Kapitel 78 ~ Der Shizun dieses Ehrwürdigen hat einen Albtraum

Chu Wanning und Mo Ran verbrachten die Nacht im selben Raum. Mo Ran schlief im Handumdrehen auf dem Boden ein. Im Verborgenen waren Chu Wannings Gedanken unruhig und sprunghaft, und er wälzte sich lange hin und her, bevor er schließlich in einen unruhigen Schlummer eindöste.

Seine Augen waren geschlossen und er konnte das Heulen des Windes an seinen Ohren hören.

Chu Wanning öffnete die Augen und stellte fest, dass er im Schnee kniete. Ein Traum? Warum fühlte sich dieser Moment dann so real an, als hätte er ihn irgendwann tatsächlich erlebt?

Es war mitten im Winter. Der Himmel war dunkel und grau und voller Wolken, die das Land bedeckten und sich bis zum fernen Horizont erstreckten. Der Schnee hatte sich bis zu seinen Knöcheln aufgetürmt und den Boden selbst gefrieren lassen, und selbst der dicke Umhang, der über seine Schultern drapiert war, konnte den Biss des Winters nicht abwehren.

Als er nach unten blickte, sah er einen himmelblauen, mit Fell gefütterten Umhang, der mit komplizierten Mustern aus Silberfäden genäht war. Es kam ihm irgendwie bekannt vor, aber von einem Moment auf den anderen verschwand dieses Gefühl.

Chu Wanning versuchte aufzustehen, unsicher, warum er diese Art von grauenvollen Traum hatte. Aber es war, als wäre sein Körper nicht sein eigener. Er kniete weiterhin bewegungslos auf dem Boden.

Selbst als Schnee seine Schultern bedeckte und Eis an seinen Wimpern klebte, zeigte sein Körper immer noch nicht die Absicht, sich zu bewegen.

Hinter ihm erklang die zitternde Stimme einer älteren Person. „Chu-Zongshi, es wird wieder dunkel. Seine kaiserliche Majestät will Sie heute sicher nicht sehen ‒ lasst uns zurückgehen."

Der Chu Wanning im Traum drehte sich nicht um, und selbst als sich Schritte näherten, knirschte der Schnee, und ein Regenschirm erschien über ihm.

Chu Wanning hörte sich sagen: „Danke, Liu-Gong. Ihr werdet älter, also geht bitte zurück zum Pavillon. Ich werde hier schon zurechtkommen."

„Zongshi ..."

Die ältere Stimme schien weitermachen zu wollen, aber Chu Wanning sagte: „Geht zurück.“

Die schwache Stimme seufzte, und schwere Schritte gingen ein paar Schritte entfernt. Dann drehten sie sich wieder um und der Regenschirm erschien über seinem Kopf. „Dieser Alte wird Zongshi Gesellschaft leisten."

Chu Wanning fühlte, wie sich seine Augen im Traum schlossen, und es wurde nichts weitergesagt.

Es kam ihm alles so seltsam vor, dieser lächerliche Traum von ihm. Die Worte, die sie sagten, waren absurd, unverständlich. Was war dieser ganze ‘Seine kaiserliche Majestät‘- und ‘Liu-Gong‘-Unsinn. Diese verborgenen Palastphrasen hatten keinen Platz in der Kultivierungswelt, die Chu Wanning kannte.

Er versuchte, seine Szenerie des Traums durch die gesenkten Wimpern dieses Körpers war zunehmen. Der Ort sah aus wie der Sisheng-Gipfel, aber einige Dinge waren anders.

Die Struktur war mehr oder weniger gleich, aber sie waren viel aufwendiger dekoriert. Die Korridore rund um den Hof waren mit blassvioletten Schleiern bedeckt, auf die gestickte Sterne gesprenkelt waren, und von den Dächern baumelten Glocken in Form von Drachen mit Perlen in der Hand. Achteckige Weihrauchglöckchen tanzten leise durch die Luft, wann immer ein Windstoß vorbeiwehte.

Er kniete vor der Haupthalle, vor der eine Reihe Wachen postiert waren, die Uniformen trugen, die er noch nie zuvor gesehen hatte. Er fragte sich, welcher Sekte sie angehörten.

Der Himmel verdunkelte sich allmählich, und eine Reihe von Palastmädchen mit traditionell hochgestecktem Haar traten aus einer Seitentür hervor, um mit ihren schönen, schlanken Händen die Stehlampen auf beiden Seiten des Palasttors anzuzünden. Jede Lampe war so groß wie ein Mensch und bestand aus neun Reihen, jeder Reihe hatte neunundvierzig haitangförmige Lampen, die an schlanken Kupferzweigen hingen. Die Kerzen in der Mitte der Hai-Tangs leuchteten hell, ihr Licht streute auf dem Boden wie der Sternenhimmel von oben und erleuchtete die Vorderseite des Palastes mit einem strahlenden Glanz.

Als sie mit ihrer Aufgabe fertig war, warf die oberste Zofe Chu Wanning einen bösen Blick zu. „Es ist heute Abend eiskalt hier draußen“, sagte sie mit boshafter Stimme und einem kalten Grinsen. „Für wen führst du diese ehrwürdige Nummer auf? Seine kaiserliche Majestät und die Kaiserin erfreuen sich derzeit an ihren Festlichkeiten. Du kannst dort so lange knien, wie du möchtest. Niemand wird sich darum kümmern."

Wie unverschämt!

In Chu Wannings Leben hatte sich nie jemand getraut, so mit ihm zu sprechen. Er öffnete wütend den Mund, aber obwohl die Stimme, die herauskam, seine eigene war, waren es die nicht die gesprochenen Worte. „Ich möchte ihn in seiner Freizeit nicht stören, aber ich habe wirklich wichtige Angelegenheiten zu besprechen. Bitte informieren Sie ihn.“

„Was denkst du, wer du bist? Warum sollte ich die Botin für dich spielen?“ Die oberste Zofe lächelte höhnisch. „Seine Majestät und die Kaiserin amüsieren sich sehr. Wer würde es wagen, sie zu stören? Wenn du Seine Majestät wirklich sehen willst, kannst du gleich dortbleiben. Vielleicht wirft er dir morgen früh einen Blick zu, hmpf."

Der alte Diener hinter Chu Wanning konnte es nicht mehr ertragen, und er sprach mit seiner schwankenden Stimme: „Ja, Seine Majestät bevorzugt Eure Herrin, aber sollten Sie nicht trotzdem überlegen, mit wem Sie sprechen? Seien Sie zumindest vorsichtig mit ihren Worten."

„Zu wem ich spreche? Wer hier auf dem Sisheng-Gipfel weiß, nicht, dass Seine Majestät ihn mehr hasst als irgendjemand anderen? Wozu sollte man ihm gegenüber respektvoll sein?! Mutig von dem senilen alten Narren, mich zu belehren!“ Die Augen der obersten Zofe waren vor Wut geweitet, als sie: „Wachen!“, rief.

„Was wollt Ihr tun?!" Der schwache alte Mann, dessen Rücken vom Alter gebeugt war, trat vor, um Chu Wanning hinter sich abzuschirmen.

„Löscht die Feuerbecken“, sagte die Palastzofe schüchtern, während sie ihn anblaffte.

„Sofort!"

Die Wachen gingen sofort zu den Becken im Hof und löschten die darin brennenden Feuer.

Chu Wanning dachte bei sich, dass die Zofe zwar eine scharfe Zunge hatte, aber nicht dumm war. Bei dieser schmerzhaft kalten Temperatur hatte sie keinen Grund, mit ihnen zu streiten oder irgendetwas direkt anzusprechen. Sie musste nur das Feuer löschen, und der Hof wäre wie eine eisige Höhle, zu kalt, selbst für den härtesten Menschen, um es zu ertragen.

Die Nacht wurde tiefer, und aus dem warm erleuchteten Palast drang Musik ohne Unterlass.

Chu Wanning kniete immer noch. Seine Beine waren schon vor langer Zeit taub geworden, kurz vor dem Tod. „Bitte gehen Sie zurück ‒ Ihr Körper kann das nicht ertragen. Sie wissen, wie seiner Majestät ist. Wenn Sie krank werden, wird er wahrscheinlich nicht einmal einen Arzt schicken. Sie müssen auf sich aufpassen."

„Dieser zerstörte Körper ist kaum etwas wert“, sagte Chu Wanning leise. „Wenn ich ihn davon abhalten kann, den Kunlun-Taxue-Palast anzugreifen, bin ich bereit zu sterben.“

„Zongshi! W-warum geht Ihr so weit..."

Der Chu Wanning im Traum war bereits stark geschwächt. Er hustete ein paar Mal, aber seine Augen waren klar und strahlend. „Alles, was er heute ist, alles ist meine Schuld. Ich..."

Er konnte nicht zu Ende sprechen, bevor er von einem erschreckend heftigen Hustenanfall übermannt wurde. Chu Wanning bedeckte einen Mund mit seinem Ärmel und schmeckte Eisen in seiner Kehle. Als er seine Hand wegzog, war sie voller Blut, purpurrot gegen die schneeweiße Welt.

„Chu-Zongshi!"

„Ich..."

Chu Wanning schwieg, wollte etwas sagen, aber Schwarz überflutete seine Sicht und er brach im Schnee zusammen, unfähig, länger durchzuhalten.

An seinem Ohr ertönte ein verwirrter Lärm, ein plötzliches Chaos. Es schien auch sehr weit weg zu sein, als wäre er durch Nebelschichten, Ozeane davon getrennt, und er konnte die Aufregung um sich herum kaum hören.

Verwirrt hörte er den alten Diener panisch schreien, aber er konnte nur ein paar Wortfetzen verstehen.

„Eure kaiserliche Majestät! Eure kaiserliche Majestät, bitte… Chu-Zongshi, er kann nicht mehr lange durchhalten. Bitte gewähren Sie ihm eine Audienz! Dieser Alte wird gerne sterben‒“

Die Störung wuchs und breitete sich aus. Von überall her kamen Schritte, Lichter gingen an.

Die Melodie der Instrumente und die süßen Stimmen der Sängerinnen verstummten abrupt. Die Palasttore schienen aufgerissen worden zu sein, und von drinnen wehte ein Hauch warmer, duftender Luft. Chu Wanning fühlte, wie er hochgehoben und in die Wärme der Palasthalle gebracht wurde. Eine große Hand berührte seine Stirn und zuckte dann zurück, als hätte sie ihn gestochen.

Eine tiefe vertraute Stimme brüllte gefährlich: „Warum wurde dieser Ehrwürdige nicht informiert?“

Niemand antwortete.

Der Mann war wütend und es gab ein lautes, krachendes Geräusch, als etwas Schweres zerschmettert wurde. Er brüllte weiter, seine Stimme dröhnte wie Donner in der Halle. „Versucht ihr, euch mir zu widersetzen? Er ist der Meister des Roten-Lotus-Pavillons, der Shizun dieses Ehrwürdigen! Und keiner von euch kam, um diesen Ehrwürdigen zu benachrichtigen, dass er draußen kniete? Warum wurde dieser Ehrwürdige nicht informiert?!"

Jemand fiel mit einem dumpfen Schlag auf die Knie und zitterte am ganzen Körper. Es war die oberste Palastzofe, die vorhin herumgeschlendert war. „Diese Niedrige verdient den Tod. Diese Niedrige sah, dass Eure Majestät und die Kaiserin guter Laune waren, und wagte nicht, Euch zu stören…“

Der Mann ging ein paar Mal zügig auf und ab, aber anstatt nachzulassen, wurde seine Wut nur schlimmer. Seine schwarze, mit Gold besetzte Robe wogte wie eine dunkle Wolke über den Boden, bevor er sich schließlich beruhigte, und als er wieder sprach, war seine Stimme verzerrt. „Seine Konstitution ist schlecht. Er kann die Kälte nicht ertragen. Dass du ihn im Schnee warten ließest, ohne mich zu informieren, und sogar…sogar das Feuer im Hof löschtest…“

Seine Stimme zitterte vor Wut und er holte tief Luft, bevor er fortfuhr. Die Worte, die er als Nächstes sprach, waren nicht laut, aber sein Ton trug eine mörderische Aura, die die Anwesenden bis auf die Knochen erschauerte.

„Du wolltest ihn töten."

Die Zofe wurde blass vor Angst, ihr Kopf schlug wiederholt gegen den Boden, bis ihre ganze Stirn blau und lila war, und ihre Stimme wurde höher durch ihre zitternden Lippen. „Nein! Nein! Dieser Niedrige würde es nicht wagen! Eure Majestät! Bitte habt Erbarmen, Eure Majestät!“

„Bringt sie zur Hinrichtung zur Plattform der Jugend und der Sünde."

„Eure Majestät! Eure Majestät‒"

Die schrille Stimme kratzte wie blutrote Nägel an der Innenseite seiner Ohren, als die Traumlandschaft zu erzittern begann und unter ihrem entsetzten Kreischen auseinanderfiel. Die Szene zerstreute sich und löste sich auf wie ein Schneeflockentreiben.

„Hast du eine Ahnung, wie viel Mühe es diesem Ehrwürdigen gekostet hat, ihn von den Toren des Todes zurückzuholen? Außer diesem Ehrwürdigen darf niemand auch nur ein Haar auf seinem Kopf verletzen…“

Diese heisere Stimme war vollkommen ruhig, aber genau diese Ruhe umrahmte den beängstigenden Wahnsinn darunter.

Chu Wanning spürte, wie diese Person näherkam und vor ihm stehen blieb. Eine Hand umfasste sein Kinn.

Benommen öffnete er seine Augen und versuchte, ihn anzusehen. Unter dem grellen, blendenden Licht sah er ein verschwommenes Gesicht mit kräftigen, pechschwarzen Brauen, einer geraden Nase und Augen, dunkel wie der schwärzeste Satin, mit einem schwachen lilanen Schimmer im Licht der Kerze.

„Mo Ran...?"

 

„Shizun!"

Rief ihm plötzlich eine Stimme in harter Schärfe zu.

Chu Wannings Augen flogen auf. Er lag noch immer im Gasthauszimmer, draußen war es noch dunkel, und auf dem Tisch flackerte eine einzelne Kerze.

Mo Ran saß auf der Bettkante, eine Hand gegen Chu Wannings Stirn gedrückt, die andere auf das Bett gestützt, und sah ihn besorgt an.

„Was habe ich …“ Chu Wanning fühlte sich völlig verstimmt. Dieser Traum war viel zu real gewesen und für eine Weile konnte er sich nicht ganz aus seiner Benommenheit befreien.

„Du hattest einen Albtraum. Du hast so sehr gezittert“, sagte Mo Ran, als er seine Decke um ihn zog. „Du sahst aus, als würdest du frieren. Ich war besorgt, dass du Fieber bekommen könntest, aber das hast du zum Glück nicht.“

Chu Wanning stieß ein leises: „Oh“, aus und drehte sich um, um aus dem leicht geöffneten Fenster zu schauen. Draußen war der Himmel noch dunkel, die Nacht noch tief. „In meinem Traum hat es geschneit“, murmelte er und sagte dann nichts mehr. Er setzte sich auf, vergrub sein Gesicht in einer Hand und brauchte einen Moment, um sich zu beruhigen, bevor er langsam ausatmete. „Muss wohl übermüdet gewesen sein."

„Ich werde dir einen Ingwertee machen." Mo Ran betrachtete besorgt die Blässe seines Gesichts. „Shizun, du siehst schrecklich aus."

Chu Wanning antwortete nicht.

Angesichts dieser fehlenden Antwort seufzte Mo Ran und drückte, ohne wirklich nachzudenken, instinktiv seine eigene Stirn gegen Chu Wannings kalte, schweißnasse Stirn. „Wenn du nichts sagst, werte ich das als ‘Ja‘.“

Aufgeschreckt von der plötzlichen Nähe lehnte sich Chu Wanning reflexartig ein wenig zurück. „Mn."

Mo Ran, ebenfalls nicht ganz wach, streichelte Chu Wanning beiläufig übers Haar, wie er es in seinem früheren Leben getan hatte. Dann zog er seine äußere Robe an und ging in die Küche. Kurze Zeit später kam er mit einem Holztablett zurück.

Mo Ran war nicht herzlos. Chu Wanning war zu den Pfirsichblütenquellen geeilt, um ihn zu retten, und hatte auch große Anstrengungen unternommen, um ihn zu beschützen. Egal, wie viel Groll er dieser Person zuvor gegenüber hegte, für den Augenblick war er dankbar.

Auf dem Tablett stand eine Kanne mit dampfendem Ingwertee und ein kleiner Krug mit braunem Zucker. Mo Ran wusste, dass Chu Wanning zwar keine Dinge mit übermäßig starkem Geschmack mochte, aber er liebte Süßspeisen sehr.

Neben dem Ingwertee hatte er auch einen Mantou aus der Küche, den er in dünne Stücke geschnitten, in frischer Milch eingeweicht und dann knusprig angebraten, bevor er ihn mit einer Prise Zuckerpuder verfeinerte hatte, um einen Teller mit einfachen Snacks zu erhalten.

Die Farbe kehrte allmählich in Chu Wannings Gesicht zurück, als er eine Tasse Ingwertee in beiden Händen hielt und langsam daraus nippte. Er nahm ein Stück des süßen, knusprigen Mantou zwischen seine porzellanweißen Fingerspitzen und betrachtete es eine Weile. „Was ist das?"

„Ich habe gerade etwas zusammengewürfelt. Es hat noch keinen Namen." Mo Ran kratzte sich am Kopf. „Versuch es, Shizun. Es ist süß.“

Chu Wanning mochte keine frittierten Speisen, weil er sie für fettig hielt, aber als er die Worte ‘süß‘ hörte, hielt er eine an seine Lippen und nahm zögernd einen kleinen Bissen. „Mm ..."

„Ist es gut?", fragte Mo Ran versuchsweise.

Chu Wanning warf ihm einen Blick zu und sagte nichts, aber er nahm ein weiteres Stück, um es mit dem Ingwertee zu essen.

Die Kanne mit dem Tee und der Teller mit Snacks verschwanden schnell und in dieser Wärme lösten sich auch die Überreste des Albtraums wie Rauch auf. Chu Wanning gähnte und legte sich wieder hin. „Ich gehe wieder schlafen."

„Warte kurz." Mo Ran hob seine Hand, um Chu Wannings Mundwinkel abzuwischen. „Du hast da ein paar Krümel."

Chu Wanning antwortete nicht. Das offene Lächeln auf Mo Rans Gesicht ließ seine Ohren gegen seinen Willen ein wenig warm werden. Er wandte sein Gesicht mit einem leisen zustimmenden Laut ab und schenkte ihm keine Beachtung mehr.

Mo Ran sammelte das Geschirr ein und ging nach unten, um es zurückzugeben. Als er zurückkam, sah er Chu Wanning auf der Seite liegen, mit dem Gesicht zur Wand, vielleicht schon schlafend. Er ging hin und ließ leise den Vorhang herunter, woraufhin Chu Wanning sprach. „Nachts ist es kalt. Schlaf nicht mehr auf dem Boden."

„Sondern..."

Chu Wanning mit seinen gesenkten langen Wimpern wollte wirklich, dass Mo Ran blieb. Die Worte ‘schlafe hier oben‘ kamen jedoch nicht heraus, selbst als seine Ohrenspitzen immer wärmer und wärmer wurden.

Er kümmerte sich um Mo Ran und wollte daher nicht, dass er auf dem Boden schlief, aber er mochte ihn auch und wollte nicht, dass er ging.

Chu Wannings Gesicht war schrecklich dünn, und er wusste nur zu gut, dass er, wenn er es schaffte, die Worte herauszubringen, sicherlich zurückgewiesen würde. Dann würden sowohl seine Fassade als auch seine Würde verwirkt sein. Schon der Gedanke daran machte ihn erbärmlich. Als Xia Sini war alles so viel einfacher gewesen. Die Kleinen durften etwas eigensinnig sein.

Bis jetzt war Mo Ran heute gut zu ihm gewesen. Er hatte sich sogar daran erinnert, dass Chu Wanning viel braunen Zucker in seinem Ingwertee mochte. War es akzeptabel, dass er dachte, dass Mo Ran sich vielleicht tatsächlich ein bisschen um ihn sorgte?

Der Gedanke ließ Chu Wannings Brust warm werden, und in einem hitzköpfigen Moment platzte er heraus: „Komm, schlaf hier oben.“

„Ich werde nachsehen, ob sie schon fertig sind, und wenn ja, werde ich in mein eigenes Zimmer zurückkehren."

Chu Wanning und Mo Ran sprachen praktisch gleichzeitig. Mo Ran verarbeitete die Worte seines Shizun nicht vollständig, bis er selbst zu Ende gesprochen hatte. Dabei weiteten sich seine Augen leicht.

„Klingt gut“, stimmte Chu Wanning sofort zu, als ob er sich beeilen wollte, um zu vertuschen, was er gesagt hatte. „Geh nur."

„Shizun..."

„Ich bin müde. Du kannst gehen."

„In Ordnung... Ruhe gut, Shizun."

Mo Ran ging, die Tür knarrte auf und wieder zu.

In der Dunkelheit öffnete Chu Wanning die Augen. Sein Herz raste in seiner Brust und seine Handflächen waren mit Schweiß bedeckt, gedemütigt von seinem Verlust der Selbstbeherrschung. Er war wirklich zu lange allein gewesen, wenn er ein bisschen Freundlichkeit und Fürsorge irgendwie mit aufrichtiger Zärtlichkeit verwechseln konnte. Wie ein Idiot.

Gereizt drehte er sich um und vergrub sein Gesicht in seinem Kissen, wo er in einem bodenlosen Abgrund des Selbsthasses versank. Er war sich wohl bewusst, dass Mo Ran Shi Mingjing mochte und dass nichts zwischen ihm und Mo Ran war, außer der höflichen Distanz zwischen Meister und Schüler. Und doch...

Die Person von ihm tauchte ungebeten in seinen Gedanken auf.

Genau dasselbe Gesicht, nur älter. Die Art und Weise, wie er Chu Wanning mit einem mürrischen Ausdruck und seinen Augen, die zu tief waren, um sie zu lesen, angesehen hatte.

Mit einem Krachen öffnete sich die Tür wieder.

Chu Wanning erstarrte, sein ganzer Rücken wurde steif wie ein gespannter Bogen.

Jemand kam zu seinem Bett. Es gab einen Moment der Stille, dann spürte er, wie diese Person am Rand saß und den leichten Duft frisch gewaschener Kleidung mit sich brachte. „Shizun, schläfst du?"

Keine Antwort.

Also fuhr Mo Ran fort, mit einer Stimme, als würde er über das Wetter sprechen. „Du bist immer noch dabei." Er gluckste leise und legte sich neben Chu Wanning, den Kopf in einen Arm gestützt, sein Blick schweifte über Shizuns Rücken, der sich sehr offensichtlich und sichtbar um mehrere Grad weiter anspannte. „Ist das Angebot von Shizun von vorhin noch gültig?"

Chu Wanning antwortete nicht.

„Shizun mag es sicher, Leute zu ignorieren. Wenn Shizun nichts sagt, werte ich es wieder als ein ’Ja'.“

„Hmpf."

Mo Rans Augen leuchteten vor Vergnügen, lila-schwarz und flackerten vor Belustigung, als das kalte hmpf von der anderen Seite des Bettes kam. Wenn es seine Angewohnheit war, sich in Shi Mei zu verlieben, dann war das Necken seines Shizun ein Spiel, dessen er nie müde wurde.

Er konnte nie herausfinden, was es mit Chu Wanning auf sich hatte. Alles, was er wusste, war, dass diese Person sein Herz zum Jucken brachte, ihn dazu brachte, seine Reißzähne zu zeigen und ihn zu beißen, bis er entweder anfing zu weinen oder zu lachen ‒ obwohl beides größtenteils Wunschdenken war.

Aber immer, wenn dieses Gesicht, das stets kühl und teilnahmslos war, wegen Mo Ran auch nur die geringste Regung zeigte, geriet er in helle Aufregung.

„Shizun."

„Mn."

„Nichts hatte nur Lust, es zu sagen."

Chu Wanning machte sich nicht die Mühe zu antworten.

„Shizun."

„Wenn du etwas zu sagen hast, raus damit. Wenn nicht, halt die Klappe.“

„Hahaha." Mo Ran lachte, dachte dann plötzlich an nichts und fragte halb im Scherz und halb ernst: „Ich dachte, dass Xia-Shidi und Shizun sich wirklich unglaublich ähnlich sind. Shizun, ist er dein Sohn?“

Ein langes, langes Schweigen.

Chu Wanning hatte für eine Nacht viel zu viel emotionalen Aufruhr ertragen müssen, und er war in einer missmutigen Stimmung. Als er sich plötzlich über so etwas lustig machte, konnte er nicht anders, als sich irritiert zu fühlen.

„Pfft, ich habe mich nur mit Shizun angelegt, macht dir‒“

„Ja“, antwortete Chu Wanning kühl. „Er ist mein Sohn."

Mo Ran grinste immer noch. „Oh, das habe ich mir gedacht. Er ist also dein Sohn ‒ warte! Sohn?!" Mo Rans Augen flogen weit auf, als hätte ihn ein Blitz getroffen, sein Mund stand ungläubig offen. „S-S-S-S-Sohn?!"

„Mn." Chu Wanning drehte sich herum und fixierte Mo Ran mit einem starren Blick, sein Gesicht war durch und durch ernst, ohne die geringste Spur von Scherz.

Chu Wanning hatte heute Abend zu viele Fehler gemacht und befürchtet, dass seine Fassade nicht halten könnte. Wenn Mo Ran diesen Witz machen wollte, konnte er genauso gut die Gelegenheit nutzen, um Verwirrung zu stiften. Chu Wanning würde alles tun, um sicherzustellen, dass Mo Ran nicht bemerkte, dass er ihn mochte.

Als Chu Wanning dies dachte, hob er ruhig die Stücke der Würde auf, die er fallen gelassen hatte, und sagte mit aller Ernsthaftigkeit: „Xia Sini ist mein uneheliches Kind. Selbst er weiß das nicht. Im Moment dies ist ein Geheimnis, das den Himmeln, der Erde, dir und mir bekannt ist. Wenn eine dritte Person es jemals herausfinden würde, würde ich dich endgültig erledigen."

Mo Ran war absolut, komplett, total stumm.




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2 Kommentare:

  1. Ich fühle so sehr mit Chu Wanning mit.
    Dieser zerreißende Herzschmerz, jemanden zu mögen und es ihm aus Angst abgelehnt zu werden, lieber alles verschweigt.
    Und Mo Ran der gegen jede Wand die er Erblickt rennt!
    Danke für die tolle Übersetzung! Ness

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    1. Hallo Ness,
      schön wieder von dir zu hören.
      Chu Wannings Gefühle für Mo Ran und seinen Herzschmerz werden noch ganz andere Ebenen annehmen. Ich darf da aber leider nicht zu viel verraten wegen spoilern, aber es werden noch viele Tränen fließen- also bei mir sind die Tränen öfters und reichlich geflossen.
      Aber das Mo Ran in der Hinsicht auf Chu Wanning so viel missversteht, hat auch seine ganz eigenen Gründe. Diese Gründe werden nach und nach aufgedeckt und man kann mehr und mehr nachvollziehen wie aus einem Mo Ran ein Taxian-Jun wurde.
      Vielen Dank für deinen Kommentar und das Lesen dieser Übersetzung. So was erwärmt mir da Herz.

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