Es war kaum verwunderlich, dass Ye Wangxi Mei Hanxue verachtete. Dieser Mann war kein anderer als dieser ‘Da-Shixiong‘ aus den Pfirsichblütenquellen, um den sich unzählige weibliche Kultiviererinnen gerissen hatten und die eifersüchtig um seine Aufmerksamkeit buhlten.
Nangong Si hatte zunächst angenommen, dass es sich bei
diesem Neuankömmling um eine mächtige Persönlichkeit handelte, aber es stellte
sich heraus, dass er ein hübscher Junge war, der sich auf sein Aussehen
verließ. Sein anfängliches Interesse verflog im Nu, und er wandte sich wieder
dem Kampf zu, der gerade stattfand.
Mei Hanxue warf Xue Meng einen Blick zu, in dem ein Anflug
von Verärgerung lag, aber er wagte es nicht zu antworten. Seine Brauen senkten
sich und seine Finger tanzten über die Saiten der Pipa. Als seine Töne
erklangen, verteilten sich die hundert Kultivierer des Taxue-Palastes in alle
Richtungen. „Guqin-Abteilung, spielt das Lied von Alkaid.
Pipa-Abteilung, führt den Annullierungstanz auf."
Auf seinen Befehl hin änderte das Ensemble seine Melodie.
Eine Kaskade von Akkorden, kräftig und schnell gespielt, verschmolz zu einem
schallenden Refrain, der die Wolken zerstreute. Sofort stellten die Horden
dämonischer böser Geister ihre Kämpfe ein und blieben mit ausgestreckten Hälsen
und hohlen Blicken auf ihren grässlichen Gesichtern stehen.
Als Li Wuxin dies sah, wurde er daran erinnert, dass die
Mitglieder des Kunlun-Taxue-Palastes nicht nur Meister der Musik waren, sondern
auch Meister im Flicken von Barrieren. Er hob den Kopf und rief erfreut: „Verehrter Neffe Mei, wisst Ihr zufällig, wie man den Himmlischen
Riss repariert?"
Mei Hanxue ignorierte die geschmacklose Anrede des
verehrten Neffen und antwortete: „Der Himmlische Riss der Unendlichen Höllen
liegt jenseits meiner Fähigkeiten."
„Ah, dann..." Li Wuxins Gesicht erblasste, dann strich
er sich über den Ärmel und seufzte heftig.
„Hanxue, was ist mit der Barriere um die
Schmetterlingsstadt ‒ könntet Ihr sie aufhalten?", meldete sich Xue
Zhengyong zu Wort.
Der Sisheng-Gipfel und der Taxue-Palast waren schon immer
freundschaftlich miteinander verbunden gewesen, und Mei Hanxue verbeugte sich
höflich, als sie einen vertrauten Älteren sah. „Ich kann es versuchen."
„Großartig!" Xue Zhengyong schlug die Hände zusammen. „Ihr
geht und bewacht die Barriere in den Himmelsrichtungen, sorgt dafür, dass die
Dämonen nicht entkommen, und ruft Yuheng zu‒"
„Der Yuheng Ältester?"
„Ah, mein verdammtes Gedächtnis, ich hatte vergessen, dass Ihr
Yuheng noch nie getroffen habt. Macht Euch keine Sorgen, Ihr werdet ihn
erkennen, wenn Ihr ihn sieht. Haltet einfach nach der Person Ausschau, die
gerade die Barriere aufrechterhält."
„Verstanden." Mei Hanxue, kühl und gelassen, segelte
mit einem Schwung seines Schwertes in Richtung Stadtrand, wie eine
Sternschnuppe im Wind.
Nangong Si spannte drei Pfeile auf seinen Bogen und schoss
sie in drei Richtungen auf einmal ab. Inmitten des Klimperns der Bogensehne sah
er, wie Mei Hanxue mit Schnelligkeit und Anmut vorbeischoss, während die
übrigen Schüler des Taxue-Palastes den Feind mit wohlklingenden Akkorden
zurückdrängten. Er war selbst überrascht. „Diese Person scheint doch recht
fähig zu sein", sagte er zu Ye Wangxi. „Warum hast du ihn einen hübschen
Jungen genannt, der sich auf Frauen verlässt, um seine Schlachten zu schlagen?"
Ye Wangxi, der selbst etwas verwirrt war, hatte keine
unmittelbare Antwort. Aber die bösen Geister bewegten sich jetzt nur noch
langsam und boten eine ideale Gelegenheit, sie zu vernichten, also
verschwendete er keine Zeit damit, darüber nachzudenken. „Vielleicht hat er
damals nicht alles gegen mich unternommen", bot er an, wandte sich dann
wieder dem Feind zu und sagte nichts mehr.
Da nun vier der zehn großen Sekten vor Ort waren, wurde der
Kampf gegen den Himmlischen Riss etwas weniger aussichtslos. Aber der Kampf war
immer noch erschütternd.
Obwohl die bösen Geister, die sich auf dem Boden befanden,
durch die Akkorde des Taxue-Palastes bewegungsunfähig gemacht wurden, quollen
mit jeder Minute mehr von ihnen schreiend und heulend aus dem blutigen Auge,
das mit dem Geisterreich verbunden war. Die Truppen des Taxue-Palastes hatten
sich in der Luft positioniert, aber sie konnten sich nicht verteidigen, während
sie spielten. So stürzten sich die dämonischen bösen Geister auf die Pipa- und
Guqin-Spieler, die zwischen den Wolken hingen.
Die Schüler des Taxue-Palastes hatten keine andere Wahl,
als einige von ihnen abzulenken und ein Verteidigungslied zu spielen. Das Lied
der Unterdrückung und des Exorzismus schwächte sich sofort ab, und die Massen
von bösen Geistern auf dem Boden setzten ihren wütenden Ansturm fort. Schlimmer
noch: Als sich die Pforte zum Geisterreich öffnete, verbrauchten einige
hochrangige Dämonen genug Yang-Energie aus dem Reich der Sterblichen, um sich
ihrer Fesseln zu entledigen und den Spalt zu durchqueren, wobei sie ihre Ketten
und Fesseln hinter sich herzogen.
Diese Kreaturen waren nicht wie die kleinen bösen Geister,
die ihnen vorausgegangen waren. Sie waren sowohl von ihren Leichen als auch von
ihren verbitterten Seelen besessen und waren weitaus mächtiger und bösartiger
als das, was ein durchschnittlicher Kultivierer allein bewältigen konnte. Im
Handumdrehen wurden einige unglückliche Nachzügler mit einem einzigen Schlag zu
Boden geschleudert, wobei ihre Brust von knöchernen Klauen durchbohrt wurde.
Blut spritzte mit einem nassen Platschen auf den Boden, als
die hochrangigen Dämonen die Herzen der Kultivierer, die reich an spiritueller Energie
waren herausrissen. Die Dämonen bissen gierig zu, rotes Blut strömte heraus und
lief über das verrottende Fleisch in ihren Gesichtern. Bald waren ihre Münder
blutig und hingen voller Blut, und die Dämonen wurden immer stärker, stürzten
sich in die Menge und suchten wie Raubtiere nach ihrer nächsten Mahlzeit.
Die Hölle brach los.
„Stellt Anordnungen
auf und bildet Gruppen!", brüllte Xue Zhengyong. „Bleibt zusammen! Lauft
nicht weg!"
Aber einige der Kultivierer waren bereits von der Angst
überwältigt, rannten hysterisch umher und flohen schreiend und weinend in alle
Richtungen. Der Gestank von Blut lag in der Luft, die dämonischen bösen Geister
strömten wie eine Flut heran, und die Leichen der Toten türmten sich auf.
Nangong Si war vollkommen in den Kampf vertieft und ließ
einen Pfeil nach dem anderen abfeuern, als ein erhängter Geist, dem die
blutrote Zunge aus dem Maul baumelte, auf ihn zustürzte und sich an ihm
festhielt. Er hob seine Klaue und zielte direkt auf seine Brust. Als Ye Wangxi
sich umdrehte und es sah, wich die Farbe augenblicklich aus seinem sonst so
ruhigen Gesicht. Er war zu weit weg. „A-Si!"
„Gongzi!" In letzter Sekunde sprang Song Qiutong mit
ihrem Schwert vor und stach dem erhängten Geist in den Arm. Aber sie hatte noch
nie einen Menschen getötet, geschweige denn so einen grässlichen bösen Geist.
Die Angst überkam sie, und das Langschwert fiel ihr aus der Hand und klapperte
auf den Boden.
Der erhängte Geist stürzte sich wütend auf sie. Nangong Si
tauschte den Bogen gegen das Schwert aus und trat vor sie, um den Angriff
abzublocken. „Geh weg von hier, schnell!"
Song Qiutongs Augen glitzerten vor Tränen. „Qiutongs Leben
wurde von der Rufeng-Sekte gerettet. Sie kann unmöglich gehen..."
Nangong Si hatte wenig Erfahrung mit Frauen. Aber als er
ihr zartes Auftreten und die Entschlossenheit in ihren Augen sah, hatte er das
Gefühl, als würde sein Herz zusammengedrückt werden. Er fluchte leise vor sich
hin. „Ye Wangxi! Ye Wangxi - komm verdammt noch mal her! Kümmere dich für mich
um sie!"
Ye Wangxi war blutbespritzt, sein hübsches Gesicht war mit
Schmutz und Dreck besudelt. Er legte eine Hand um Song Qiutongs Arm und sagte
barsch: „Geh und such Qin-Shixiong und bleib bei ihm."
„Ich werde nicht gehen! Ich kann immer noch helfen!",
flehte sie. „Junge Meister, ich möchte bei euch bleiben."
„Ye Wangxi, pass auf sie auf!"
Ye Wangxis Gesicht verfinsterte sich. Wie ein aufrechter
Gentleman, der er war, zeigte selten solchen Zorn. „Nangong Si." Die
Silben dieses Namens kamen zitternd und gebrochen heraus. „Du musst den
Verstand verloren haben." Dann kehrte er den beiden anderen den Rücken zu,
nahm sein Schwert und stürzte sich zurück in die wogende Masse der Untoten.
Hochrangige Dämonen tauchten immer wieder auf, und sie
schnitten durch die Menge wie Dolche, die den Bauch eines Fisches aufschlitzen
und ihm die Schuppen abziehen ‒ glitzernd und klebrig vor Blut, auf und ab.
Jeder war auf sich allein gestellt, als die bösen Geister
die Lebenden umzingelten ‒ diese Kreaturen wollten nichts anderes, als jeden Einzelnen
von ihnen zu verschlingen und in die Unendlichen Höllen zu zerren. Mo Ran, Xue
Meng und Shi Mei kämpften Rücken an Rücken gegen die Dämonen auf allen Seiten,
aber der Raum, den sie um sich herum gebildet hatten, schrumpfte schnell, als
der Feind immer näher kam. Ein nasses Geräusch ertönte, als Xue Meng einem
wilden Dämon die Arme abtrennte, und sein fauliges Blut spritzte mehrere Meter
hoch in die Luft.
Die bösen Geister, die sie angriffen, erkannten sofort,
dass Xue Meng eine Bedrohung darstellte, und kreisten stattdessen um Shi Mei.
Shi Meis Hände formten einen Schutzschild, aber seine spirituelle Energie war
schnell verbraucht, und die Helligkeit des Wasserlichtanornung vor ihm
flackerte.
Bei diesem Tempo wusste Mo Ran, dass sie nicht mehr lange
durchhalten würden. Er fasste einen Entschluss. „Shi Mei, baue ein Schildfeld
auf. Xue Meng, du gehst rein."
„Was?" Xue Meng war sofort erzürnt. „Du sagst mir, ich
soll eine Memme sein?!"
„Hör einfach auf mich und geh rein! Das ist nicht der
richtige Zeitpunkt, um sich Gedanken darüber zu machen, wie du aussiehst! Sieh
dich um ‒ glaubst du, wir können so viele Geister töten?!"
„A-Ran", sagte Shi Mei, „was wirst du tun?"
„Hör auf, Fragen zu stellen, tu einfach, was ich sage",
Mo Ran milderte seinen Tonfall. „Es wird schon gut gehen."
Die Lichtung um sie herum zog sich weiter zusammen. „Schnell",
drängte Mo Ran, „wir haben keine Zeit mehr."
Shi Mei hatte keine andere Wahl. Er passte sein Handsiegel
an, um eine Schicht blauer Schutzschilde um Xue Meng und sich selbst zu
errichten. Als er sah, dass die Anordnung vollständig war, zog Mo Ran den in
seinem Ärmel verborgenen Pfeil heraus und schnitt ihn quer über seine
Handfläche, dann besprengte er das Feld mit seinem eigenen Blut, um es mit
seiner spirituellen Energie zu markieren. Mit finsterem Blick rief er mit
leiser Stimme: „An die Arbeit!"
Jiangui flackerte bei seinen Worten hell auf. Die Waffe
wuchs um mehrere Dutzend Meter in die Länge, jedes Blatt hing wie ein scharfer
Dolch an der Weidenranke, während sie mit scharlachroter spiritueller Energie
glühte. Mo Ran schloss die Augen und erinnerte sich an den Anblick von Chu
Wanning, der seine Tötungstechnik entfesselt hatte. Als er sie wieder öffnete,
spiegelten sich in seinen Augen die zahllosen grässlichen bösen Geister, die
auf sie zukamen.
Er peitschte Jiangui hoch über seinen Kopf. Funken sprühten
von der Ranke und regneten herab, während Mo Ran seinen Arm hochhielt und sein
Ärmel vom Wind umgeschlagen wurde. In diesem Moment schien sich seine
Silhouette mit der von Chu Wanning in seinem Kopf zu überschneiden, die beiden
bewegten sich in perfekter Synchronität.
„Wind."
Ein gewaltiger Windstoß verwüstete das Land und rüttelte
die Wolken auf, so dass sich der Himmel selbst nach unten zog.
Hinter Mo Ran sahen Xue Meng und Shi Mei zu, wie eine
riesige Lichtanordnung scharlachrot erblühte wie ein roter Lotus aus der Hölle
stieg und heftige Stürme den Boden wie formlose Klingen zerschnitten. Jiangui
wirbelte herum und verschwamm in Mo Rans Hand. Staub und Trümmer wirbelten in
die Luft, und die überwältigende Kraft zog die bösen Geister in den Strudel und
zermalmte sie zu Hackfleisch. Chu Wannings weitreichende Tötungstechnik, Wind.
Mo Ran konnte sie bereits so gut einsetzen...
Als sich der Sturm gelegt hatte, war die Gegend wie leer
gefegt.
Als Mo Ran sich umdrehte, sah er die schockierten Gesichter
von Xue Meng und Shi Mei. Aber ihm war nicht zum Feiern zumute. Er spürte nur,
dass er noch lange nicht da war, wo er sein sollte. Wenn seine
Kultivierungsstufe jetzt auch nur annähernd so hoch wäre wie früher, wäre ein Riss
der Barriere im Geisterreich eine Kleinigkeit.
„Seht! Da drüben!" Plötzlich ertönte eine Stimme in
der Ferne.
Alle hoben den Kopf und sahen mehrere Kontingente hoch am
Himmel, die auf Schwertern von jedem Horizont heranritten, jede Gruppe in
unterschiedlicher Kleidung und eingehüllt in unterschiedliche spirituelle
Energien.
Es schien, als hätte die Öffnung des Himmlischen Risses der
Unendlichen Höllen die Sekten des oberen Kultivierungsreich endlich zum Handeln
angespornt. Ihre leuchtenden Schwerter schlugen einer nach dem anderen ein, ein
massiver Zustrom von Verstärkung ‒ hier die anmutigen und charmanten
Persönlichkeiten von der Regenbogeninsel, dort die feierlichen und würdevollen
Mönche des Wubei-Tempels und so weiter. Schließlich hatten sich auch die zehn
großen Sekten dem Kampf angeschlossen.
Immer stärkere Dämonen drangen in diese Welt ein wie ein
endloser Heuschreckenschwarm. Aber mit dieser plötzlichen Unterstützung waren
die Kultivierer auf dem Boden nicht mehr so unterlegen. Zur gleichen Zeit
schlossen Mei Hanxue und Chu Wanning endlich den spirituellen Transfer ab, und
die Farbe der Barriere, die in den Himmelsrichtungen der Stadt verankert ist,
wechselte von Gold zu Blau.
Chu Wanning überließ Mei Hanxue die Bewachung der Grenzen
und ritt mit dem Wind in das Zentrum des Kampfes, wo er sich anmutig
niederließ, wo der Kampf am heftigsten war. Er blickte auf den Himmlischen Riss.
Inzwischen war er weit geöffnet, und ein unermessliches und furchterregendes
Übel war darin vage zu erkennen.
Die wahnsinnige Energie dieses Wesens war praktisch mit
Händen zu greifen, als hätte es das Blut und die Gehirne von Millionen Menschen
getrunken. Die Barriere musste jetzt versiegelt werden, sonst würde das große
Böse, das derzeit in den Unendlichen Höllen unterdrückt wird, ausbrechen und in
den Bereich der Sterblichen vordringen.
Chu Wanning konnte nicht umhin, sich zu fragen, ob das der
Sinn der Sache war. War es das, was die Person hinter den Kulissen wollte?
Wollte er eine Art großes Übel aus der Hölle auf diese Welt loslassen? Aber zu
welchem Zweck?
„Shizun!", rief Shi Mei ängstlich hinter ihm her.
Chu Wanning drehte sich nach seiner Stimme um.
Erinnerungen an das vergangene Leben überlagerten erneut
die gegenwärtige Szene.
______________________
„Shizun!" Shi Mei hatte damals auf die gleiche Weise
nach ihm gerufen.
Auch damals hatte sich Chu Wanning nach seiner Stimme
umgedreht.
Shi Mei lag keuchend im Schnee, bedeckt mit Blut und
Schmutz, aber sein Blick war fest und entschlossen. „Shizun, wirst du den Himmlischen
Riss reparieren?"
„Mn."
„Aber das... Das ist nicht nur irgendein Riss, das ist ein Riss
in die Unendlichen Höllen. Shizun, wie willst du das allein schaffen?"
Chu Wanning antwortete nicht sofort.
„Lass mich dir helfen. Ich habe in den
Pfirsichblütenquellen einige Verteidigungsfähigkeiten gelernt ‒ ich werde
Shizun nicht in die Quere kommen..."
____________________
Selbst jetzt hörte er noch fast den Wortwechsel, der vor so
vielen Jahren über Leben und Tod entschieden hatte. Mo Rans Blut gefror und
sein Kopf wurde taub. Ohne Vorwarnung packte er Shi Mei und zog ihn hinter
seinen eigenen Körper. Dann schob er ihn zu Xue Meng und schrie: „Xue Ziming,
behalte ihn im Auge! Kümmere dich um ihn!"
Die Augen von Xue Meng weiteten sich. „Gehst du weg, Köter?"
„Ich..."
Der Wind frischte auf und trug den Gestank von Blut mit
sich. Am Himmel wehten keine Schneeflocken; wenigstens war einiges anders als
im letzten Leben.
Mo Rans Blick blieb auf der verlorenen und hilflosen
Gestalt von Shi Mei hängen. Er spürte, wie sich sein Herz zusammenzog, dann
aber mit Erleichterung erfüllt wurde. Diese Barriere konnte nicht von Chu
Wanning allein repariert werden. Aber außer seinen drei Schülern war niemand
mit seiner spirituellen Kultivierung vertraut genug, um mit ihm
zusammenzuarbeiten. Einer von ihnen musste gehen.
Der Wind rauschte heftig über das Schlachtfeld und fegte
über Tausende von Kilometern verzweifelten Gemetzels hinweg. Mo Ran spannte
sich an und zog dann Shi Mei in seine Arme. Es war das erste Mal, dass er ihn
so offen und direkt umarmt hatte. Er hielt ihn einen Moment lang fest und stieß
ihn dann abrupt von sich.
Shi Mei. Ich fürchte, dieses Mal werde ich
derjenige sein, der stirbt.
„Ich werde Shizun helfen, die Barriere zu versiegeln",
erklärte Mo Ran in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete. Er verengte seine
Augen und warf Shi Mei einen weiteren tiefen, bedeutungsvollen Blick zu.
Plötzlich war es ihm egal, was die anderen denken würden,
es war ihm egal, dass Xue Meng direkt vor ihm stand, es war ihm egal, dass er
zurückgewiesen werden könnte. Er hatte zwei Leben lang gewartet, zwei Leben
lang geliebt, und nun ging er fort, um vielleicht nie mehr zurückzukehren. Im
wilden Wind stehend, wollte er seinem Geliebten ein paar letzte Worte sagen.
„Shi Mei, eigentlich, ich..." Doch als er den Mund
öffnete, um zu sprechen, wurden seine Worte von dem Gebrüll der bösen Geister übertönt.
Dieser flüchtige Impuls, kochend heiß wie Lava, wurde in diesem einen Moment
kalt. Am Ende verpuffte er.
„A-Ran, wolltest du etwas sagen?"
Eine Erinnerung an sein früheres Leben blitzte in Mo Rans
Augen auf: Er sah das sanfte Lächeln von Shi Mei hinter dem halb hochgezogenen
Vorhang. Wie grausam es gewesen war. Es hatte ihn sein ganzes Leben lang
begleitet, sogar bis zum Tod. Es war überall, wo er hinsah.
Mo Ran grinste, die Ränder seiner Augen waren ein wenig
rot. „Macht nichts, gute Dinge kann man nur einmal sagen."
Shi Mei sagte: „Du..."
„Ich gehe los, um Shizun zu helfen. Wenn ich zurückkomme...
Wenn ich es dir immer noch sagen will..." Seine Grübchen waren tief, sein
Blick war voller Liebe. „Werde ich es dir dann sagen." Mit diesen Worten
drehte er sich um und raste auf Chu Wanning zu.
Diesmal würde Shi Mei nicht sterben. Zumindest nicht vor
seinen Augen. Mo Ran hatte plötzlich das Gefühl, dass der Himmel grenzenloser
und der Boden weitläufiger war. Er stellte sich vor, dass die Gestalt vor ihm,
deren weiße Roben sich wogten, der Schlusspunkt seines wiedergeborenen Lebens
sein würde.
Sein Shizun, der die ganze Welt in seinem Herzen trug.
Als Shi Mei im Sterben lag, um die Reparatur der Barriere
zu vollenden, um die wütenden bösen Geister zu vertreiben, hatte Chu Wanning
ihm rücksichtslos den Rücken gekehrt. Diesmal würde Mo Ran derjenige sein, der
die Barriere mit Chu Wanning reparieren würde. Chu Wanning verachtete ihn so
sehr, hasste ihn so sehr, dass er auf keinen Fall seinen guten Ruf als Beidou Unsterblicher
aufgeben würde, um einen Gedanken an das Leben oder den Tod seiner
unbedeutenden Person zu verschwenden.
„Shizun." Mo Ran blieb vor ihm stehen, Jiangui glühte
in seiner Hand. „Diese Barriere ist schwer zu reparieren. Lass mich dir helfen."
Die Situation war katastrophal. Chu Wanning warf ihm einen
wortlosen Blick zu: ein stillschweigendes Einverständnis. Er sprang auf und
stellte sich auf den höchsten Punkt des Herrenhauses der Chens, Mo Ran folgte
ihm auf den Fersen. „Setze den Emphatischen-Bindungszauber", sagte Chu
Wanning.
Mo Ran bewegte sich im Einklang mit ihm und folgte seinen
Anweisungen. Einer drehte sich nach links, der andere nach rechts. Die
Fingerspitzen glühten mit dem Siegel der Emphatischen-Bindungszauber, als sie
ihre Hände gemeinsam in die Luft hoben.
„Beschwören!"
Bei der Beschwörung strömte spirituelle Energie aus ihren
Körpern. Die beiden arbeiteten als Einheit, jeder hielt einen wichtigen
Erdungspunkt des Feldes fest und nutzten ihre überschäumende Kraft, um eine
scharlachgoldene Barriere zu bilden.
Als sich die Barriere nach außen ausdehnte, kreischte jeder
Dämon, den sie berührte, als hätte er sich verbrannt auf und floh zurück in das
Auge des Geisterreichs. Die Barriere wurde von Sekunde zu Sekunde klarer und
heller, und unter ihren Füßen erhob sich ein Paar gewundener Drachenplattformen
aus spiritueller Energie, die die beiden hoch in den Himmel über der Stadt
hoben.
Vor dem gleißend goldenen und scharlachroten Licht der
Barriere begann sich das Geisterauge langsam zu schließen. Doch gleichzeitig
wurden die widerspenstigen Geister innerhalb des Risses immer wütender und
weigerten sich, nachzugeben. Mit jedem Zentimeter, den sich die Barriere
näherte, verstärkte sich die böse Energie, die aus dem Riss strömte, und als
der Rand der Barriere nur noch wenige Meilen vom Riss entfernt war, war die
Verderbnis, die aus den Tiefen des Risses drang, fast körperlich spürbar.
Mo Rans wiedergeborener Körper fühlte sich an, als hätte
sich ein schweres Gewicht auf seine Schultern gelegt, als würde ein riesiger,
tausend Tonnen schwerer Felsen gegen seine Brust drücken. Er hatte Mühe zu
atmen. Gegenüber von ihm war Chu Wannings spirituelle Energie stark und
gleichmäßig und strömte unaufhörlich in die Barriere.
Ein Zentimeter, ein weiterer. Die Stürme, die um sie herum
peitschten, waren dicht mit Verderbnis gefüllt, verstärkten sich und näherten
sich ihrer Position. Mo Ran hatte das Gefühl, als ob sich unzählige Dolche in
sein Fleisch und seine Knochen bohrten.
„Shizun..." Als sein Bewusstsein zu schwinden begann,
huschten erneut Erinnerungen aus der Vergangenheit vor seine Augen:
Er sah, wie Shi Mei und Chu Wanning zusammenarbeiteten, um
die Barriere zu reparieren. Es waren nur noch wenige Sekunden, bis die Welten
von Yin und Yang wieder voneinander getrennt sein würden. Die bösen Geister,
die bald wieder ohne Yang-Energie sein würden, sahen, dass Shi Meis Seite viel
schwächer war. Sie scharten sich zusammen und stürmten gemeinsam auf Shi Mei
zu. Im Handumdrehen wurde Shi Mei, der alles getan hatte, um das Gleichgewicht
der Barriere aufrechtzuerhalten, durchbohrt.
Nun wiederholte sich diese Szene, fast Zug um Zug. Nur
diesmal war Mo Ran derjenige, dessen Herz von tausend Geistern durchbohrt
wurde. Eine Kaskade dämonischer böser Geister durchbrach die schwere
Wolkendecke und durchschlug blitzschnell Mo Rans Brust. Rot schwamm vor Mo Rans
Augen. Es dauerte einen Moment, bis er registrierte, dass es sein eigenes Blut
war, das aus seiner Brust quoll.
In dem erstickenden Strom ertrinkend, versuchte er, sich zu
Chu Wanning umzudrehen, doch er sah nur die makellose weiße Robe und das kalte,
teilnahmslose Gesicht des Mannes, der sich abwandte und ihm nicht einmal einen
halben Blick zuwarf.
Groll durchflutete seine Brust. Er verfestigte sich zu
tiefem Hass.
Mo Ran stürzte von der Plattform des zusammengerollten
Drachens, Blut sickerte aus seinen Mundwinkeln, seine Brust war tiefrot
gefärbt. Der Sturz dauerte nur einen Augenblick, aber es fühlte sich an wie
eine Ewigkeit, wie ein Ertrinkender, der langsam auf den Grund des Meeres sinkt
und nie wieder das leise Flüstern der lebendigen Welt hören wird.
Chu Wanning hatte keinen einzigen Finger für ihn gerührt.
Er hatte nicht versucht, den Angriff zu verhindern. Er konnte sich nicht einmal
die Mühe machen, hinzusehen.
Als Mo Ran fiel, verflüchtigte sich seine scharlachrote spirituelle
Energie. Und genau wie im vorigen Leben entschied sich Chu Wanning, den Rest
seiner Energie in den Teil der Barriere zu stecken, den Mo Ran nicht reparieren
konnte, und zwang die Barriere allein durch seine Energie mit einem donnernden
Knall zu schließen.
Die auf dieser Seite des Tores verbliebenen bösen Geister,
die von der Yin-Energie des Geisterreichs abgeschnitten waren, fielen sofort in
einen wahnsinnigen Ansturm auf die Kultivierer. In wenigen Augenblicken mähten
sie unzählige lebende Seelen nieder und vernichteten die Formationen mehrerer
Sekten.
Chu Wanning stieg herab. Als Mo Ran fiel, hatte sich unter
der gewundenen Drachensäule eine Lichtschicht gebildet, die seinen Sturz
abfederte. Aber seine Brust war durchbohrt worden, und das Blut sammelte sich
auf dem Boden unter ihm, genau wie das von Shi Mei damals. Chu Wanning schlug
die bösen Geister zurück, die auf Mo Ran zustürmten, und ließ mit einem Wink
mit der Hand eine schützende Barriere um ihn fallen.
„Shizun...", murmelte Mo Ran hinter ihm leise. „Gehst
du etwa..." Er hustete Blut, aber ein Grinsen breitete sich auf seinem
Gesicht aus. „Gehst du schon wieder?"
Außerhalb der fließenden goldenen Barriere stand diese
Person weiterhin mit dem Rücken zu ihm. Mo Ran öffnete den Mund, aber seine
Kehle war mit dem Geschmack von Eisen gefüllt. „Chu Wanning, bist du aus Holz
gemacht? Weißt du überhaupt, wie es ist, traurig zu sein, egoistisch zu sein?
Weißt du ... Chu Wanning ... Chu Wanning ..."
Mo Rans Sicht verschwamm. Er war mit Wunden aus dem Kampf
übersät. Blut floss aus einem Schnitt auf seiner Stirn in seine Augen, und als
er den Kopf zurückwarf und wild in den Himmel lachte, als wäre er verrückt
geworden, liefen ihm blutige Tränen übers Gesicht. Seine Stimme brach in einem
Schluchzen. „Chu Wanning, dreh dich um! Sieh mich an ... willst du wirklich
gehen ..."
Willst du mich nicht ein letztes Mal ansehen?
Ich liege im Sterben. Damals, als es Shi Mei war, hast du ihm wenigstens einen
Blick gegönnt.
Du... Kannst du mich wirklich so wenig … leiden?
Siehst so sehr auf mich herab? Warum sonst würdest du dich weigern, mich
anzusehen, nur ein letztes Mal? Warum willst du dich nicht umdrehen?
„Shizun..." Seine Augen quollen über vor Blut und
Tränen. Das letzte, was er durch die goldene Barriere sah, war der Rücken
dieser einsamen Gestalt in weißer Robe, die sich entfernte.
Um Dämonen zu unterdrücken.
Am Ende stellte sich heraus, dass es im Herzen dieses
Mannes niemanden gab, der ihm weniger wichtig war als Mo Weiyu.
Erklärungen:
Alklaid, 瑶光, Yao Guang, ist der ganz linke Stern im Großen
Wagen.
Obwohl er ihn ‘Neffe‘ nennt, impliziert Li Wuxin damit keine Blutsverwandtschaft. Mei Hanxue verwendet hier er den familiären Begriff in demselben Sinne wie ein schmieriger Verkäufer, der einen potenziellen Kunden als ‘Dage‘ (älterer Bruder) bezeichnet.
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NEIIINNN........ Ahhhhh das gibt es doch wohl nicht.....
AntwortenLöschenDoch, doch, mir hat dieses Kapitel das Herz gebrochen. Kleiner Spoiler, die nächsten 22 Kapitel werden dir hier und da das Herz brechen, ich garantiere dir das. XD
LöschenO________________O
AntwortenLöschenCliffhanger vom feinsten o.O Ich schreibe sowas selber sehr gerne und sitze dabei mit einem diabolischen Grinsen vor dem PC. Aber es ist dennoch immer wieder was anderes, wenn man sowas liest und man erstmal warten muss wie es weiter geht.
Man konnte sich die Schlacht hier sehr gut vorstellen. Das Geschrei, die Panik, der Geruch von Blut und der Wahnsinn der dort herrschte. Die Chancen standen erst gut, dann wieder schlecht, dann wieder gut. Aber der Preis des Sieges ist dennoch sehr hoch. Mo Ran konnte Shi Mei retten und nahm selber den Platz ein und endete genauso wie Shi Mei in seinem früheren Leben. Chu Wanning bleibt nichts anderes übrig als weiter zu machen. Tief in sich drin, müsste Mo Ran das wissen. Wenn Chu Wanning aufhören würde, wäre alles vergebens und mehr Tote würde es geben und eine noch größere Katastrophe. In diesem Moment kann Mo Ran das aber nicht sehen und auch in seinem früheren Leben nicht. Aus seiner Sicht gesehen, würde man wohl ebenfalls so denken. Und dennoch liebe ich diesen letzten Teil von dem Kapitel. Ich hab so eine Schwäche für solche Szenen *-*
P.s: Stars of Chaos und Thousand Autumns will ich auch noch lesen. Aber es wir noch etwas dauern, bis ich da angefangen habe und auf den neusten Stand bin. Bis dahin halte durch, ehe ich dir dort auch auf die Nerven gehe XD
Das Warten ist das Schlimmste ich muss hier und da 4 Monate auf einen nächsten Band und somit circa 30 neue Kapitel warten, aber ihr müsst jede Woche aufs neue auf ein bis zwei Kapitel warten. Was ist schlimmer, i weiß es nicht.
LöschenMo Rans Verzweiflung in einer solchen Situation ist einfach mit den Händen zu greifen und für beide Seiten verständlich.
Mo Ran hat in seinem Leben sehr viele Verluste erlitten und durch verschiedene Gründe hat er sehr wenig positive Aufmerksamkeit von seinen Mitmenschen bekommen. Er kann so etwas von Personen die ihm nahe stehen und von denen er viel hält einfach nicht so gut wegstecken, wie jemand der nicht eine so krasse Vergangenheit eine so traumatische Kindheit erlebt hat wie er.
Beides schlimm XD Ich warte gerade sehnsüchtig auf das nächste Band von Heaven Official's Blessing.
AntwortenLöschenSein Leben war von Anfang an schwer. Und dann ist vieles auch schief gegangen. Missverständnisse kamen dazu, oder auch gesagt, eine Scheiße nach der nächsten.