empfand Verachtung, aber aus irgendeinem Grund war sein Mund mit einem sauren Geschmack erfüllt. Mo Ran funkelte Xue Meng eine Weile an und wurde immer aufgeregter, je länger er hinsah. Er konnte nicht zulassen, dass er der Einzige war, der Hingabe zeigte.

Chu Wanning mochte Mo Ran jetzt schon nicht. Würde er nach diesem Trick von Xue Meng in Zukunft nicht noch voreingenommener sein?

Und so kniete auch Mo Ran neben Xue Meng. „Ich werde Shizun auch Gesellschaft leisten."

Natürlich folgte Shi Mei diesem Beispiel und alle drei Schüler knieten vor der Barriere und warteten.

Als die Schüler von den anderen Ältesten die Neuigkeiten hörten, fanden sie alle irgendeinen Vorwand, um in den Disziplinarhof zu kommen, um sich die Show anzusehen.

„Himmel, wie konnte das der Yuheng Ältester sein...?"

„Ich habe gehört, er hat einen gewöhnlichen Menschen in einem Wutanfall geschlagen."

„Ah! So beängstigend."

„Shh, leise. Wenn der Yuheng Ältester dich hört, wirst du der nächste Prügelknabe sein!"

„Aber warum kniet der junge Meister?", fragte jemand anderes.

„Mo-Gongzi auch..."

Mo Ran war gut aussehend und charmant und er hatte sich die Gunst unzähliger Schülerinnen verdient, die seinem täglichen Leben nachgingen. Nicht wenige der Zuschauer taten ihm leid und flüsterten miteinander.

„Armer Mo-Gongzi... Was tun? Sollen wir für ihn ein Plädoyer halten?"

„Wir sollten uns wahrscheinlich nicht in ihre Meister-Schüler-Angelegenheiten einmischen. Du kannst gehen, wenn du den Mut hast, aber ich will noch nicht sterben. Hast du schon diese eine Shjie vergessen, die ungefähr ein paar Hundert Mal vom Yuheng Ältesten ausgepeitscht wurde?"

Es herrschte Schweigen.

Die zweihundert Schläge waren vorbei. Die Barriere wurde schließlich zurückgezogen.

Xue Meng huschte vom Boden hoch und stolperte hektisch in die Klarer-Himmel- Halle. Als er nahe genug kam, um Chu Wannings Zustand zu sehen, stieß er ein wütendes „Ah!“, aus und wirbelte herum, packte den Jielü Ältester am Kragen. „Du beschissener alter Mann!", knurrte er. „Weißt du verdammt noch mal nicht, wie man sich wenigstens zurückhält?"

„Xue Ziming." Chu Wannings Augen waren geschlossen, seine blutbefleckten Lippen öffneten und schlossen sich, aber seine heisere Stimme war gebieterisch.

Xue Mengs Gelenke knackten hörbar, als er den Jielü Ältesten losließ und ihn beiseiteschob.

Mo Ran kam in diesem Moment an, immer noch lächelnd, und dachte, dass sich der Jielü Ältester in Anbetracht von Chu Wannings Status definitiv zurückgehalten haben musste. Aber als er auf Chu Wannings Zustand hinabblickte, erstarrte das Lächeln auf seinem Gesicht.

Hatte Chu Wanning dem Jielü Ältesten wirklich nicht von der Verletzung an seiner Schulter erzählt?! Der Großteil dieser zweihundert Schläge war schonungslos auf dieser Verletzung gelandet. Neue Wunden lagen über den Alten.

Chu Wanning du... Hast du den Verstand verloren?!

Mo Rans Pupillen zogen sich zusammen, eine Flutwelle intensiven Abscheus überspülte ihn.

Er wusste nicht, was genau er verabscheute oder warum er so wütend war. Nur dass ein rasendes Inferno durch seinen Magen schoss und all seine Organe verbrannte. Er war daran gewöhnt, dass Chu Wanning von seinen eigenen Händen bis zum Zerreißen gequält wurde, während Mo Ran seine Würde zerstörte und seine Reinheit beschmutzte. Aber Mo Ran konnte es nicht ertragen, dass Chu Wanning von jemand anderem verletzt und vernarbt wurde.

Vielleicht lag es daran, dass er nicht vergessen konnte, was in seinem vorherigen Leben passiert war, aber Mo Ran hatte das unbewusste Gefühl, dass diese Person ihm gehörte. Es lag an ihm, Chu Wanning leben oder sterben zu lassen, ihn zu verabscheuen oder zu hassen ‒ all das gehörte ihm.

Dass Chu Wanning bestraft werden sollte, hatte ihm ursprünglich nichts ausgemacht. Da er ein Ältester war, hatte er gedacht, dass die zweihundert Schläge definitiv nicht mit wirklicher Kraft ausgeführt werden würden — oder zumindest, dass die Schläge die noch unverheilten Wunden an seiner Schulter vermeiden würden.

Aber Chu Wanning hatte nichts davon gesagt! Er hatte gar nichts gesagt! Warum war diese verrückte Person so stur? Warum zwang er sich durch das alles durch? Was zum Teufel wollte dieser dumme Idiot beweisen?!

Sein Kopf war eines kompletten Durcheinanders, Mo Ran hob eine Hand, um Chu Wanning zu stützen, aber Xue Meng war ihm zuvorgekommen und half Chu Wanning bereits auf die Beine.

Mo Rans Hand blieb in der Luft stehen und senkte sich nach einer Weile wieder. Er sah ihnen nach, wie sie davongingen, Xue Meng, der Chu Wanning stützte, ein unbekanntes Gefühl machte sich in seiner Brust breit.

Er wollte ihm folgen, aber er konnte seine Füße nicht bewegen. Alles, was in seinem früheren Leben passiert war, war Vergangenheit. Jetzt war Chu Wanning nur noch sein Shizun. Keine ihrer verworrenen, hasserfüllten, zärtlichen Verstrickungen hatte stattgefunden.

Er sollte diese Gedanken nicht hegen. Es war ihm egal, wer Chu Wanning schlug, wer ihn unterstützte, mit wem er Zeit verbrachte oder ob ihn jemand tötete. Nichts davon hatte etwas mit Mo Ran zu tun.

Shi Mei ging neben ihm her. „Komm, lass uns mit ihnen gehen und nachsehen."

„Ich werde passen. Xue Meng hat das im Griff. Ich kann sowieso nicht helfen, und zu viele Leute werden nur das Chaos vergrößern." Mo Rans Gesichtsausdruck änderte sich nicht, aber sein Verstand war verwirrt. Er konnte wirklich, wirklich nicht verstehen, was er in diesem Moment fühlte.

War es Hass?




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2 Kommentare:

  1. kap27 ooooh der hat in sich einfach gepackt uns bei den händen genommen und bestimmt das er es wird sein meister. aber die ältesten sind auch eine nummer für sich. der eine lucun-ältester schlägt den fass den boden weg. den mag ich xd. mo hat im was zu essen gebracht aber er hat es dann stehen lassen bis es kalt war. ist er es so gewohnt das zu essen oder hatte das einen anderen grund. chu holt sich seine strafe ab doch es scheint das die anderen es nicht so wollen . kap28 oh mein gott chu ist sowieso schon halb fertig und dann sagt er nichts und lässt sich auch noch mit der ganzen wucht bestrafen. und so wie sich mo sich verhält ist auch komisch es scheint so das er in mag auf seine art sowas er gehört mir und nur ich darf in das antun oder sowas. was da nur mit im los sein könnte. aber das was xue meng sagte brachte mich zum lachen " das sag ich meinen papa" wie ein kleines kind. auch wenn es einen hintergrund hatte. waren woeder tolle kaps und freu mich schon wenn es weiter geht.

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  2. Ich fand es süß, dass sich Mo Ran Chu Wanning sofort rausgepickt hat und in ihm etwas sieht, dass die meisten nicht sehen können.
    Ich glaube der Grund, warum Chu Wanning das Essen von Mo Ran kalt werde ließ, liegt daran, das er dass Gefühl hat, dass er eine warme Mahlzeit von ihm nicht verdient.
    Oh man da überfliegt man das Kapitel kurz und schon fallen da einem, ein schrecklicher Satzbau auf. Ich hasse sowas, weil ich mir dann denke, wie konnte ich nur das übersehen.

    Das Chu Wanning, wenn we bestraft wird genauso hart und gnadenlos ist, wie wenn er jemanden bestraft zeigt, dass er das Motto Gerechtigkeit vollkommen auslebt.
    In gewisserweise ist Xue Meng noch eher wie ein verzogener Teenager oder ein etwas älteres Kleinkind, Xue Meng fehlt hier und da eine gewisse Reife, die Mo Ran schon hat. Auch wen der Grund in ihrer unterschiedlichen Kindheit liegt.

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